Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Jänner 2021, W215 2145337 1/41E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl; mitbeteiligte Partei: M M in S, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf Dietrich Straße 19/5), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird in den Spruchpunkten A) II. und A) III. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 7. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 27. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Somalia zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte es mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Das Bundesverwaltungsgericht gab der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 16. September 2019 Folge, erkannte ihm den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
4 Dieses Erkenntnis wurde vom Verwaltungsgerichtshof auf Grund einer Amtsrevision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl mit Erkenntnis vom 16. April 2020, Ra 2019/14/0505, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
5 Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, dass im Fall des Mitbeteiligten keine innerstaatliche Fluchtalternative im Herkunftsstaat ermittelt werden könne, sei anhand der getroffenen Feststellungen nicht nachvollziehbar.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Mitbeteiligten, soweit ihm die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten versagt worden war, ab [Spruchpunkt A) I.]. Es gab der Beschwerde jedoch insofern statt, als es dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte [Spruchpunkt A) II.] und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter mit der Gültigkeit für ein Jahr erteilte [Spruchpunkt A) III.]. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht, soweit für den vorliegenden Revisionsfall in dem Spruchpunkt A) I. nicht verfahrensgegenständlich ist relevant, davon aus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz vorlägen. Der Mitbeteiligte sei von 4. Mai 2018 bis 4. Oktober 2019 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in ärztlicher Behandlung gewesen und in diesem Zeitraum einmal in einer psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses behandelt worden. Er nehme das dort verordnete Medikament ein, welches für ihn beschwerdelindernd sei.
8 Dies ergäbe sich aus einem ärztlichen Attest vom 22. Dezember 2020. Aus einer weiteren vorgelegten Bestätigung eines anderen Arztes, ebenfalls vom 22. Dezember 2020, gehe hervor, dass der Mitbeteiligte seit Anfang Jänner 2020 regelmäßig dessen Ordination aufsuche, um das Rezept für das genannte Medikament abzuholen. Aufgrund der Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat könne nicht mit der nötigen Gewissheit ausgeschlossen werden, dass sich die schlechte medizinische Versorgungslage in Somalia in Bezug auf den Gesundheitszustand des Mitbeteiligten nicht in einem Ausmaß auswirken werde, welche ihn in eine als unmenschlich oder erniedrigend zu bezeichnende Lebenssituation versetzen würde.
9 Weiters führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es sich bei dem verordneten Medikament um ein atypisches Neuroleptikum oder Antipsychotikum, ein Medikament gegen Psychosen, handle. Dieses Medikament beeinflusse viele Nervenzellandockstellen, sogenannte Rezeptoren. Im Ergebnis komme es zu Veränderungen der Nervenzellen. Diese Veränderungen könnten neben vielen anderen Wirkungen auch auf die Stimmung Einfluss nehmen oder Halluzinationen hervorrufen. Die Stimmung werde stabilisiert und Halluzinationen klängen ab. Das Medikament werde eingesetzt bei der Behandlung von Schizophrenie, bipolaren Erkrankungen, Rückfallprävention bei bipolaren Störungen sowie manischen oder schweren Depressionen. Aus den Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten ergebe sich, dass Mogadischu über 61 Referenzkrankenhäuser verfüge, davon aber nur elf öffentlich seien (der Rest befinde sich im Privatbesitz) und es 91 Gesundheitszentren gebe, die wichtigsten Gesundheitsthemen aber Malaria, Durchfall und Covid 19 seien. Der Status als Rückkehrer biete zwar Zugang zu humanitärer Hilfe, darunter Gesundheitsdienste. Die medizinische Versorgung sei im gesamten Land allerdings äußerst mangelhaft. Öffentliche Krankenhäuser seien mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung mit medizinischen Geräten, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angehe. Die unzureichende Sicherheitslage behindere die Arbeit. Versorgungs und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen müssten immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen örtlicher (islamistischer) Machthaber unterbrochen werden. Der Abzug der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im August 2013 habe eine Versorgungslücke hinterlassen, die nach wie vor nicht geschlossen sei. Das Internationale Rote Kreuz habe im Zuge einiger „Sicherheitszwischenfälle“ seine Aktivitäten reduziert und setze kaum noch internationale Mitarbeiter in Somalia ein. Der Mitbeteiligte sei lange Zeit wegen posttraumatischer Belastungsstörung in ärztlicher Behandlung gewesen. Er sei in einer psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses behandelt worden und ihm sei das erwähnte Medikament verschrieben worden, das er benötige. Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung in Somalia sei aber nicht davon auszugehen, dass er dieses oder ein Ersatzmedikament erhalten könne. Es könne nicht mit der nötigen Gewissheit ausgeschlossen werden, dass der Mitbeteiligte im Fall seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK „unterworfen zu werden“. Da der mitbeteiligten Partei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei, sei ihm nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen.
10 Gegen die mit Spruchpunkt A) II. und A) III. getroffenen Entscheidungen wendet sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit der vorliegenden Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die Revision erwogen:
12 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe gegen die Begründungspflicht verstoßen. Aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses gehe nicht hervor, an welcher Krankheit die mitbeteiligte Partei leide. Das Bundesverwaltungsgericht habe nicht ermittelt, ob das Medikament, das die mitbeteiligte Partei einnehme, oder ein Ersatzmedikament in Somalia verfügbar sei. Es habe auch nicht festgestellt, welche gesundheitlichen Folgen die mitbeteiligte Partei zu gewärtigen hätte, wenn sie das benötigte Medikament nicht mehr einnehmen könnte. Im Ergebnis sei daher der Begründung nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Umstände es annehme, dass der mitbeteiligten Partei eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohe.
13 Aufgrund dieses Vorbringens erweist sich die Revision als zulässig und begründet.
14 Das Bundesverwaltungsgericht ist aus den nachstehenden Gründen in maßgeblicher Weise von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK auf eine solche bezieht sich das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der hier erfolgten Gewährung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.
16 Weiters hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. zu sämtlichen Aspekten dieser Rechtsprechung VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175, mwN).
17 Zum Erkrankungen betreffenden Aspekt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Urteil (der Großen Kammer) vom 7. Dezember 2021, Savran/Dänemark , 57467/15 (auszugsweise in deutscher Sprache wiedergegeben in NLMR 6/2021, 508 ff), neuerlich (unter Hinweis auf EGMR [Große Kammer] 13.12.2016, Paposhvili/Belgien , 41738/10) betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er wäre im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staates, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen. Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (vom EGMR auch als „Schwellentest“ [„threshold test“] bezeichnet, der bestanden werden muss, damit die weiteren Fragen, wie etwa nach der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung, Relevanz erlangen vgl. zum Ganzen etwa VwGH 14.8.2023, Ra 2023/14/0005, mwN).
18 Ausgehend von den oben wiedergegebenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht zu sehen, dass diese hohe Schwelle überschritten wäre, die nach der Rechtsprechung in Bezug auf Erkrankungen zu einer Verletzung des mit Art. 3 EMRK geschützten Rechts führen könnte. Es wird vom Bundesverwaltungsgericht weder dargelegt, dass der Mitbeteiligte lebensbedrohlich erkrankt wäre und im Herkunftsstaat einem realen Risiko ausgesetzt wäre, unter qualvollen Umständen zu sterben, noch werden stichhaltige Gründe angeführt, infolge deren er mit einem realen Risiko konfrontiert sein würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Herkunftsstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde.
Den für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten anzulegenden Maßstab verkennt im Übrigen auch der Mitbeteiligte, der in der Revisionsbeantwortung davon ausgeht, es sei dafür ausreichend, dass die medizinische Versorgung in Somalia nicht denselben Standard wie in Österreich aufweise.
19 Sohin ist am Boden der vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht davon auszugehen, dass es der Gesundheitszustand des Mitbeteiligten gerechtfertigt hätte, ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang der Anfechtung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21 Aufgrund dieses Ergebnisses war dem Mitbeteiligten gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.
Wien, am 24. Jänner 2024