Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision der Datenschutzbehörde gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. Oktober 2023, Zl. W176 2273922 1/5E, betreffend Behebung und Zurückverweisung in einer datenschutzrechtlichen Angelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Parteien: 1. R B in P, vertreten durch Dr. Martin Wuelz, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurnerstraße 12/EG, und 2. T M in I), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
1 1. Mit Bescheid der Datenschutzbehörde (DSB, Amtsrevisionswerberin) vom 6. April 2023 wurde der Datenschutzbeschwerde der Zweitmitbeteiligten teilweise stattgegeben und festgestellt, diese sei durch die Erstmitbeteiligte in ihrem Recht auf Geheimhaltung verletzt worden, weil sie einen (näher bezeichneten) Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe der Zweitmitbeteiligten samt Vermögensbekenntnis an einen Dritten weitergeleitet habe (Spruchpunkt I.). Im Übrigen wies die DSB die Datenschutzbeschwerde als unbegründet ab (Spruchpunkt II.).
2 Die DSB stellte im Wesentlichen fest, die Erstmitbeteiligte habe die Zweitmitbeteiligte beim Bezirksgericht Innsbruck auf Zahlung näher genannter Detektivkosten geklagt. Daraufhin sei vom Bezirksgericht ein bedingter Zahlungsbefehl ergangen, gegen den die Zweitmitbeteiligte Einspruch erhoben habe. In der Folge habe die Zweitmitbeteiligte die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, welche ihr mit Beschluss des Bezirksgerichts vom 22. Jänner 2020 gewährt worden sei. Der Verfahrenshilfeantrag und der Einspruch der Zweitmitbeteiligten sowie der Beschluss des Bezirksgerichts über die Bewilligung der Verfahrenshilfe sei dem Rechtsanwalt der Erstmitbeteiligten zugestellt worden, der diese Unterlagen der Erstmitbeteiligten weitergeleitet habe. In der Folge seien diese Unterlagen von der Erstmitbeteiligten an einen Dritten weitergeleitet worden.
3 Rechtlich folgerte die DSB, der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Datenschutzgesetz (DSG) sei eröffnet, weil sich die weitergegebenen Informationen unstrittig auf die Zweitmitbeteiligte gemäß Art. 4 Z 1 Datenschutz Grundverordnung (DSGVO) bezögen. Der Erstmitbeteiligten sei zwar ein berechtigtes Interesse zur Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche zuzubilligen, jedoch sei es dafür nicht notwendig gewesen, den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe samt Vermögensbekenntnis weiterzuleiten, weil sich alle wesentlichen Informationen bereits aus dem Beschluss über die Bewilligung der Verfahrenshilfe ergeben hätten. Die (gewählte) Vorgehensweise entspreche nicht dem Grundsatz der Datenminimierung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO. Der Datenschutzbeschwerde sei daher hinsichtlich der Weiterleitung des Verfahrenshilfeantrags samt Vermögensbekenntnis (mit Spruchpunkt I.) stattzugeben. Die Weiterleitung des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl sowie des Beschlusses über die Bewilligung der Verfahrenshilfe sei jedoch als rechtmäßig anzusehen, weshalb die Datenschutzbeschwerde diesbezüglich (mit Spruchpunkt II.) abzuweisen sei.
4 2. Der (erkennbar nur gegen Spruchpunkt I. des Bescheides) erhobenen Beschwerde der Erstmitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. Oktober 2023 Folge, hob den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die DSB zurück. Weiters sprach es aus, dass die ordentliche Revision unzulässig sei.
5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die DSB habe es trotz dem diesbezüglichen Antrag unterlassen, den Dritten, dem der Verfahrenshilfeantrag samt Vermögensbekenntnis weitergeleitet worden sei, zur Frage einzuvernehmen, ob ihm die übermittelten Daten bereits davor bekannt gewesen seien. Da die DSB zu dieser Frage keine Feststellungen getroffen habe, stehe der für eine Entscheidung des BVwG in der Sache erforderliche Sachverhalt nicht fest. Es könne auch nicht gesagt werden, dass die Beweisaufnahme durch das BVwG bei einer Gesamtbetrachtung zu einer erheblichen Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde. Vielmehr diene in einem Fall wie dem vorliegenden die Zurückverweisung der Angelegenheit an die DSB einer raschen und kostensparenden Vervollständigung des Sachverhalts. Vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen, wobei auch auf die der Aufsichtsbehörde nach Art. 58 DSGVO zustehenden Untersuchungsbefugnisse und die sich aus Art. 31 DSGVO ergebende Verpflichtung der Verantwortlichen zur Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde zu verweisen sei, sei daher von der Möglichkeit des Vorgehens nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG Gebrauch zu machen. Im fortgesetzten Verfahren werde die DSB daher den Dritten einzuvernehmen und auf Grundlage einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung diesbezüglich Feststellungen zu treffen haben.
6 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der DSB.
7 Sowohl die Erstmitbeteiligte als auch die Zweitmitbeteiligte (letztere unvertreten) erstatteten eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 4. In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit zum einen vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 57 Abs. 1 lit. f DSGVO. Dem Wortlaut dieser Bestimmung könne nicht entnommen werden, dass die DSB verpflichtet sei, Verfahrenshandlungen zu setzen, die über eine Behandlung „in angemessenem Umfang“ hinausgingen. Im vorliegenden Fall könne nicht gesagt werden, dass das Maß der Untersuchung „in angemessenem Umfang“ nicht erreicht worden sei. Die Aufhebung durch das BVwG sei (auch) aus diesem Grund zu Unrecht erfolgt.
9 Ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage daher in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nach Entscheidung des Verwaltungsgerichtes oder selbst nach Einbringung der Revision bereits geklärt, ist eine Revision wegen fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht (mehr) zulässig (vgl. etwa VwGH 8.8.2018, Ra 2017/04/0090 bis 0091, Rn. 5, mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis VwGH 21.12.2023, Ra 2023/04/0254, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, in einem wie hier vorliegenden Verfahren betreffend eine Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG durch das Verwaltungsgericht bereits mit der Bestimmung des Art. 57 Abs. 1 lit. f DSGVO auseinandergesetzt. Darin hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zu den unionsrechtlichen Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität festgehalten, dass die DSB im Verfahren über eine Datenschutzbeschwerde den sich aus § 37 und § 39 Abs. 2 AVG ergebenden Grundsatz der materiellen Wahrheit (Offizialprinzip, Amtswegigkeitsprinzip) jeweils einzelfallbezogen zu beachten hat, um einer betroffenen Person, die sich in ihren Rechten gemäß der DSGVO verletzt sieht, einen wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten und die Einhaltung der Bestimmungen der DSGVO sicherzustellen. Entgegen der (auch hier in den Revisionsgründen vertretenen) Ansicht der DSB besteht kein Anhaltspunkt für eine „partielle“ Derogation des sich aus § 37 und § 39 Abs. 2 AVG ergebenden Grundsatzes der materiellen Wahrheit durch Art. 57 Abs. 1 lit. f DSGVO zu Lasten der Parteien des Verfahrens über eine Beschwerde gemäß Art. 77 Abs. 1 DSGVO (vgl. VwGH 21.12.2023, Ra 2023/04/0254, Rn. 14).
11 Dem Zulässigkeitsvorbringen, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 57 Abs. 1 lit. f DSGVO, ist somit der Boden entzogen.
12 5. Die Revision erweist sich jedoch im Hinblick auf das in ihrem Zulässigkeitsvorbringen zum anderen dargelegte Abweichen der angefochtenen Entscheidung von näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG als zulässig und berechtigt.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 30.8.2023, Ra 2023/04/0076, Rn. 12, mwN).
14 Die DSB hat auf Grundlage ihrer Ermittlungsergebnisse Feststellungen getroffen und diese ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Es ist angesichts des aktenkundigen verwaltungsbehördlichen Verfahrens nicht ersichtlich, inwiefern diesem Verfahren gravierende Ermittlungslücken im Sinn der dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes anhaften sollten. Die vom BVwG als notwendig angesehenen ergänzenden Ermittlungsschritte hätten vielmehr ohne Schwierigkeit im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG von diesem nachgeholt werden können.
15 Allein der Hinweis des BVwG im angefochtenen Beschluss, es hätte zur notwendigen Klärung der wesentlichen Tatfrage der Einvernahme des Dritten, dem die verfahrensgegenständlichen Daten weitergeleitet worden seien, bedurft, verbunden mit der Ausführung, die DSB habe im fortgesetzten Verfahren auf Grundlage der Ergebnisse dieser Beweisaufnahme eine nachvollziehbare Beweiswürdigung durchzuführen, begründet vorliegend keine die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigende Unterlassung notwendiger Sachverhaltsermittlungen durch die DSB (vgl. in diesem Sinn erneut VwGH 30.8.2023, Ra 2023/04/0076, Rn. 15, mit Hinweis auf VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, Rn. 22, wonach die Notwendigkeit ergänzender Einvernahmen eine Zurückverweisung nicht rechtfertigt und diese Einvernahmen vom Verwaltungsgericht zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durchzuführen wären).
16 Auch die Argumentation des BVwG, die Zurückverweisung der Angelegenheit an die DSB diene einer raschen und kostensparenden Vervollständigung des Sachverhalts, vermag die Behebung und Zurückverweisung nicht zu tragen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits wiederholt ausgesprochen, dass in Fällen, in denen ergänzende Ermittlungen vorzunehmen sind, die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG liegt, zumal diesbezüglich nicht lediglich auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Ausgehend davon kommt es daher nicht darauf an, ob die Ergänzung des von der Verwaltungsbehörde geführten Verfahrens für sich genommen jeweils vor dem Verwaltungsgericht bzw. vor der Verwaltungsbehörde mit höheren Kosten oder einer längeren Verfahrensdauer verbunden wäre. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. VwGH 25.4.2018, Ra 2018/03/0005, Rn. 16).
17 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 13. Juni 2024