JudikaturVwGH

Ra 2022/20/0273 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
09. Mai 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des M H, vertreten durch Mag. a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Juli 2022, W124 2199941 1/32E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Äthiopiens, reiste im April 2017 in Österreich ein und setzte seine Reise nach Belgien fort, wo er am 18. Mai 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Am 15. September 2017 wurde er nach der Dublin III Verordnung von Belgien nach Österreich rücküberstellt.

2 Mit Bescheid vom 14. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den in der Folge hier gestellten Antrag auf internationalen Schutz des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Äthiopien zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Der Revisionswerber hatte in Österreich im Jahr 2018 eine äthiopische Staatsangehörige kennengelernt, mit der er seither eine Lebensgemeinschaft führt und kirchlich verheiratet ist. Am 25. Juni 2021 wurde der gemeinsame Sohn in Österreich geboren. Die Lebensgefährtin des Revisionswerbers hatte für sich sowie nach dessen Geburt für den gemeinsamen Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Diese Anträge wurden mit den Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. Mai 2018 (betreffend die Lebensgefährtin) und vom 28. September 2021 (betreffend den Sohn) abgewiesen. Unter einem erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Lebensgefährtin und dem Sohn des Revisionswerbers jeweils keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Äthiopien zulässig sei und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die dagegen eingebrachten Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit den Erkenntnissen vom 28. Juli 2022 als unbegründet ab.

4 Die Lebensgefährtin und der Sohn des Revisionswerbers erhoben dagegen außerordentliche Revisionen. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss und Erkenntnis vom 18. April 2023, Ra 2022/18/0219, 0220, die Revisionen, soweit die sich gegen die die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richteten, zurückgewiesen. In ihrem übrigen Umfang also soweit der Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde und in Bezug auf die davon rechtlich abhängigen Aussprüche wurden die genannten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

5 Die vom Revisionswerber gegen den Bescheid vom 14. Juni 2018 eingebrachte Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 4. Juli 2018 vorgelegt. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Juli 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung am 16. März 2021 die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 4. Oktober 2022, E 2315/2022 8, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 25. Oktober 2022, E 2315/2022 10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7 Daraufhin wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben. Nach Vorlage der Revision samt der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

9 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht kein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 durchgeführt. Es hätte gemeinsam über seine Beschwerde und jene seines Sohnes entscheiden müssen. Eine etwaige Aufhebung des den Sohn des Revisionswerbers betreffenden Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes durch den Verwaltungsgerichtshof könne zu divergierenden Verfahrensergebnissen führen. Weiters bringt der Revisionswerber auf das Wesentliche zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe ohne nachvollziehbare Begründung näher genannte Positionen des UNHCR zur allgemeinen Lage in Äthiopien nicht beachtet, seiner Entscheidung veraltete Länderberichte zugrunde gelegt und sich mit der individuellen Rückkehrsituation des Revisionswerbers, insbesondere mit der besonderen Vulnerabilität der Familie des Revisionswerbers, der ein Kleinkind angehöre, nicht hinreichend auseinandergesetzt.

10 Die Revision ist teilweise zulässig. Sie ist im Umfang ihrer Zulässigkeit auch begründet.

11 Zur teilweisen Zurückweisung der Revision :

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu treffen.

14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15 Mit dem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte über die Beschwerde des Revisionswerbers und jene seines Sohnes gemeinsam entscheiden müssen, macht der Revisionswerber einen Verfahrensmangel geltend (vgl. VwGH 27.8.2021, Ra 2021/19/0173). Wird im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 und 5 AsylG 2005 über die Beschwerden wenngleich von unterschiedlichen Entscheidungsorganen vom Bundesverwaltungsgericht gleichförmig entschieden, indem in der Sache keinem Beschwerdeführer ein Schutzstatus zugesprochen und damit einerseits dem Ziel der Vorschrift des § 34 Abs. 4 und 5 AsylG 2005, allen Familienangehörigen den gleichen Schutzstatus zu gewähren, entsprochen und andererseits die Aufrechterhaltung des Familienverbandes nicht gefährdet wird, so fehlt dem behaupteten Verfahrensmangel aber die für die Zulässigkeit der Revision notwendige Relevanz (vgl. VwGH 8.3.2021, Ra 2019/14/0587).

16 Das Bundesverwaltungsgericht hat über die Beschwerde des Revisionswerbers und die Beschwerde seines Sohnes (wie auch über jene seiner Lebensgefährtin) im Hinblick auf das Begehren auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gleichförmig entschieden, indem weder dem Revisionswerber noch seinem Sohn der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Die gegen diese Entscheidungen eingebrachten Revisionen des Sohnes und der Lebensgefährtin wurden, soweit sie sich gegen die Versagung dieses Status richteten, vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. April 2023, Ra 2022/18/0219, 0220, zurückgewiesen, sodass diesbezüglich entgegen dem in der Revision erstatteten Vorbringen keine divergierenden Verfahrensergebnisse vorliegen. Dem geltend gemachten Verfahrensmangel fehlt es somit in Bezug auf die Entscheidung, mit der der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde an der für die Zulässigkeit der Revision erforderlichen Relevanz.

17 Auch sonst wird in der Revision, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht aufgezeigt. Es finden sich darin insbesondere keine Ausführungen betreffend die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene mangelnde Glaubhaftmachung des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers.

18 In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig zurückzuweisen.

19 Zur Aufhebung :

20 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit auch im Hinblick auf die Verweigerung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten die Verletzung des § 34 AsylG 2005 geltend gemacht.

21 Das Bundesverwaltungsgericht hat über die Beschwerden des Revisionswerbers und seines Sohnes (wie auch seiner Lebensgefährtin) zwar hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten ebenfalls gleichförmig entschieden, indem in der Sache keinem ein solcher Schutzstatus zugesprochen wurde. Allerdings wurde das den Sohn betreffende Erkenntnis in Bezug auf die Versagung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mittlerweile vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18. April 2023, Ra 2022/18/0219, 0220, aufgehoben, sodass dessen Beschwerdeverfahren insoweit wieder unerledigt ist. Zu beachten ist, dass gemäß § 42 Abs. 3 VwGG die Aufhebung eines Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes durch den Verwaltungsgerichtshof „ex tunc“ wirkt. Das bedeutet, dass der Rechtszustand im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob das aufgehobene Erkenntnis von Anfang an nicht erlassen worden wäre (vgl. erneut VwGH 8.3.2021, Ra 2019/14/0587, mwN).

22 Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen durch den Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (siehe erneut VwGH 8.3.2021, Ra 2019/14/0587, mwN).

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die rechtlich darauf aufbauenden Aussprüche, die ihre Grundlage verlieren, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

24 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und Z 4 VwGG abgesehen werden.

25 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 50 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. Mai 2023

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