Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des A A Y A, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. April 2022, L529 2176530 2/19E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 richtet.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 30. Jänner 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztlich in der Sache mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juni 2020 abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung in den Irak festgestellt und eine Frist für seine freiwillige Ausreise festgelegt. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
2 Der Revisionswerber verblieb in Österreich und beantragte am 4. Juni 2021 die Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen nach § 56 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
3 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 2. Juli 2021 wurde dieser Antrag abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG gegen den Revisionswerber erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung in den Irak festgestellt und eine Frist für seine freiwillige Ausreise festgesetzt.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde. Mit Schreiben vom 20. April 2022 gab der Revisionswerber dem Bundesverwaltungsgericht bekannt, dass er während des Beschwerdeverfahrens eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe, die im Jahr 2018 mehr als drei Monate lang in den Niederlanden gewohnt und gearbeitet und damit ihr unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen habe, welches auch nach ihrer Rückkehr in das Bundesgebiet erhalten geblieben sei. Unter einem legte er Dokumente zum Beleg vor.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Weiters sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei. Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem fest, dass der Revisionswerber eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe. Mit dem Vorbringen, dass diese in der Vergangenheit in den Niederlanden gewohnt und gearbeitet habe, setzte sich das Bundesverwaltungsgericht nicht auseinander.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat.
Zur teilweisen Zurückweisung der Revision
7 Liegen wie hier trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. VwGH 7.4.2022, Ra 2019/17/0110, mwN).
8 Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Revision die Bezeichnung der Rechte, in denen die revisionswerbende Partei verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte), zu enthalten. Durch die von der revisionswerbenden Partei vorgenommene Bezeichnung der Revisionspunkte wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder des angefochtenen Beschlusses gemäß § 41 VwGG gebunden ist. Demnach hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob durch die angefochtene Entscheidung irgendein subjektives Recht der revisionswerbenden Partei verletzt wurde, sondern nur zu prüfen, ob jenes Recht verletzt wurde, dessen Verletzung sie behauptet. Der in § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG geforderten Angabe der Revisionspunkte kommt für den Prozessgegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Revisionswerber jenes subjektive Recht herauszuheben hat, dessen behauptete Verletzung die Legitimation zur Revisionserhebung erst begründet. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. VwGH 14.6.2021, Ra 2020/17/0088, mwN).
9 In der vorliegenden Revision wird unter der Überschrift „III. Revisionspunkte und Revisionsgründe“ ausgeführt, das angefochtene Erkenntnis verletze den Revisionswerber in „seinem gesetzlich gewährleisteten Recht auf ein den Verwaltungsverfahrensgesetzen entsprechendes Ermittlungsverfahren, insbesondere in der Feststellung und Begründung des maßgeblichen Sachverhalts gemäß § 60 AVG.“ Der Revisionswerber sei weiters „in seinem Recht, nicht mit einer Rückkehrentscheidung belegt zu werden, sowie nicht in den Irak abgeschoben zu werden“, verletzt worden.
10 In Bezug auf den Ausspruch über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 wird als Revisionspunkt daher nur die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Dadurch wird aber nicht dargetan, in welchen subjektiven Rechten im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG der Revisionswerber nach dem Inhalt dieses verwaltungsgerichtlichen Abspruches verletzt ist, sodass es sich insoweit um Revisionsgründe, nicht jedoch um Revisionspunkte handelt, zumal diese nicht losgelöst von materiellen Rechten zu einer Verletzung subjektiver Rechte führen können (vgl. VwGH 2.10.2020, Ra 2020/02/0221, mwN).
Mit den vom Revisionswerber dieserart bezeichneten „Revisionspunkten“ macht er sohin in Hinblick auf den Ausspruch über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 kein subjektiv öffentliches Recht im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG geltend, in dem er verletzt sein könnte. Damit erweist sich die Revision insoweit als unzulässig und ist daher in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses
11 Die Revision führt zur Zulässigkeit aus, die Gattin des Revisionswerbers, eine österreichische Staatsbürgerin, habe in der Vergangenheit ein ihr zukommendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen, sodass auch der Revisionswerber mit der Eheschließung ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben habe und nicht mit einer Rückkehrentscheidung hätte belegt werden dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht sei daher von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es das Vorbringen über den Arbeitsaufenthalt der Ehegattin des Revisionswerbers in den Niederlanden nicht berücksichtigt habe.
Auf Grund dieses Vorbringens erweist sich die Revision, soweit sie sich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen wendet, als zulässig und begründet:
12 Nach § 2 Abs. 4 Z 11 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ist begünstigter Drittstaatsangehöriger u.a. der Ehegatte eines Österreichers, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2019/20/0523, mwN).
13 Gegen begünstigte Drittstaatsangehörige kann eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG nicht erlassen werden. Das ordnet das Gesetz zwar ausdrücklich nur für die Tatbestände des § 52 Abs. 2 FPG siehe den letzten Satz dieses Absatzes an, die generelle Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen begünstigte Drittstaatsangehörige ergibt sich aber schon daraus, dass die mit § 52 FPG umgesetzte Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) nach ihrem Art. 2 Abs. 3 auf begünstigte Drittstaatsangehörige nicht anzuwenden ist (vgl. VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0014, mwN; vgl. erneut VwGH 26.2.2020, Ra 2019/20/0523, mwN; ähnlich VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0270, sowie 31.5.2023, Ra 2021/21/0236, mwN).
14 Nach den im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen ist der Revisionswerber mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Er brachte in dem Zusammenhang vor, seine Ehegattin sei mehr als drei Monate lang in den Niederlanden erwerbstätig gewesen und habe damit von ihrem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht Gebrauch gemacht. Er legte zum Beweis dafür auch niederländische Gehaltsbestätigungen seiner Ehegattin vor.
15 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, hat das Bundesverwaltungsgericht dieses Vorbringen zur Erwerbstätigkeit und Wohnsitznahme der Ehegattin des Revisionswerbers in den Niederlanden nicht berücksichtigt. Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage hätte es einer Auseinandersetzung mit der Frage bedurft, ob diese behaupteten Umstände vorliegen und dazu führen, dass der Revisionswerber begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist (vgl. zu den Voraussetzungen VwGH 29.9.2011, 2009/21/0386, mwN; vgl. wieder VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0270). Im Fall der Bejahung dieser Frage hätte nämlich gegen den Revisionswerber nach der vorzitierten Rechtsprechung keine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen erlassen werden dürfen.
16 Ergänzend weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass begünstigten Drittstaatsangehörigen gemäß § 54 Abs. 5 AsylG 2005 auch kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werden darf (vgl. wieder VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0014, mwN; vgl. weiters erneut VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0270, mwN).
17 Die unterbliebene Auseinandersetzung mit der vom Revisionswerber behaupteten Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts durch seine Ehegattin belastet das angefochtene Erkenntnis mit einem sekundären Feststellungsmangel.
18 Ausgehend davon war das Erkenntnis, soweit damit die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden weiteren Spruchpunkte bestätigt wurden, wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 4 VwGG abgesehen werden.
20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 18. Februar 2025
