Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der 1. M G und 2. E T, beide vertreten durch MMag. Dr. Stephan Vesco, LLM., Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2021, 1. W168 2244117 1/3E und 2. W168 2244122 1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Erstrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Erstrevisionswerberin, eine georgische Staatsangehörige, hielt sich erstmals für einen in den Jahren 2011 bis 2013 liegenden Zeitraum sowie nach einem Auslandsaufenthalt seit dem Jahr 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Im Jahr 2016 wurde ihre Tochter, die Zweitrevisionswerberin, ebenso eine georgische Staatsangehörige, im Bundesgebiet geboren und hält sich seither mit ihrer Mutter hier auf.
2 Auf Grund verschiedener Aufenthaltsberechtigungen war der Aufenthalt der Erstrevisionswerberin im Bundesgebiet zu einem erheblichen Teil rechtmäßig. Zuletzt wurde mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 29. Oktober 2018 ihr Antrag auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels „Student“ abgewiesen.
3 Mit strafgerichtlichem Urteil vom 12. Jänner 2018 wurde die Erstrevisionswerberin wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach § 146 und § 147 Abs. 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. In der Folge leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein.
4 Mit Anträgen vom 3. September 2019 begehrte die Erstrevisionswerberin im eigenen Namen sowie für die Zweitrevisionswerberin die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005.
5 Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 31. Mai 2021 abgewiesen. Unter einem wurden Rückkehrentscheidungen gegen die Revisionswerberinnen erlassen, die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Georgien festgestellt und eine Frist für ihre freiwillige Ausreise eingeräumt.
6 Dagegen erhoben die Revisionswerberinnen Beschwerde, in welcher sie unter anderem rügten, dass die Feststellungen des an die Erstrevisionswerberin gerichteten Bescheids keine Feststellungen zu ihrem Aufenthalt in Österreich vor dem Jahr 2015 enthielten und folglich lediglich für die Zeit seither von deren Aufenthalt im Bundesgebiet ausgingen. Weiters wurde ausgeführt, dass gegen den suchtmittelabhängigen früheren Partner der Erstrevisionswerberin und Vater der Zweitrevisionswerberin wegen Tätlichkeiten ein „Betretungsverbot“ erlassen worden sei. Der Genannte sei nach Verbüßung einer Strafhaft nach Georgien abgeschoben worden, wo er die Angehörigen der Revisionswerberinnen (auch tätlich) tyrannisiere und Drohungen gegen die Erstrevisionswerberin ausspreche, sodass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nach § 57 AsylG 2005 vorlägen. In der Beschwerde wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
8 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, die in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit nach § 28 Abs. 3 VwGVG unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Insbesondere hätte das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf die lückenhaften Feststellungen des in Beschwerde gezogenen Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl zur Dauer des Aufenthalts der Erstrevisionswerberin in Österreich und im Ausland nicht nach § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.
9 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision ist in Bezug auf ihr Zulässigkeitsvorbringen zum Abweichen des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für ein Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG zulässig und begründet.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem hier maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA VG („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 13.2.2023, Ra 2022/17/0231, mwN).
12 Vorliegend traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im beim Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheid keine näheren Feststellungen dazu, ob und wie lange sich die Erstrevisionswerberin vor dem Jahr 2015 in Österreich oder im Ausland aufhielt, was in der Beschwerde mit der Behauptung eines beträchtlich langen und rechtmäßigen Aufenthalts der Erstrevisionswerberin schon während dieser Zeit gerügt wurde. Bereits im Hinblick darauf konnte kein geklärter Sachverhalt gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG vorliegen, sodass das Bundesverwaltungsgericht nicht von der Durchführung der mündlichen Verhandlung absehen durfte.
13 Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze aufzuheben.
14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und insbesondere auf § 53 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014 (vgl. VwGH 17.10.2023, Ro 2022/17/0003, 0004, mwN).
Wien, am 11. Dezember 2023