JudikaturVwGH

Ra 2022/03/0178 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Nedwed, Mag. Samm, Dr. Faber und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Präsidenten des Landesgerichtes Innsbruck gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juni 2022, Zl. W170 2240747 1/45E, betreffend Entziehung der Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger nach § 10 SDG (Mitbeteiligter: Mag. Dr. K B in I, vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2 4/2/23), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte ist als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger in die vom Präsidenten des Landesgerichtes Innsbruck geführte Sachverständigenliste für mehrere Fachgebiete der Psychologie eingetragen.

2 Mit Bescheid vom 20. Jänner 2021 entzog der Präsident des Landesgerichtes Innsbruck (Amtsrevisionswerber) dem Mitbeteiligten die Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger dieser Fachgebiete wegen Vertrauensunwürdigkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 SDG.

3 Dabei stützte sich der Amtsrevisionswerber tragend auf eine rechtskräftige Verurteilung des Mitbeteiligten vom Februar 2019 durch ein griechisches Strafgericht wegen Verleumdung. Diese Verurteilung rufe Zweifel an der Gesetzestreue und an der Korrektheit, Sorgfalt, Charakterstärke sowie am Pflichtbewusstsein des Mitbeteiligten hervor und begründe seine Vertrauensunwürdigkeit.

4 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis statt und behob den Bescheid des Amtsrevisionswerbers ersatzlos. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

5 Begründend stellte es die in Griechenland nach einem mehrjährigen Strafverfahren erfolgte rechtskräftige Verurteilung des Mitbeteiligten im Jahr 2019 und welche Taten aus dem Jahr 2012 diesem Urteil zugrunde lagen fest. Außerdem führte das BVwG aus, dass dem Amtsrevisionswerber bei seiner Entscheidung auch ein Aktenvermerk eines österreichischen Zivilrichters aus dem Jahr 2019 vorgelegen sei, wonach der Mitbeteiligte während seiner Einvernahme als Zeuge ein „skurriles“ Auftreten aufgewiesen und mehrmals die Legitimität des dortigen Erwachsenenvertreters/Klagevertreters sowie die Zuständigkeit des Pflegschaftsgerichts angezweifelt habe. Weiters werde in diesem Aktenvermerk darauf hingewiesen, dass der Mitbeteiligte als Privatsachverständiger eine gutachterliche Stellungnahme zu dem im bezughabenden Pflegschaftsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten erstattet habe, obwohl er Psychologe und kein Arzt sei. Im Folgenden führte das BVwG den Inhalt dieses Privatgutachtens in zusammengefasster Form an.

6 Rechtlich folgerte das BVwG, dem griechischen Strafurteil komme keine Bindungswirkung zu, weil es wegen der überlangen Verfahrensdauer in keinem dem Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sei und daher gemäß § 73 StGB keinen inländischen Verurteilungen gleichzustellen sei. Daher bilde das griechische Urteil keine Grundlage für die Aberkennung der Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger wegen Vertrauensunwürdigkeit. Zwar wären die Tathandlungen aus dem Jahr 2012, derer der Mitbeteiligte in Griechenland verurteilt worden sei, an und für sich das heißt auch ohne Hinzutreten der Verurteilung geeignet, dem Mitbeteiligten die Vertrauenswürdigkeit abzusprechen. Sie wären allerdings nach österreichischer Rechtsauffassung nicht unter § 297 StGB (Verleumdung), sondern unter § 111 StGB (Üble Nachrede) zu subsumieren gewesen, weil das griechische Strafgericht feststellt habe, dass das Verhalten des Mitbeteiligten geeignet gewesen sei, die Ehre und das Ansehen des dortigen Privatanklägers zu schädigen. Eine drohende Strafverfolgung des Privatanklägers sei hingegen nicht thematisiert worden und im Licht der Adressaten der Emails auch nicht zu erkennen. Der Verwertung dieser Straftaten stehe aber einerseits die Rechtskraftwirkung des Bescheides, mit dem die Zertifizierung des Mitbeteiligten im Jahr 2016 verlängert worden sei, entgegen. Hier müsste der Amtsrevisionswerber mit einem Wiederaufnahmeverfahren vorgehen, was aber wegen Verfristung ausgeschlossen erscheine. Andererseits lägen die der Verurteilung zugrundeliegenden beleidigenden Original Emails nicht vor. Es fehlten deshalb klare Beweise für das strafrechtliche Verhalten. Außerdem wäre zu berücksichtigen, dass das inkriminierte Verhalten des Mitbeteiligten (fast) zehn Jahre zurückliege, in denen der Mitbeteiligte eingetragen gewesen sei und sich nach der Aktenlage nichts habe zuschulden kommen lassen. Im Lichte des Wohlverhaltens des Mitbeteiligten seit dem Jahr 2012 und im Lichte des persönlichen Eindrucks des erkennenden Richters wäre daher keine Vertrauensunwürdigkeit zu erkennen. Auch die Erstattung des Privatgutachtens im angesprochenen Pflegschaftsverfahren begründe keine Vertrauensunwürdigkeit des Mitbeteiligten, weil die Abgabe dieser gutachterlichen Stellungnahme zumindest denkmöglich in den Bereich der klinischen Neuropsychologie gefallen und der Mitbeteiligte für dieses Fachgebiet eingetragen gewesen sei. Nichts Anderes gelte für das in einem Aktenvermerk des Zivilrichters aus dem Jahr 2019 festgehaltene „skurille“ Auftreten des Mitbeteiligten als Zeuge eines Verfahrens. Dies sei im Lichte der Freiheit der Meinungsäußerung nicht hinreichend, um dem Mitbeteiligten die Vertrauenswürdigkeit abzusprechen, weil dem Aktenvermerk keine Behinderung oder Verzögerung der Amtshandlung zu entnehmen sei, der Mitbeteiligte dort nicht als gerichtlich bestellter Sachverständiger aufgetreten sei und durch den Aktenvermerk zwar die Unrichtigkeit, nicht aber die Unsachlichkeit der Äußerungen zu erkennen sei.

7 Dagegen wendet sich die vorliegende Amtsrevision, die zur Zulässigkeit und in der Sache geltend macht, der Einleitung des Entziehungsverfahrens durch den Amtsrevisionswerber sei zum einen die Mitteilung eines Zivilrichters aus dem Jahr 2019 zugrundegelegen, wonach der als Zeuge geladene Mitbeteiligte in der Streitverhandlung mehrfach die Zuständigkeit sowohl des Zivil als auch des Pflegschaftsgerichts, die Rechtmäßigkeit der Bestellung des Erwachsenenvertreters eines Verfahrensbeteiligten und die Einhaltung von Grund und Freiheitsrechten in diesem Zivilverfahren angezweifelt habe. Schließlich sei hervorgekommen, dass der Mitbeteiligte im Pflegschaftsverfahren ein fachgebietsfremdes Privatgutachten erstattet habe, mit dem er das Gutachten der dort bestellt gewesenen psychiatrischen Sachverständigen kritisiert habe. Zum anderen sei dem Amtsrevisionswerber im Dezember 2020 mitgeteilt worden, dass der Mitbeteiligte von einem griechischen Gericht wegen Verleumdung rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 16 Monaten verurteilt worden sei. Da sich letztere Mitteilung bewahrheitet habe, sei dem Mitbeteiligten die Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger entzogen worden, ohne auf allfällige weitere Entziehungsgründe einzugehen.

8 Das BVwG vertrete die unrichtige Rechtsansicht, dass dieses griechische Urteil wegen überlanger Verfahrensdauer nicht verwertet werden dürfe, ohne zu erheben, weshalb es zu dieser Verfahrensdauer gekommen sei. Außerdem vertrete es unzutreffend die Rechtsauffassung, die Tathandlungen des Mitbeteiligten dürften im gegenständlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden, weil dem die Rechtskraft der Verlängerung der Zertifizierung im Jahr 2016 entgegenstehe. § 10 Abs. 1 SDG sehe aber ein eigenständiges justizbehördliches Entziehungsverfahren bei Wegfall der Vertrauenswürdigkeit vor, bei dem es unerheblich sei, ob in Ansehung des betroffenen Sachverständigen eine zwischenzeitige Rezertifizierung stattgefunden habe. Die Behauptung des BVwG, der Mitbeteiligte habe sich nach den Straftaten wohlverhalten, übersehe, dass der Mitbeteiligte sich insbesondere durch die kritische und unsachliche Auseinandersetzung mit einem fachfremden Sachverständigengutachten nicht wohlverhalten habe. Nach Auffassung des Amtsrevisionswerbers begründe auch dieses Verhalten seine Vertrauensunwürdigkeit.

9 Zu dieser Revision erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der die Zurück und hilfsweise die Abweisung der Revision beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig und begründet.

11 Der Mitbeteiligte vertritt in seiner Revisionsbeantwortung die Auffassung, die Amtsrevision sei schon mangels hinreichender Erfüllung der Formalerfordernisse, insbesondere mangels ausreichender Darstellung des Sachverhalts nach § 28 Abs. 1 Z 3 VwGG und mangels gesonderter Darstellung der Gründe für die außerordentliche Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG zurückzuweisen. Außerdem lege die Revision keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar.

12 Dem ist zu erwidern, dass die Amtsrevision die Formalerfordernisse des § 28 Abs. 1 VwGG hinreichend erfüllt und auch eine gesonderte Darstellung der Gründe, weshalb sie entgegen dem Ausspruch des BVwG doch für zulässig erachtet wird (§ 28 Abs. 3 VwGG), enthält. Sie führt in der Zulassungsbegründung zumindest teilweise zutreffend aus, dass das BVwG eine unrichtige Rechtsansicht vertreten hat, deren notwendige Klarstellung und Korrektur die Revision jedenfalls zulässig macht (siehe dazu die folgenden Ausführungen). Dem Antrag des Mitbeteiligten, die Revision zurückzuweisen, war daher nicht zu folgen.

13 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 SDG ist die Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger durch Bescheid u.a. dann zu entziehen, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung (mit einer hier nicht relevanten Ausnahme) seinerzeit nicht gegeben gewesen oder später weggefallen sind.

14 Eine Eintragungsvoraussetzung, deren Wegfall danach zur Entziehung zu führen hat, ist gemäß § 2 Abs. 2 Z 1 lit. e SDG die Vertrauenswürdigkeit des Bewerbers bzw. Sachverständigen.

15 Die Frage der Vertrauenswürdigkeit eines Sachverständigen im Sinn des § 2 Abs. 2 Z 1 lit. e SDG betrifft nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs seine persönlichen Eigenschaften. Es kommt darauf an, ob jemand in einem solchen Maße vertrauenswürdig ist, wie es die rechtssuchende Bevölkerung von jemandem erwarten darf, der in die Liste der Sachverständigen eingetragen ist. In Ansehung der bedeutsamen Funktion, die dem Sachverständigen bei der Wahrheitsfindung im gerichtlichen und behördlichen Verfahren obliegt, darf daher nicht der leiseste Zweifel an seiner Gesetzestreue, Korrektheit, Sorgfalt, Charakterstärke sowie an seinem Pflichtbewusstsein bestehen; bei dieser Beurteilung ist ein strenger Maßstab anzulegen; auch ein einmaliges gravierendes Fehlverhalten kann Vertrauensunwürdigkeit begründen. Unmaßgeblich ist, in welchen Bereichen die Ursachen für den Verlust der Vertrauenswürdigkeit gelegen sind, weil es nur darauf ankommt, ob das erforderliche Maß an Vertrauenswürdigkeit dem Sachverständigen überhaupt zukommt oder nicht. Es kann daher auch ein Verhalten, das nicht im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit steht, Vertrauensunwürdigkeit begründen (vgl. VwGH 2.9.2019, Ra 2019/03/0105; VwGH 3.6.2019, Ra 2019/03/0060; VwGH 19.12.2018, Ra 2018/03/0122; VwGH 23.2.2018, Ro 2017/03/0025; VwGH 11.10.2017, Ro 2017/03/0024; VwGH 28.6.2017, Ra 2017/03/0066, je mwN).

16 Im vorliegenden Fall hat der Amtsrevisionswerber im Entziehungsbescheid die Vertrauensunwürdigkeit des Mitbeteiligten damit begründet, dass dieser von einem griechischen Strafgericht im Februar 2019 wegen Verleumdung verurteilt worden sei. Feststellungen zu den zugrundeliegenden Straftaten wurden von ihm nicht getroffen.

17 Das BVwG hat im Beschwerdeverfahren die Verurteilung des Mitbeteiligten durch das griechische Strafgericht ebenfalls als erwiesen angenommen. Es hat überdies die dem Strafurteil zugrundeliegenden Straftaten (unter Bezugnahme auf die Begründung des griechischen Strafurteils) festgestellt. Danach habe der Mitbeteiligte im Jahr 2012 auf das Wesentliche zusammengefasst in mehreren Emails an verschiedene Personen wissentlich unrichtige Vorwürfe gegen eine näher bezeichnete Person (den Privatankläger im griechischen Strafverfahren) erhoben, indem er dieser Person in seiner Funktion als Sachverwalter einer näher bezeichneten Frau strafbares Verhalten vorgeworfen hätte.

18 In seiner rechtlichen Beurteilung vertritt das BVwG zunächst die Rechtsansicht, das griechische Strafurteil bilde keine Grundlage für die Aberkennung der Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger wegen Verlust der Vertrauenswürdigkeit, weil es nicht Art. 6 EMRK und somit nicht § 73 StGB entspreche. Das Urteil sei nämlich nach einer unangemessen langen Verfahrensdauer ergangen.

19 Dem hält der Amtsrevisionswerber entgegen, das BVwG habe sich mit den Gründen für die lange Verfahrensdauer nicht auseinandergesetzt. Schon deshalb sei die Nichtberücksichtigung des Urteils verfehlt.

20 Dazu ist Folgendes festzuhalten: Für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit, die als Eintragungsvoraussetzung statuiert ist und deren Fehlen zum Ausschluss von der Eintragung oder wie im gegenständlichen Fall zum Verlust der Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger führen kann, stellt das SDG nicht unmittelbar auf eine Verurteilung durch ein in oder ausländisches Strafgericht ab. Entscheidend ist vielmehr, ob das zugrundeliegende Fehlverhalten die Vertrauenswürdigkeit des Mitbeteiligten im Sinne der oben dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung erschüttert. Auf die Frage der Gleichstellung dieses ausländischen Urteils mit einer inländischen Verurteilung und daher, ob das griechische Strafverfahren eine (im Sinne der zu Art. 6 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR) überlange Verfahrensdauer aufgewiesen hat, kommt es hingegen fallbezogen nicht an.

21 Das BVwG hält in der weiteren Begründung des angefochtenen Erkenntnisses fest, dass das gegenständliche Fehlverhalten grundsätzlich geeignet wäre, dem Mitbeteiligten die Vertrauenswürdigkeit als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger abzusprechen. Dies ist angesichts des in der hg. Judikatur stets betonten strengen Maßstabes und des Umstandes, dass nicht allein Fehlverhalten des Betroffenen im Zusammenhang mit seiner Sachverständigentätigkeit zu beachten ist, auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zutreffend.

22 Trotzdem verneint das BVwG die Vertrauensunwürdigkeit des Mitbeteiligten aus mehreren Gründen, die sich als nicht überzeugend erweisen:

23 Das BVwG argumentiert, der Mitbeteiligte sei nach Begehung der Straftaten rezertifiziert worden. Die Rechtskraft dieser Rezertifizierung stehe der Berücksichtigung der Straftaten im gegenständlichen Entziehungsverfahren entgegen, mögen die Straftaten im Zeitpunkt der Rezertifizierung auch nicht bekannt gewesen seien.

24 Zu Recht macht die Amtsrevision geltend, dass das BVwG mit dieser Begründung das Entziehungsverfahren gemäß § 10 Abs. 1 SDG rechtlich unrichtig beurteilt. Nach § 10 Abs. 1 Z 1 SDG ist die Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger zu entziehen, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung seinerzeit nicht gegeben gewesen oder später weggefallen sind. Die Norm erlaubt somit ausdrücklich eine Durchbrechung der Rechtskraft früherer Eintragungs und damit auch Rezertifizierungsbescheide, wenn wie im vorliegenden Fall Umstände bekannt werden, die gegen die Eintragung bzw. Rezertifizierung gesprochen hätten oder die Voraussetzungen für die Eintragung bzw. Rezertifizierung nachträglich weggefallen sind. Einer vom BVwG angedachten Wiederaufnahme des Eintragungs oder Rezertifizierungsverfahrens bedarf es daher nicht, womit auch den einschlägigen Fristen für ein Wiederaufnahmeverfahren im gegenständlichen Kontext keine Bedeutung zukommt.

25 Das BVwG führt weiters aus, ihm lägen die Originale der Emails, die zur Verurteilung durch das griechische Strafgericht geführt hätten, nicht vor, weshalb „klare Beweise“ für das strafbare Verhalten fehlten. Ohne an dieser Stelle auf die Frage näher einzugehen, inwieweit die Verurteilung durch das griechische Strafgericht Bindungswirkung dahingehend entfaltete, dass der Mitbeteiligte die darin angeführten Straftaten tatsächlich begangen hat, erweisen sich diese Erwägungen des BVwG schon deshalb als nicht nachvollziehbar, weil das BVwG nicht darlegt, welche Zweifel es an der Richtigkeit der aus dem griechischen Strafurteil entnommenen Tatsachen hat und aus welchen Gründen ihm die Vorlage der Original Emails überhaupt erforderlich erschienen.

26 Zuletzt führt das BVwG an, dass die Straftaten schon lange zurücklägen und sich der Mitbeteiligte seither nichts habe zuschulden kommen lassen, weshalb kein Grund ersichtlich sei, ihm die Vertrauenswürdigkeit abzusprechen. Dem hält die Amtsrevision zu Recht entgegen, dass der Mitbeteiligte auch in der Zeit nach den in Rede stehenden Straftaten Verhaltensweisen gesetzt hat, die Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit in Bezug auf die Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger rechtfertigen konnten.

27 So ist der Umstand, dass es ein Zivilrichter des Landesgerichts Innsbruck im Oktober 2019 für erforderlich erachtete, das „skurrile“ Auftreten des Mitbeteiligten in einem Zivilverfahren in einem Aktenvermerk festzuhalten und dem Amtsrevisionswerber zur Kenntnis zu bringen, weil der Mitbeteiligte bei seiner beabsichtigten Zeugeneinvernahme unberechtigte Vorwürfe gegen eine Partei und das Gericht erhob, nicht unbeachtlich. Das BVwG zieht in seiner Begründung nicht in Zweifel, dass diese Äußerungen gefallen sind, will sie aber durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sehen und verweist darauf, dass der Mitbeteiligte im dortigen Verfahren nur als Zeuge und nicht als Sachverständiger aufgetreten und nicht dokumentiert sei, dass das Verhalten des Mitbeteiligten zu Verfahrensverzögerungen geführt hätte oder die Äußerungen, wenn auch unrichtig, unsachlich gewesen wären.

28 Dazu ist neuerlich auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Vertrauenswürdigkeit von allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen hinzuweisen, nach der nicht der leiseste Zweifel an der Gesetzestreue, Korrektheit, Sorgfalt, Charakterstärke und am Pflichtbewusstsein des Sachverständigen bestehen darf, wobei dabei nicht allein das Verhalten bei Erfüllung der Aufgaben als Sachverständiger zu berücksichtigen ist. Wenn das BVwG weitere Ermittlungen zum genauen Inhalt und zur (Un )Sachlichkeit der Äußerungen des Mitbeteiligten im Zusammenhang mit dem erwähnten Zivilverfahren für erforderlich gehalten haben sollte, wäre es an ihm gelegen gewesen, das Ermittlungsverfahren entsprechend zu ergänzen. Die Begründung im angefochtenen Erkenntnis für die Irrelevanz des zitierten Aktenvermerks bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit des Mitbeteiligten ist hingegen nicht überzeugend.

29 Die Amtsrevision verweist außerdem auf das vom BVwG angesprochene Privatgutachten des Mitbeteiligten zur Widerlegung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens. Sie rügt, dass das BVwG dieses Privatgutachten in seiner Begründung zwar verwertet, dessen Inhalt aber nicht festgestellt hat. So wären daraus abschätzige bzw. beleidigende Äußerungen des Mitbeteiligten gegen die Gerichtsgutachterin zutage getreten (die im Einzelnen angeführt werden). Allein diese Äußerungen seien nach Auffassung des Amtsrevisionswerbers geeignet, einen weiteren Entziehungsgrund zu verwirklichen.

30 Dem hält der Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung zutreffend entgegen, dass die Entziehung im verwaltungsbehördlichen Bescheid auf diesen Entziehungsgrund nicht gestützt worden ist, weshalb das erstmals in der Revision erhobene Vorbringen, insoweit liege ein selbständiger Entziehungstatbestand vor, den das BVwG näher feststellen hätte müssen, dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot widerspricht und daher nicht weiter zu beurteilen ist.

31 Soweit das BVwG aber von Wohlverhalten des Mitbeteiligten nach den in Rede stehenden Straftaten spricht, ist auch dieses Privatgutachten Gegenstand der Überprüfung im Revisionsverfahren, zumal sich das BVwG damit in der angefochtenen Entscheidung argumentativ auseinandergesetzt hat. Wenn das Verwaltungsgericht diesbezüglich ausführte, das Privatgutachten sei „zumindest denkmöglich“ in den Fachbereich des Mitbeteiligten gefallen, übersieht es, dass dies allein nicht ausreicht, um die Relevanz dieses Gutachtens für die Frage der Vertrauenswürdigkeit des Mitbeteiligten zu verneinen. Zum einen bedürfte es dafür einer Auseinandersetzung mit den vom Amtsrevisionswerber angeführten Argumenten, die auf eine Unsachlichkeit des Mitbeteiligten im Umgang mit einer Gerichtssachverständigen hindeuten, zum anderen wäre anhand des Privatgutachtens genauer zu überprüfen, ob sich der Mitbeteiligte in seinen Ausführungen auf Fachfragen beschränkte, die seinem Fachgebiet unterlagen, oder über diese in unzulässiger Art und Weise hinausging.

32 Ohne Klärung all dieser Umstände kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Mitbeteiligte nach den Straftaten aus dem Jahr 2012 und vor der Entziehung der Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger als hinreichend vertrauenswürdig erwiesen hat.

33 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

34 Von der in der Revisionsbeantwortung beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 19. Dezember 2022

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