JudikaturVwGH

Ro 2022/10/0025 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
15. Mai 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision der S H in W, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 9. Mai 2022, Zl. VGW 106/078/4534/2021 52, betreffend Apothekenkonzession (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. pharm. N A, vertreten durch Mag. Dr. Eleonore Berchtold Ostermann, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Bräunerstraße 6, 2. Mag. pharm. V L, vertreten durch die NMC Rechtsanwälte OG in 1020 Wien, Taborstraße 11B, 3. M Apotheke KG in W, 4. Mag. pharm. B O, vertreten durch Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weyrgasse 8/5 (Mezzanin), und 5. W Apotheke KG, vertreten durch Dr. Thomas G. Eustacchio, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währingerstraße 26), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat der erst- und der viertmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit dem im Beschwerdeverfahren ergangenen angefochtenen Erkenntnis vom 9. Mai 2022 wies das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) den Antrag der Revisionswerberin auf Erteilung einer Bewilligung zur Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke an einem näher beschriebenen Standort mit einer näher bezeichneten Betriebsstätte ab. Gleichzeitig erklärte es die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig.

2 Das Verwaltungsgericht stellte soweit für den vorliegenden Revisionsfall von Interesse fest, dass sich die in Aussicht genommene Betriebsstätte der von der Revisionswerberin beantragten Apotheke im Untergeschoß des Hauptbahnhofes W befinde. Die jeweilige Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der beantragten Apotheke und der bereits bestehenden öffentlichen J Apotheke sowie zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der beantragten Apotheke und der bereits bestehenden öffentlichen E Apotheke betrage weniger als 500 m (wird unter Zugrundelegung verschiedener Wegführungen näher beschrieben).

3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 Apothekengesetz (ApG) ein Bedarf an einer neu zu errichtenden Apotheke dann nicht bestehe, wenn die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen öffentlichen Apotheke weniger als 500 m betrage. Diese Mindestentfernung dürfe gemäß § 10 Abs. 6 ApG ausnahmsweise unterschritten werden, wenn es besondere örtliche Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dringend gebieten.

4 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes sei nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 10 Abs. 6 ApG Voraussetzung für das ausnahmsweise Unterschreiten der Mindestentfernung von 500 m, dass dieses im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung dringend geboten sei. Davon könne jedoch nur dann die Rede sein, wenn die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung mangelhaft sei oder ein solcher Mangel unmittelbar drohe. Im Verfahren habe sich jedoch kein Hinweis auf einen solchen (drohenden) Mangel ergeben. Fernreisende könnten ihren Medikamentenbedarf, sofern sie diesen nicht ohnehin vor Antritt der Reise gedeckt hätten, in einer der vielen anderen Apotheken in W decken. Sollte der Medikamentenbedarf erst im Bahnhofsgebäude zu Bewusstsein kommen, sei auch ortsunkundigen Fernreisenden ein Fußweg von wenigen Minuten zur J Apotheke oder zur E Apotheke zumutbar. Außerhalb der Öffnungszeiten der beantragten Apotheke wären Fernreisende ohnedies darauf angewiesen, ihren Medikamentenbedarf außerhalb des Bahnhofes zu decken. Lediglich eine Erleichterung der Arzneimittelversorgung reiche nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 6 ApG („dringend geboten“) nicht aus, um die Mindestentfernung von 500 m zu unterschreiten, zumal es sich bei § 10 Abs. 6 ApG um eine Ausnahmebestimmung handle, die im Zweifel restriktiv auszulegen sei.

5 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes lägen im gegenständlichen Fall daher die Voraussetzungen für eine Unterschreitung der Mindestentfernung von 500 m nach § 10 Abs. 6 ApG nicht vor.

6 Den Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Verwaltungsgericht wie folgt:

„Im gegenständlichen Fall war auszusprechen, dass die ordentliche Revision zulässig ist, da die Entscheidung von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt nämlich an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 10 Abs. 6 ApG.“

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

8 Das Verwaltungsgericht legte die Akten vor.

9 Der Verwaltungsgerichtshof gab dem mit Schriftsatz vom 29. September 2022 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der ordentlichen Revision gegen das angefochtene Erkenntnis mit hg. Beschluss vom 16. November 2022, Ro 2022/10/0025 6, statt.

10 Die belangte Behörde sowie die erst und viertmitbeteiligten Parteien erstatteten jeweils Revisionsbeantwortungen. Kostenersatz wurde von den erst und viertmitbeteiligten Parteien beantragt.

11 Die Revisionswerberin erstattete dazu ihrerseits eine Replik.

12 Die Revision erweist sich als unzulässig:

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein Beschluss nach § 34 Abs. 1 VwGG ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

16 Eine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt (nur) dann vor, wenn die Entscheidung über die Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 6.10.2023, Ro 2022/10/0018; 20.4.2023, Ro 2021/10/0014; 21.6.2022, Ro 2021/10/0020).

17 Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 zweite Variante B VG („weil ... eine solche Rechtsprechung fehlt“) ist das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer konkreten Rechtsfrage (vgl. wiederum VwGH 20.4.2023, Ro 2021/10/0014; sowie VwGH 4.5.2020, Ra 2019/10/0200).

18 Mit den oben (Rz 6) wiedergegebenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zu fehlender Rechtsprechung wird die vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage nicht konkret dargelegt und damit den Begründungserfordernissen nach § 25a Abs. 1 zweiter Satz VwGG nicht Genüge getan (vgl. nochmals VwGH 20.4.2023, Ro 2021/10/0014). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird nämlich mit dem bloßen Verweis auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer näher bezeichneten Verwaltungsvorschrift nicht dargelegt, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösen wäre (vgl. erneut VwGH 4.5.2020, Ra 2019/10/0200; vgl. auch VwGH 27.2.2019, Ro 2019/10/0006; 21.12.2016, Ro 2014/10/0111).

19 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Die vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmende Kontrolle einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung stützt sich für außerordentliche und ordentliche Revisionen in gleicher Weise jeweils auf eine gesonderte Darlegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Revision (vgl. VwGH 24.3.2022, Ro 2021/10/0019; 21.3.2022, Ro 2021/10/0015; 3.1.2022, Ro 2020/10/0032).

20 Die vorliegende ordentliche Revision bringt im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Hauptbahnhof einer Großstadt besondere örtliche Verhältnisse im Sinne des § 10 Abs. 6 ApG begründe und worauf es in einem solchen Fall ankomme, damit die Unterschreitung der gesetzlichen Mindestentfernung im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung dringend geboten sei. Das Verwaltungsgericht so die Revision vermeine, dass die Unterschreitung der gesetzlichen Mindestentfernung von 500 m nach § 10 Abs. 6 ApG nur dann zulässig sei, wenn eine bestehende öffentliche Apotheke unzumutbar erreichbar wäre. Nach dem Gesetzeswortlaut sei das Versorgungsangebot durch bestehende Apotheken allerdings nicht zu berücksichtigen, sondern könnten nach den Gesetzesmaterialien auch bei einer zumutbaren Erreichbarkeit bestehender öffentlicher Apotheken besondere örtliche Verhältnisse vorliegen, die eine Unterschreitung der Mindestentfernung erlauben würden. Ausschlaggebend seien dabei schlichtweg die Vorteile einer weiteren Apotheke und damit eine Verbesserung der Arzneimittelversorgung. Die Unterschreitung der Mindestentfernung sei vorliegend geboten, weil mit der geplanten öffentlichen Apotheke ortsunkundigen Fernreisenden direkt im Hauptbahnhof W eine vernünftig und rasch zugängliche, sichere, qualitativ hochwertige und angemessene Arzneimittelversorgung angeboten werde. Zugreisende, die bei Ankunft bzw. vor der Abreise oder bei einem Zwischenhalt am Hauptbahnhof W einen Medikamentenbedarf hätten, würden und müssten diesen direkt dort decken, weshalb es sich bei Hauptbahnhöfen um Gebiete mit besonderen örtlichen Verhältnissen gemäß § 10 Abs. 6 ApG handle.

21 Auch mit diesen Ausführungen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

22 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Fall, in dem die (strittige) Entfernung zwischen der in unmittelbarer Nähe eines Verkehrsknotenpunktes (Hauptbahnhof, Endstation einer Lokalbahn, Busterminal) geplanten Betriebsstätte der neu zu errichtenden Apotheke und einer bestehenden Apotheke in einem Bereich knapp unter bzw. über 500 m lag, dies bei Bestehen einer weiteren Apotheke in einer Entfernung von unter 600 m der geplanten neuen Apotheke, bereits darauf hingewiesen, dass die Ansicht, dass es sich bei der in § 10 Abs. 2 Z 2 ApG iVm § 10 Abs. 6 ApG genannten Entfernung nicht um einen absolut nicht unterschreitbaren Mindestabstand handle, sodass in einer derartigen Konstellation selbst „beim Fehlen von einigen Metern auf die 500 m durchaus Bedarf gegeben sein“ könne, weder im Wortlaut noch in der Regelungsabsicht des Gesetzgebers der ApG Novellen 1984 bzw. 1990 Deckung zu finden vermag. Nach § 10 Abs. 6 ApG muss sich die dringende Notwendigkeit, ausnahmsweise die Entfernung von 500 m zu unterschreiten, aus „besonderen örtlichen Verhältnissen“ herleiten, sodass ein Ausnahmefall im Sinne dieser Bestimmung nicht vorliegt, wenn die gefahrlose und leichte Erreichbarkeit von bestehenden öffentlichen Apotheken innerhalb weniger Minuten von der künftigen Betriebsstätte der neu zu errichtenden Apotheke gewährleistet ist (vgl. VwGH 16.12.1996, 91/10/0140, und darauf Bezug nehmend VwGH 6.10.2023, Ro 2022/10/0018). Die im Erkenntnis vom 16.12.1996 erwähnte Regelungsabsicht des Gesetzgebers ergibt sich aus den Materialien zur ApG Novelle 1984 (395 BlgNR 16. GP,13 f), zumal der mit der ApG Novelle 1990 neu geschaffene § 10 Abs. 6 ApG „inhaltlich den bisherigen 2. Satz des § 10 Abs. 2 Z 2“ ApG wiedergibt (so die Materialien zur ApG Novelle 1990, 1336 BlgNR 17. GP, 5).

23 Diese Materialien zur ApG Novelle 1984 lauten auszugsweise:

„Wie bisher wird ein Bedarf nur dann anzunehmen sein, wenn die Entfernung zur nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke nicht zu gering ist. Dabei werden verschiedene Kriterien zu beachten sein, etwa größere Höhenunterschiede, Straßenzustand, Brücken usw.; grundsätzlich wird man jedoch sagen können, daß bei einer Entfernung unter 500 m nicht von einem Bedarf im Sinne dieser Gesetzesstelle gesprochen werden kann, weil eine derart geringe Entfernung, deren Zurücklegung zu Fuß etwa fünf Minuten erfordert, für eine Arzneimittelbesorgung jedermann zugemutet werden kann.

Eine Ausnahme von dieser Mindestentfernung wird nur dann gemacht werden können, wenn zB in Orten mit nur einer öffentlichen Apotheke die örtliche Situation kleiner Ortskern mit Hauptplatz und ähnliches dergestalt ist, daß die Einhaltung eines Mindestabstandes von 500 m die Neuerrichtung einer zweiten öffentlichen Apotheke unmöglich machen würde. In einem solchen Fall erscheinen die Vorteile einer zweiten öffentlichen Apotheke im Ort bei Vorliegen aller anderen geforderten Voraussetzungen insbesondere auch im Hinblick auf eine mögliche Turnusbildung der beiden Apotheken so gravierend, daß von der ansonsten geltenden Mindestentfernung Abstand genommen werden kann; auch große Höhenunterschiede oder sonstige beträchtliche Behinderungen, etwa durch die Verkehrsverhältnisse bedingt, kommen hier in Frage.“

24 Nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes befinden sich im Revisionsfall im Umkreis der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden Apotheke zwei bestehende öffentliche Apotheken in einer Entfernung von unter 500 m, die zu Fuß ausreichend rasch und zumutbar zu erreichen sind. Die Revision legt mit ihrem Vorbringen auch nicht dar, dass die örtliche Situation im vorliegenden Fall dergestalt ist, dass die Einhaltung eines Mindestabstandes von 500 m die im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gelegene Neuerrichtung einer weiteren Apotheke unmöglich machen würde. Ein Ausnahmefall nach § 10 Abs. 6 ApG liegt auf dem Boden des genannten Erkenntnisses VwGH 16.12.1996, 91/10/0140 (vgl. dort „Die gefahrlose und leichte Erreichbarkeit beider bestehender öffentlicher Apotheken innerhalb weniger Minuten von der künftigen Betriebsstätte in unmittelbarer Nähe des Verkehrsknotenpunktes ist gewährleistet, sodaß ein Ausnahmefall im Sinne des § 10 Abs. 6 ApG nicht vorliegt.“), demnach nicht vor. Daran vermag der Umstand, dass mit der mit BGBl. I Nr. 103/2016 kundgemachten Novelle des Apothekengesetzes dem § 10 ein Abs. 6a zur zulässigen Unterschreitung des Mindestversorgungspotentials bestehender Apotheken bei Vorliegen besonderer örtlicher Verhältnisse angefügt wurde und dieser anders als der davor schon bestanden habende Abs. 6 die Berücksichtigung des Versorgungsangebotes durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken ausdrücklich anordnet, nichts zu ändern. Inwiefern das Schicksal der Revision von allfälligen weiteren Kriterien im Rahmen der Beurteilung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 ApG abhängen sollte, ist vor dem Hintergrund, dass jedenfalls die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung anhand der bestehenden Apotheken gewährleistet ist, nicht zu erkennen und wird in der Revision, die das Versorgungspotential bestehender Apotheken außer Acht lässt, nicht dargelegt.

25 Die Revision bringt in diesem Zusammenhang auch vor, es liege ein Abweichen von Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vor. Nach dem Urteil vom 1. Juni 2010, C 570/07 und C 571/07, Blanco Pérez und Chao Gómez , sei die für die Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke gesetzlich vorgesehene Mindestentfernung nicht nur in besonderen Ausnahmefällen zu unterschreiten, sondern immer dann, wenn bei strikter Anwendung der allgemeinen Entfernungsregel die Gefahr bestünde, dass ein angemessener Zugang zum pharmazeutischen Dienst nicht gewährleistet sei.

26 Es ist zutreffend, dass sich der EuGH in dem genannten Urteil vom 1. Juni 2010 mit der Frage der Vereinbarkeit von Art. 49 AEUV mit einer nationalen Regelung, die die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen für neue Apotheken begrenzt, indem sie neben der Festlegung einer Mindesteinwohnerzahl vorsieht, dass jede Apotheke eine Mindestentfernung gegenüber bereits bestehenden Apotheken zu beachten hat, wobei diese Entfernung im Allgemeinen 250 m beträgt, auseinandergesetzt hat.

27 Der EuGH hielt in diesem Zusammenhang fest, dass die zuständigen Behörden, um kohärent und systematisch das Ziel der Gewährleistung eines angemessenen pharmazeutischen Dienstes zu erreichen, sogar veranlasst sein könnten, die allgemeine Regel so auszulegen, dass sie es ermöglicht, eine Erlaubnis zur Errichtung einer Apotheke in einer geringeren Entfernung als 250 m nicht nur in ausgesprochenen Ausnahmefällen zu gestatten, sondern immer dann, wenn bei strikter Anwendung der allgemeinen 250 Meter Regel die Gefahr bestünde, dass ein angemessener Zugang zum pharmazeutischen Dienst in bestimmten Bezirken mit starker Bevölkerungskonzentration nicht gewährleistet ist (vgl. EuGH 1.6.2010, Pérez u.a. , C 570/07 und C 571/07, Rn. 101).

28 Mit dem Hinweis auf diese Rechtsprechung ist für die Revision, die lediglich darlegt, dass sich die Versorgungssituation für die Bevölkerung durch die weitere Apotheke insgesamt verbessern würde, aber nicht aufzeigt, dass bei Einhaltung der Mindestentfernung zwischen der neu zu errichtenden Apotheke und den bestehenden öffentlichen Apotheken ein angemessener Zugang zur Arzneimittelversorgung nicht gewährleistet wäre, nichts zu gewinnen, weil damit ein im Revisionsfall vorliegendes Abweichen von der Rechtsprechung des EuGH nicht aufgezeigt wird; eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wegen sich aus dem Unionsrecht ergebender Bedenken liegt somit nicht vor (vgl. zur grundsätzlichen Möglichkeit, die Zulässigkeit einer Revision mit Rechtsfragen des Unionsrechts zu begründen, VwGH 6.2.2023, Ra 2022/06/0264; 12.11.2020, Ra 2020/16/0154; 31.7.2020, Ra 2020/10/0073).

29 Soweit die Revision in der Zulässigkeitsbegründung schließlich Feststellungsmängel im Hinblick auf das Vorliegen besonderer örtlicher Verhältnisse geltend macht und unter Verweis auf ein Bedarfsgutachten der Österreichischen Apothekerkammer vom 12. Juni 2020 vorbringt, das Verwaltungsgericht habe keine Feststellungen zur Größe und Bedeutung des Hauptbahnhofes W getroffen, ist die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht zu erkennen (vgl. zu den diesbezüglichen Voraussetzungen etwa VwGH 18.9.2023, Ra 2021/10/0171, mwN), zumal das Verwaltungsgericht das Vorliegen besonderer örtlicher Verhältnisse ausdrücklich dahinstehen ließ und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Unterschreitung des Mindestabstandes iSd § 10 Abs. 6 ApG ausschließlich deshalb verneinte, weil eine solche im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht dringend geboten sei.

30 Die Revision legt aber auch nicht dar, inwieweit die geforderten Feststellungen das Ergebnis des Verwaltungsgerichtes hätten beeinflussen können, da (auch im angesprochenen Gutachten) nicht aufgezeigt wird, dass ein allenfalls bestehender, aufgrund einer hohen Zahl an Fernreisenden erhöhter Arzneimittelbedarf nicht durch die bereits bestehenden öffentlichen Apotheken bzw. nur bei Unterschreiten der Mindestentfernung zu diesen gedeckt werden könnte und Letzteres daher dringend geboten im Sinne des § 10 Abs. 6 ApG sei.

31 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

32 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 49 Abs. 6 (vgl. etwa VwGH 21.11.2022, Ra 2021/04/0008) und § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Mai 2024

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