Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der revisionswerbenden Partei W e.V., vertreten durch die Holter Wildfellner Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in 4710 Grieskirchen, Uferstraße 10, der gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 7. Juni 2023, Zl. LVwG 552566/2/WG, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde nach dem Oö. Jagdgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck; mitbeteiligte Partei: Republik Österreich [Österreichische Bundesforste], vertreten durch die Österreichische Bundesforste AG, Forstbetrieb Inneres Salzkammergut in 4822 Bad Goisern, Obere Marktstraße 1), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.
1 Mit Bescheid vom 19. April 2021 ordnete die belangte Behörde auf Antrag der mitbeteiligten Partei auf der Grundlage des § 49 Abs. 2 Oö. Jagdgesetz den Zwangsabschuss von Gamswild in den Jagdjahren 2021/22 bis 2023/24 im Bereich einer näher genannten Eigenjagd auf bestimmten Flächen zu bestimmten Zeiten unter Erteilung näher bestimmter Auflagen an.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber eine nach § 19 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 anerkannte Umweltorganisation Beschwerde an das Verwaltungsgericht und stützte seine Beschwerdelegitimation auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 9 Abs. 3 Aarhus Konvention iVm Art. 47 GRC, wonach Mitgliedern der Öffentlichkeit im Sinn dieser Bestimmung der Aarhus Konvention ein wirksamer gerichtlicher Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insbesondere der Vorschriften des Umweltrechts, zu gewährleisten sei.
3 Diese Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Juni 2023 als unzulässig zurückgewiesen. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass anerkannte Umweltorganisationen zwar nach § 91a Abs. 3 Oö. Jagdgesetz gegen bestimmte Bescheide Beschwerde an das Verwaltungsgericht erheben könnten, darunter solche gemäß § 49 Abs. 3 Oö. Jagdgesetz über den Zwangsabschuss von Wild, welches in Anhang IV der FFH Richtlinie angeführt ist. Ein solcher Bescheid liege jedoch nicht vor, weil die Wildart Gams nicht unter Anhang IV, sondern unter Anhang V der FFH Richtlinie falle.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die mit dem Antrag verbunden ist, ihr aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
5 Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG ist der Revision auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Auf die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist diese Bestimmungen nach § 30 Abs. 5 VwGG sinngemäß anzuwenden.
6 Voraussetzung für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist somit, dass die bekämpfte Entscheidung einem Vollzug zugänglich ist. Diese Voraussetzung kann auch im Falle einer Beschwerdezurückweisung vorliegen, wenn der vom Revisionswerber mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht bekämpfte Bescheid einem Vollzug im Sinne des § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG zugänglich ist (vgl. VwGH 23.7.2020, Ra 2020/07/0045, mwN).
7 Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Revisionswerber schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt. Als „unverhältnismäßiger Nachteil für den Revisionswerber“ ist im vorliegenden Fall eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Umweltorganisation zu vertretenden, sich aus unionsrechtlich bedingten Umweltschutzvorschriften ergebenden Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung in die Wirklichkeit zu verstehen (vgl. VwGH 14.4.2022, Ra 2021/10/0111 bis 0112, mwN).
8 Bei der Beurteilung des Vorliegens eines unverhältnismäßigen Nachteils gemäß § 30 Abs. 2 VwGG ist im Falle der Tötung von Wildtieren, die durch die FFH Richtlinie oder die Vogelschutz Richtlinie bzw. durch die diese umsetzenden nationalen Bestimmungen geschützt werden, vordergründig der Zweck der durch die nationalen Schutzbestimmungen umgesetzten Richtlinien, nämlich der Artenschutz und die Arterhaltung, zu berücksichtigen (vgl. erneut VwGH 14.4.2022, Ra 2021/10/0111 bis 0112, mwN sowie VwGH 10.8.2018, Ra 2018/03/0066 bis 0068).
9 Der Revisionswerber bringt dazu im Rahmen seiner Antragsergänzung vom 8. September 2023 im Wesentlichen vor, Art. 14 der FFH RL normiere, dass die Mitgliedsstaaten die notwendigen Maßnahmen zu treffen hätten, damit die Entnahme aus der Natur von Exemplaren der wildlebenden Tierarten des Anhangs V mit der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes vereinbar sei. Dies veranschauliche das große gesamteuropäische Interesse an der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes der unionsrechtlich geschützten Tierarten.
10 Die belangte Behörde habe den Zwangsabschuss von Gamswild zum Schutz des Waldes (aber unter völliger Außerachtlassung der FFH RL) angeordnet. Es sei daher eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes von Gamswild und dem öffentlichen Interesse an der Verringerung von Verbissschäden vorzunehmen.
11 Im konkreten Fall ergebe sich aus der von der belangten Behörde eingeholten Stellungnahme des Bezirksjagdbeirates, dass schwerwiegende Bedenken in Bezug auf den Erhaltungszustand von Gamswild im Bereich der betroffenen Eigenjagd bestünden, sodass der angeordnete Zwangsabschuss umgehend eingestellt werden müsse.
12 Aufgrund des Umstandes, dass eine eingehende Prüfung des Erhaltungszustandes des zu entnehmenden Gamswildes unterblieben sei, überwiege das öffentliche Interesse an einem Aufschub des angeordneten Zwangsabschusses, um die fortlaufende unkontrollierte Entnahme sowie eine damit einhergehende Gefährdung des unionsrechtlich geschützten Gamswildes zu verhindern. Das Interesse an der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes von Gamswild einer nach dem Unionsumweltrecht geschützten Tierart wiege schwerer als die Minimierung von Verbissschäden.
13 Damit wird jedoch kein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG dargelegt:
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu beurteilen. Selbst die mögliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ist kein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (vgl. VwGH 25.8.2021, Ra 2021/03/0132, mwN). Es ist daher nicht schon deshalb von einem die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erfordernden überwiegenden Interesse auszugehen, weil eine nach dem Vorbringen des Antragstellers gebotene eingehende Prüfung des Erhaltungszustandes des Gamswildes unterblieben sei.
15 Bei der Beurteilung, ob ein Eingriff in die von Umweltschutzvorschriften geschützten Interessen einen „unverhältnismäßigen Nachteil“ im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG darstellt, ist unter anderem maßgeblich, inwieweit die Folgen des Eingriffes im Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beseitigt werden können, wobei den Antragsteller eine Konkretisierungspflicht trifft. Die Beurteilung, ob die geltend gemachten Nachteile die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit erreichen, hängt somit von den im Aufschiebungsantrag vorgebrachten konkreten Angaben über die Wiederherstellung des vorigen Zustandes ab (vgl. VwGH 25.8.2021, Ra 2021/03/0132, mwN).
16 Der Antrag bringt zwar vor, dass der günstige Erhaltungszustand des Gamswildes durch den angeordneten Zwangsabschuss nicht aufrechterhalten werde, legt jedoch nicht dar, dass dieser dadurch auf Dauer beeinträchtigt wäre und nicht wieder erreicht werden könnte. Damit zeigt er nicht konkret auf, dass bei Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung den geschützten Gütern für die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof aus der Umsetzung des mit der zurückgewiesenen Beschwerde angefochtenen Bescheides konkrete Nachteile in qualitativer wie quantitativer Hinsicht in einem solchen Ausmaß drohten, dass sie die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG überstiegen (vgl. erneut VwGH 25.8.2021, Ra 2021/03/0132 sowie 10.8.2018, Ra 2018/03/0066 bis 0068, je mwN, vgl. in diesem Zusammenhang auch VwGH 20.12.2006, AW 2006/03/0047, wonach zu berücksichtigen sei, dass forstliche Schäden durch einen überhöhten Wildstand nachhaltiger wirkten und nur langfristig behoben werden könnten, während etwa ein kurzfristig zu stark reduzierter Wildstand rascher wieder das angemessene Niveau erreichen könne).
17 Damit kommt es auch nicht mehr darauf an, ob wie es die belangte Behörde in ihrer Äußerung vom 14. September 2023 unter Hinweis auf das ihrem Bescheid zu Grunde liegende jagd und forstfachliche Gutachten ausführlich argumentiert der Aufschiebung des Vollzuges des Zwangsabschusses im vorliegenden Fall im Hinblick die zu erhaltende Schutzwaldfunktion ein zwingendes öffentliches Interesse an der Wiederbewaldung im Bereich des betroffenen Jagdgebietes, welche rasches und konsequentes Eingreifen erfordere, entgegensteht.
18 Dem Aufschiebungsantrag war damit nicht stattzugeben.
Wien, am 22. September 2023