JudikaturVwGH

Ra 2022/17/0195 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des I F, vertreten durch Mag. Philipp Tschernitz, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Glasergasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. August 2022, W226 2177662 1/55E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1. Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Elfenbeinküste (Republik Cote d’Ivoire), hält sich seit dem Jahr 2005 durchgehend in Österreich auf. Er stellte seitdem drei Anträge auf internationalen Schutz, die rechtskräftig ab bzw. zurückgewiesen wurden. Zudem wurde er in den Herkunftsstaat ausgewiesen, verblieb aber unrechtmäßig im Bundesgebiet.

2.1. Mit Bescheid vom 31. Oktober 2017 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen werde, die Zulässigkeit seiner Abschiebung in den Herkunftsstaat festgestellt werde und eine Frist von zwei Wochen für seine freiwillige Ausreise eingeräumt werde.

2.2. Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

2.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 31. August 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. das Fehlen einer solchen Rechtsprechung in den nachstehend näher erörterten Punkten behauptet wird.

3.2. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

4. Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

An den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat jedoch die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

5.1. Die Revision wendet sich in dieser Hinsicht zunächst gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts. Sie führt dazu aus, dem Verwaltungsgerichtshof stehe eine diesbezügliche Kontrolle (nur) dahingehend zu, ob der Sachverhalt genügend erhoben worden sei, ob die bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen schlüssig seien und ob alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt worden seien. Hingegen sei der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung, die einer Überprüfung nach den genannten Gesichtspunkten standhalte, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen.

Vorliegend sei das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs insoweit abgewichen, als es die Beweiswürdigung „in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen“ habe. Auch „die widersprüchlichen Feststellungen mit der Beweiswürdigung“ zeigten „eine Unschlüssigkeit des Erkenntnisses auf“. Die Beweiswürdigung wäre zudem „anders ausgefallen“, wenn das Verwaltungsgericht „die Länderfeststellungen genau gelesen“ hätte.

5.2. Wie die Revision zutreffend aufzeigt, ist der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts im Allgemeinen nicht berufen. Die Beweiswürdigung ist einer Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nur insofern zugänglich, als es um die Beurteilung geht, ob die Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden und ob die angestellten Erwägungen schlüssig sind. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 27.8.2024, Ra 2021/17/0165, Pkt. 8.2., mwN).

Eine nach diesen Kriterien vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung ist in der Zulässigkeitsbegründung mit einem entsprechend konkretisierten und substanziierten Vorbringen aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 23.2.2024, Ra 2022/22/0030, Rn. 24, mwN; 27.4.2022, Ra 2021/22/0052 bis 0053, Rn. 9). Lediglich pauschal bzw. allgemein gehaltene diesbezügliche Behauptungen (ohne konkreten Fallbezug) reichen nicht aus.

5.3. Gegenständlich hält die Beweiswürdigung einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nach den oben dargestellten Kriterien stand. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Feststellungen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (samt Vernehmung des Revisionswerbers) auf Basis der vorliegenden Beweisergebnisse getroffen und dabei eine eingehende und schlüssige Beweiswürdigung vorgenommen. Es kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass diese Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre.

Eine derartige Fehlbeurteilung vermag (auch) die Revision mit ihrem oben wiedergegebenen nur ganz allgemein bzw. pauschal gehaltenen, keinen hinreichenden Fallbezug herstellenden Vorbringen nicht darzulegen.

6.1. Der Revisionswerber releviert weiters, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gelte auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip. Demnach bestehe die Verpflichtung, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen. Werde ein derartiger Verfahrensmangel geltend gemacht, so sei auch dessen Relevanz entsprechend darzutun.

Hätte im hier zu beurteilenden Fall das Bundesverwaltungsgericht „dem Grundsatz der Amtswegigkeit entsprochen“, so wäre ein „anderes, für den Revisionswerber günstigeres Erkenntnis ergangen“.

6.2. Wie der Revisionswerber zutreffend hervorhebt, gelten in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit (siehe die §§ 39 Abs. 2, 37 AVG iVm § 17 VwGVG). Das Verwaltungsgericht hat daher unabhängig vom Vorbringen und von den Anträgen der Parteien die Pflicht, von Amts wegen für die Durchführung aller zur Klarstellung des maßgeblichen Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen (vgl. etwa VwGH 23.7.2024, Ra 2022/22/0015 bis 0016, Pkt. 8.1., mwN).

Dabei stellt jedoch die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Stands der Ermittlungen ein ausreichend erhobener Sachverhalt vorliegt oder ob noch weitere amtswegige Beweisaufnahmen erforderlich sind, regelmäßig sofern nicht von einem krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Fehler auszugehen ist keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. etwa VwGH 4.9.2024, Ra 2024/17/0071 bis 0073, Pkt. 6.3., mwN).

6.3. Vorliegend zeigt der Revisionswerber (mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen) in keiner Weise auf, welche weiteren Beweisaufnahmen vom Bundesverwaltungsgericht durchzuführen gewesen wären und inwieweit deren Unterbleiben nach Lage des Falls einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und daher fallbezogen eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfenden Fehler darstellen könnte. Derartiges ist auch nicht zu sehen.

6.4. Zudem fehlt es an der gebotenen Relevanzdarstellung. Die Zulässigkeit der Revision setzt nämlich im Fall einer Mängelrüge voraus, dass auch die Relevanz für den Verfahrensausgang im Sinn der Eignung, bei einem mängelfreien Verfahren zu einer anderen, für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen dargetan wird (vgl. etwa VwGH 27.5.2024, Ra 2023/17/0140 bis 0141, Pkt. 6.2., mwN).

Dem wird das oben aufgezeigte auch insoweit nur ganz allgemein bzw. pauschal gehaltene Zulässigkeitsvorbringen nicht im Ansatz gerecht.

7.1. Die Revision macht des Weiteren geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe die private und familiäre Situation des Revisionswerbers zu wenig gewürdigt. Andernfalls wäre es zum Ergebnis gelangt, dass dem Revisionswerber jedenfalls ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werden müsse und zudem keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfe.

7.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. etwa VwGH 21.3.2025, Ra 2022/17/0013, Pkt. 5.2., mwN).

Eine derartige Interessenabwägung ist vom Verwaltungsgerichtshof nur dann aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien und Grundsätze nicht beachtet und damit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse und unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 20.2.2025, Ra 2022/17/0155, Pkt. 6.2., mwN).

7.3. Vorliegend stellte das Bundesverwaltungsgericht die fallbezogen maßgeblichen Umstände in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung fest und bezog sie in seine in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ein. Dass es dabei die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien und Grundsätze in unvertretbarer Weise außer Acht gelassen bzw. eine krasse und unvertretbare Fehlbeurteilung vorgenommen hätte, wird im auch insoweit bloß ganz allgemein bzw. pauschal gehaltenen Zulässigkeitsvorbringen nicht ansatzweise dargetan und ist auch nicht zu sehen.

8.1. Die Revision releviert ferner, der Verwaltungsgerichtshof habe sich zwar schon mit der Frage der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen in Österreich aufgewachsene und straffällig gewordene Personen auseinandergesetzt. Demgegenüber fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob gegen nicht in Österreich aufgewachsene, aber bereits mehr als zehn Jahre hier aufhältige und straffällig gewordene Personen eine Rückkehrentscheidung erlassen werden könne.

8.2. Bei der Beantwortung der Frage, ob einem unrechtmäßig aufhältigen Fremden ein aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zuzugestehen ist, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblich darauf Bedacht zu nehmen, ob sich der Fremde bereits mehr als zehn Jahre im Bundesgebiet aufhält (vgl. etwa jüngst VwGH 24.3.2025, Ra 2024/20/0729, Rn. 31). Bei einem Aufenthalt von einer solchen Dauer ist nämlich regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die im Bundesgebiet verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa VwGH 17.9.2021, Ra 2020/19/0420, Rn. 23, mwN).

Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof in dem Zusammenhang auch schon wiederholt ausgesprochen, dass selbst ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen führt, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken oder die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Derartige Umstände stellen insbesondere auch strafgerichtliche Verurteilungen dar, die die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und eine erfolgte Integration relativieren können (vgl. etwa VwGH 25.10.2023, Ra 2023/20/0125, Rn. 37 und 39; neuerlich VwGH 24.3.2025, Ra 2024/20/0729, diesmal Rn. 33 und 35).

8.3. Im Hinblick darauf liegt jedoch bereits Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu der in Rede stehenden Rechtsfrage vor. Ein Abweichen des Bundesverwaltungsgerichts von dieser Judikatur ist in Anbetracht der zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers wegen Straftaten nach dem SMG (darunter das Verbrechen des Suchtgifthandels) nicht zu sehen.

9. Insgesamt wird daher im Zulässigkeitsvorbringen keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 26. Juni 2025

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