Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofräte Mag. Berger und Mag. M. Mayr als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des W Z, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 14. Juli 2021, LVwG 2021/29/0072 1 und LVwG 2021/29/0073 1, betreffend Aussetzung von Beschwerdeverfahren iZm Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Straferkenntnissen der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 17. November 2020 und vom 19. November 2020 wurden dem Revisionswerber als Verantwortlichem der P GmbH wegen mit 13 Glückspielgeräten in deren Lokal zu näher bezeichneten Zeiten begangener Übertretungen des Glücksspielgesetzes (GSpG) Geldstrafen (samt Ersatzfreiheitsstrafen) sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Landesverwaltungsgericht Tirol die Verfahren über die vom Revisionswerber gegen die Straferkenntnisse erhobenen Beschwerden gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG und § 38 AVG bis zum Abschluss des beim Verwaltungsgerichtshof zu Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahrens aus. Unter einem sprach es aus, dass eine Revision gegen seinen Beschluss gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
3 Das Landesverwaltungsgericht Tirol begründete seine Entscheidung damit, dass in den gegenständlichen Strafverfahren § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG anzuwenden sei. Bei der Prüfung der Unionsrechtskonformität dieser Bestimmung handle es sich für sein Verfahren um eine entscheidungswesentliche Vorfrage, die den Gegenstand des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahrens bilde.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, der angefochtene Beschluss stehe im Widerspruch zu näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine Verfahrensaussetzung nach § 38 AVG eine Vorfrage voraussetze, unter welcher eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen sei, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden sei.
5 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
7 Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat die gegenständlichen Verfahren nicht auf der Grundlage der Bestimmung des § 34 Abs. 3 VwGVG, sondern gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG und § 38 AVG ausgesetzt.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne der §§ 38 und 69 Abs. 1 Z 3 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Gemäß § 38 AVG ist die Behörde berechtigt, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2020/15/0057, 0058, mwN).
9 Auf der Grundlage des § 38 AVG können Verfahren bis zur (in einem anderen Verfahren beantragten) Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ausgesetzt werden; eine dem EuGH zur Klärung vorgelegte Frage des Unionsrechts kann nämlich eine Vorfrage im Sinn des § 38 AVG darstellen, die zufolge des im Bereich des Unionsrechts bestehenden Auslegungsmonopols des EuGH von diesem zu entscheiden ist (vgl. VwGH 18.12.2020, Ra 2020/15/0059, 0060, mwN).
10 Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat die Beschwerdeverfahren jedoch nicht bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C 231/20, MT, ausgesetzt, sondern nach dem Spruch des angefochtenen Beschlusses unmissverständlich auf die Erledigung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof abgestellt. Dieses (innerstaatliche) Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist aber nach der hg. Rechtsprechung nicht präjudiziell im Sinn des § 38 AVG (vgl. nochmals VwGH 18.12.2020, Ra 2020/15/0059, mwN).
11 Indem das Landesverwaltungsgericht Tirol dies verkannte, belastete es den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben war.
12 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 10. November 2023