Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des S H in S, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, LLM, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf Dietrich Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2021, L516 2170893 1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 1. Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Mit Bescheid vom 25. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16. Dezember 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der vom Revisionswerber gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 29. April 2022, E 4503/2021 7, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Eingangs ist auf das Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision, der Revisionswerber sei Staatsangehöriger Afghanistans und nicht wie vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt und seiner weiteren Beurteilung zugrunde gelegt pakistanischer Staatsangehöriger, einzugehen. Damit wendet sich die Revision unter Anführung eigener Überlegungen der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts.
9 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 24.6.2022, Ra 2022/20/0130, mwN).
Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Erwägungen betreffend die Feststellung zur pakistanischen Staatsangehörigkeit tragend auf die eigenen Angaben des Revisionswerbers in der Erstbefragung und den in der Folge widersprüchlichen und vagen Ausführungen auch im Zusammenhalt mit den vorgelegten Urkunden gestützt. Die Revision zeigt nicht auf, dass die diesbezüglichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts als unvertretbar einzustufen wären. Darauf, dass auch ein anderer Sachverhalt hätte schlüssig begründet werden können, kommt es nach dem oben dargestellten, im Revisionsverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstab nicht an.
10 Sohin ist bei der Prüfung des übrigen Zulässigkeitsvorbringens die pakistanische Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers zugrunde zu legen (§ 41 VwGG).
11 Der Revisionswerber macht geltend, die Begründung betreffend die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei unschlüssig. Insbesondere könne aus dem Umstand, dass andere Hazara in andere Wohnorte innerhalb Pakistans ziehen würden, nicht geschlossen werden, dass die Lage in diesen Orten hinreichend sicher wäre.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 9.6.2021, Ra 2021/20/0186, mwN).
13 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich mit der Sicherheits- und Versorgungslage der als innerstaatliche Fluchtalternativen genannten Städte auf Grundlage von Länderberichten und unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Revisionswerbers auseinander, mit der der Revisionswerber im Fall der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative konfrontiert wäre. Dem Revisionswerber gelingt es mit seiner eigenen Interpretation der Länderfeststellungen nicht darzulegen, dass die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts unschlüssig wäre oder nicht von den getroffenen Länderfeststellungen getragen würde.
14 Weiters rügt der Revisionswerber eine unzureichende Auseinandersetzung des Bundesverwaltungsgerichts mit den der Entscheidung zugrunde gelegten Länderfeststellungen, die Verletzung des Parteiengehörs aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur Stellungnahme zu einem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderbericht sowie einen Begründungsmangel im Zusammenhang mit der Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, der Revisionswerber spreche eine in Pakistan gebräuchliche Sprache. Damit macht er Verfahrensmängel geltend.
15 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 6.5.2022, Ra 2021/20/0438 bis 0441, mwN).
16 Schon vor dem Hintergrund des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelingt es dem Revisionswerber nicht aufzuzeigen, inwieweit den behaupteten Verfahrensfehlern eine Relevanz für das Verfahrensergebnis zukommen könnte.
17 Soweit sich der Revisionswerber gegen die im Zuge der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung wendet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 30.9.2022, Ra 2022/20/0240, mwN).
18 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. erneut VwGH 30.9.2022, Ra 2022/20/0240).
19 Zutreffend verweist die Revision darauf, dass es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht, dass auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA VG) Bedeutung zukommen kann. Der Revisionswerber übersieht jedoch, dass das Bundesverwaltungsgericht unter Zugrundelegung der Erwägungen zur Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative von der Möglichkeit der Schaffung einer solchen ausgegangen ist (vgl. VwGH 15.3.2021, Ra 2021/20/0037, mwN).
20 Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG auf die fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände, auch auf solche, die in der Revision angesprochen werden, Bedacht genommen. Dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Gewichtung dieser Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte, ist nicht zu sehen.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 5. Dezember 2022