Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Linz Land gegen das am 6. Juni 2023 mündlich verkündete und am 25. Juli 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, LVwG 605721/8/RK/HUE, betreffend Übertretung des KFG (mitbeteiligte Partei: A in P), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Im Zuge einer uniformierten Zivilstreife wurde eine Übertretung des § 102 Abs. 3 5. Satz KFG durch einen Meldungsleger wahrgenommen und der belangten Behörde mit Anzeige vom 31. Mai 2022 zur Kenntnis gebracht, dass der angezeigte Mitbeteiligte am linken Fahrstreifen gefahren und immer wieder nach unten geblickt habe und dadurch die Spur nicht habe halten können; der Oberteil des Mobiltelefons in weiß inklusive Kamera sei ersichtlich gewesen und habe der Meldungsleger beim Passieren wahrgenommen, dass der Angezeigte ein weißes Mobiltelefon in der rechten Hand gehalten habe.
2 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 27. Dezember 2022 wurde dem Mitbeteiligten in der Folge vorgeworfen, am Tatort zur Tatzeit als Lenker eines näher bezeichneten PKW während der Fahrt ein Mobiltelefon verwendet zu haben, obwohl jegliche Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten ist. Das Mobiltelefon sei auch nicht entsprechend der Ausnahmebestimmung als Navigationssystem verwendet worden. Der Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 102 Abs. 3 5. Satz KFG begangen, weshalb über ihn gemäß § 134 Abs. 3c KFG eine Geldstrafe in der Höhe von € 60, (Ersatzfreiheitsstrafe: 19 Stunden) verhängt und er zur Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrages verpflichtet worden sei.
3 Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) erkannte über die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wie folgt: Es sprach mit Spruchpunkt I. aus, dass das Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt werde; mit Spruchpunkt II. setzte es in den Spruch des Straferkenntnisses anstelle der Wortfolge „BGBl I Nr. 134/2020“ die Wortfolge „BGBl. I Nr. 62/2022“ und mit Spruchpunkt III. wurde ausgesprochen, dass der Mitbeteiligte keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe. Gegen die Entscheidung sei eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig (Spruchpunkt IV.).
4 Das Erkenntnis wurde im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündet und über rechtzeitigen Antrag der belangten Behörde schriftlich ausgefertigt.
5 Das Verwaltungsgericht stellte nach Darlegung, dass es Beweis erhoben habe durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt und Durchführung einer Verhandlung fest, dass der Mitbeteiligte am Tatort zur Tatzeit ein näher bezeichnetes KFZ gelenkt und dabei ein weißes Handy in seiner rechten Hand gehalten habe. Der Meldungsleger habe den Mitbeteiligten in seinem zivilen Dienstfahrzeug während dieser Fahrt beobachtet und diese Feststellung dabei eindeutig treffen können. Ein konkretes Telefonieren mit diesem Handy sei für den Meldungsleger nicht wahrnehmbar gewesen. Der Mitbeteiligte sei vom Meldungsleger angehalten und ihm eine Organstrafverfügung angeboten worden, welche der Mitbeteiligte jedoch abgelehnt habe. Der Mitbeteiligte habe dem Meldungsleger zunächst ein schwarzes Handy mit der Bemerkung gezeigt, dass sich kein Guthaben mehr darauf befinde, um in weiterer Folge ein weißes Handy vorzuweisen. Er habe bestritten, während der Fahrt telefoniert zu haben. Vielmehr habe er sich dahingehend verantwortet, dass er während der Fahrt einen schwarzen Autoschlüssel, welchen er ebenfalls dem Meldungsleger vorgezeigt habe, in der Hand gehalten habe. Die Größe dieses Schlüssels betrage nur etwa 1/3 der Größe des Mobiltelefons.
6 Das Verwaltungsgericht begründete seine Beweiswürdigung, wobei es insbesondere ausführte, weshalb den Aussagen des vernommenen Meldungslegers zu glauben sei. Der Mitbeteiligte sei nicht zur Verhandlung erschienen.
7 Rechtlich erläuterte das Verwaltungsgericht, es gehe vorliegend um eine „Verwendung des Mobiltelefons“, welche aber, sofern damit kein Telefonieren verbunden sei, nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes den zentralen Begriff des Verwendens nicht erfülle. Es sei, selbst wenn man das Halten eines weißen Handys im Zusammenhang als völlig glaubwürdig und unzweifelhaft bezeichnen würde, aber die Voraussetzung einer Strafbarkeit deswegen nicht gegeben, weil dieses „Halten des Handys“ nicht als Verwenden des Gerätes zu qualifizieren wäre, müsse doch damit vielmehr ein Gebrauch verbunden sein. Gerade für einen derartigen Gebrauch habe das abgeführte Beweisverfahren aber keinen hinreichenden und begründbaren belastbaren Hinweis geboten. Im Text des § 102 Abs. 3 KFG komme das bloße Halten des Handys in der Hand des Lenkers nicht als verboten zum Ausdruck. Das bloße Halten des Handys wäre für eine Bestrafung als zu weitgehend anzusehen.
8 Da dem Mitbeteiligten nachweislich lediglich das bloße Halten des Mobiltelefons während der Fahrt als einzige im Verfahren hervorgekommene Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Handy habe angelastet werden können, sei das Verwaltungsstrafverfahren mangels Erfüllung des objektiven Tatbildes aus dem Grunde des § 45 Abs. 1 Z 1 VStG einzustellen, weil dem Mitbeteiligten auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die ihm zur Last gelegte Tat der Verwendung iSd § 102 Abs. 3 KFG nicht habe erwiesen werden können. Dies insbesondere unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Verantwortung des Mitbeteiligten, welcher ein Telefonieren während der Fahrt (schon wegen vorgeblichen Haltens eines anderen Gegenstandes, als den eines Handys) durchgängig in Abrede gestellt habe. Auch das allfällige Behalten eines Mobiltelefons in der Hand während der Fahrt würde aber keine Verwaltungsübertretung aufgrund der obigen Ausführungen bilden.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.
10 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.
12 § 102 Abs. 3 KFG idF der 32. KFG Novelle, BGBl. I Nr. 40/2016, lautet wie folgt:
„ § 102. Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers
(1) [...]
(3) Der Lenker muß die Handhabung und Wirksamkeit der Betätigungsvorrichtungen des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges kennen. Ist er mit ihrer Handhabung und Wirksamkeit noch nicht vertraut, so darf er das Fahrzeug nur mit besonderer Vorsicht lenken. Er muss die Lenkvorrichtung während des Fahrens mit mindestens einer Hand festhalten. Er hat sich im Verkehr der Eigenart des Kraftfahrzeuges entsprechend zu verhalten. Während des Fahrens ist dem Lenker das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten. Der Bundesminister für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie hat unter Bedachtnahme auf die Verkehrssicherheit und den Stand der Technik durch Verordnung die näheren Vorschriften bezüglich der Anforderungen für Freisprecheinrichtungen festzulegen. Freisprecheinrichtungen müssen den Anforderungen der Produktsicherheitsbestimmungen für Freisprecheinrichtungen entsprechen.“
13 Die Materialien zu dieser Novelle, RV 1054, 25. GP, S 9, führen dazu aus wie folgt:
„Es soll ausdrücklich klargestellt werden, dass während des Fahrens neben dem Telefonieren ohne Benutzung einer Freisprecheinrichtung jegliche andere Handhabung des Mobiltelefons verboten ist. Ausgenommen wird nur das Verwenden des Navigationssystems des Mobiltelefons, wenn dieses im Fahrzeug befestigt ist. Es werden ja auch in Fahrzeugen eingebaute oder temporär angebrachte Navigationsgeräte verwendet.“
14 Im Bericht des Verkehrsausschusses (1334 BlgNR 20. GP) wird die Einfügung der Stammfassung der Sätze 5 bis 7 dieser Bestimmung durch BGBl. I Nr. 146/1998, d.h. vor der hier maßgeblichen 32. KFG Novelle, wie folgt begründet:
„Es ist durch einige Studien belegt, daß durch ablenkende Tätigkeiten während des Autofahrens ein erhöhtes Unfallrisiko bewirkt wird.
Gerade das Halten eines Handy[s] während der Fahrt lenkt vom Verkehrsgeschehen ab. Deshalb erscheint es zielführend, dieses Problem im KFG bei den Lenkerpflichten ausdrücklich zu regeln.“
15 § 134 Abs. 3c KFG lautet wie folgt:
„(3c) Wer als Lenker eines Kraftfahrzeuges die in § 102 Abs. 3 fünfter Satz angeführte Verpflichtung nicht erfüllt, begeht, wenn dies bei einer Anhaltung gemäß § 97 Abs. 5 StVO 1960 festgestellt wird oder aus Beweismaterial aus bildgebender Verkehrsüberwachung gemäß §§ 98a, 98b, 98c, 98d oder 98e StVO 1960 einwandfrei erkennbar ist, eine Verwaltungsübertretung, welche im Falle einer Anhaltung mit einer Organstrafverfügung gemäß § 50 VStG mit einer Geldstrafe von 100 Euro zu ahnden ist. Wenn die Zahlung des Strafbetrages verweigert wird, oder wenn die Übertretung anhand von Beweismaterial aus bildgebender Verkehrsüberwachung festgestellt wird, ist von der Behörde eine Geldstrafe bis zu 140 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe bis zu 24 Stunden, zu verhängen. Erfolgt die Übertretung durch eine Person, die sich noch in der Probezeit befindet, so sind auch im Falle einer Anhaltung die Daten der Person (Name, Geburtsdatum) sowie Zeit und Ort der Übertretung zu erfassen und es ist die Führerscheinbehörde davon zu verständigen.“
16 Aus den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes folgt, dass der Mitbeteiligte am Tatort zur Tatzeit ein näher bezeichnetes KFZ gelenkt und dabei ein weißes Handy in seiner rechten Hand gehalten hat.
17 § 102 Abs. 3 KFG verbietet dem Lenker eines KFZ das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie „jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons“. Die Ausnahme des Verwendens des Navigationssystems des Mobiltelefons, wenn dieses im Fahrzeug befestigt ist, lag nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes nicht vor.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits hinsichtlich einer Übertretung des § 102 Abs. 3 KFG idF vor der 32. KFG Novelle Folgendes ausgeführt (VwGH 14.7.2000, 2000/02/0154):
„Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kommt es jedoch nicht darauf an, ob dieser tatsächlich telefoniert hat oder nicht. Aus dem Bericht des Verkehrsausschusses (1334 BlgNR 20. GP) ergibt sich nämlich, dass Anlass für die auf einen Initiativantrag zurückzuführende Pflicht zur Verwendung von Freisprecheinrichtungen das erhöhte Unfallrisiko war. Wörtlich wird ausgeführt: ‚Gerade das Halten eines Handy während der Fahrt lenkt vom Verkehrsgeschehen ab. Deshalb erscheint es zielführend, dieses Problem im KFG bei den Lenkerpflichten ausdrücklich zu regeln‘.
Das im § 102 Abs. 3 KFG geregelte Verbot für den Lenker, während des Fahrens ohne Verwendung einer Freisprecheinrichtung zu telefonieren, umfasst daher jede Verwendung eines ‚Handys‘ ohne Freisprecheinrichtung zu Fernsprechzwecken, wie etwa auch aus welchen Gründen immer gescheiterte Versuche, das Mobiltelefon während des Lenkens (ohne Freisprecheinrichtung) in Betrieb zu nehmen.
Diese Auslegung stimmt auch mit dem im § 102 Abs. 3 KFG zum Ausdruck gebrachten Grundsatz überein, wonach der Lenker die Lenkvorrichtung während des Fahrens mit mindestens einer Hand festhalten muss; können nämlich Fahrmanöver nicht auf bloße Lenkbewegungen (Bedienung des Lenkrades) reduziert werden, sondern ist daneben auch noch die Betätigung von anderen Fahrzeugeinrichtungen (z.B. die Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers) erforderlich, könnte dem erwähnten Grundsatz betreffend das Festhalten der Lenkvorrichtung nicht entsprochen werden, wenn gleichzeitig ein Mobiltelefon (auch ohne Zustandekommens eines Gespräches) bedient wird.“
19 Nachdem bereits nach der Rechtslage vor der 32. KFG Novelle § 102 Abs. 3 KFG „jede Verwendung eines ‚Handys‘ ohne Freisprecheinrichtung zu Fernsprechzwecken“ erfasst hat und der Gesetzgeber dieses Verbot damit begründet hat, dass „[g]erade das Halten eines Handy während der Fahrt“ vom Verkehrsgeschehen ablenkt, kann auch nunmehr das „bloße“ Halten eines Handys während der Fahrt durchaus unter § 102 Abs. 3 KFG subsumiert werden, wenn mit dem Halten eine Verwendung verbunden ist (vgl. VwGH 29.8.2023, Ra 2023/11/0101, wonach die Inanspruchnahme einer gerätespezifischen Funktion als „jeglicheandere Verwendung des Mobiltelefons“ zu verstehen ist).
20 Dabei ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass das Verwaltungsgericht nicht zu allen Aspekten der Anzeige somit dem Akteninhalt Feststellungen getroffen hat:
21 Aktenwidrigkeit liegt dabei vor, wenn die Entscheidung in ihrer Begründung von Sachverhalten ausgeht, die sich aus dem Akt überhaupt nicht oder nicht in der angenommenen Weise ergeben, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind (vgl. VwGH 5.10.2023, Ra 2023/02/0119, mwN).
22 Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Mitbeteiligte ein weißes Handy in der Hand gehalten hat. Mit den Angaben des Meldungslegers in der Anzeige, wonach der Lenker immer wieder nach unten geblickt und die Spur nicht gehalten habe, hat sich das Verwaltungsgericht überhaupt nicht auseinandergesetzt. Gerade aber die wiederkehrenden Blicke auf das Gerät legen die in der Anzeige und dem Straferkenntnis angelastete „Verwendung“ im Sinne des § 102 Abs. 3 KFG nahe.
23 Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung der Angaben in der Anzeige zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, erweist sich das angefochtene Erkenntnis und zwar wegen Untrennbarkeit auch dessen Spruchpunkt II., mit dem der Spruch des vom Verwaltungsgericht zur Gänze aufgehobenen Straferkenntnisses von diesem gleichzeitig geändert wurde somit als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben.
Wien, am 22. November 2023