Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. M. Mayr als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 17. März 2021, LVwG 413808/4/VG/HUE, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich; mitbeteiligte Partei: Mag. M M in E, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der V s.r.o.), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 24. August 2020 bestätigte die belangte Behörde gegenüber der mitbeteiligten Partei die bei einer in einem näher bezeichneten Lokal durchgeführten glücksspielrechtlichen Kontrolle gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit. a Glücksspielgesetz (GSpG) erfolgte Beschlagnahme von sechs näher bezeichneten Geräten.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt und hob den Beschlagnahmebescheid auf. Unter einem sprach es aus, dass gegen seine Entscheidung eine Revision unzulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, am Kontrolltag sei von Kontrollorganen die Anlieferung der sechs in Rede stehenden baugleichen Geräte in das Lokal der Mitbeteiligten beobachtet worden. Aufgrund der ‚branchentypischen Bezeichnungen’ dieser Geräte und deren Ausstattung (Banknoteneinzug, Bildschirmaufbau, Tasten) sei die Finanzpolizei von amtsbekannten typischen Walzenspielgeräten ausgegangen. Eine Betriebsbereitschaft dieser Geräte habe während der Kontrolle nicht hergestellt werden können, die Bildschirme seien inaktiv (‚schwarz‘) geblieben. Anzeigen seien auf den Bildschirmen nicht ersichtlich gewesen. Testspiele seien dadurch nicht möglich gewesen. Weitere Feststellungen zu diesen Geräten hätten nicht getroffen werden können. Der bei der Kontrolle anwesende Mitarbeiter der Lokalbetreiberin habe hinsichtlich der sechs in Rede stehenden Geräte keine näheren Auskünfte geben können und diese als nicht funktionsfähig bezeichnet. Da somit keinerlei Feststellungen zu allfällig auf den Geräten verfügbaren Spielen getroffen haben werden können, könne ein substantiierter Verdacht eines Verstoßes gegen Bestimmungen des § 52 Abs. 1 GSpG iSd zitierten Judikatur nicht begründet werden.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie deren kostenpflichtige Ab , in eventu Zurückweisung beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision auf das Wesentliche zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es für die Beschlagnahme gemäß § 53 Abs. 1 GSpG den vollen Beweis eines Verstoßes gegen § 52 Abs. 1 leg. cit. verlange, und nicht bloß das Bestehen eines diesbezüglichen Verdachts. Auf die Durchführung von Probespielen komme es nicht an. Vielmehr komme eine Vielzahl von Beweismitteln zur Beurteilung der Frage, ob ein ausreichender Verdacht auf einen Verstoß gegen § 52 Abs. 1 GSpG bestanden habe, in Betracht. Das Verwaltungsgericht habe näher dargestellte, erhebliche verdachtsbegründende Sachverhaltselemente, die sich aus den Aktenvermerken der Kontrollorgane und der Fotodokumentation der Kontrolle entnehmen ließen, nicht berücksichtigt.
6 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Zulässigkeitsvorbringen zur Frage des Bestehens eines ausreichenden substantiierten Verdachtes im Beschlagnahmeverfahren nach dem GSpG zulässig. Sie ist auch begründet.
7 Gemäß § 38 VwGVG gelten im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gemäß § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom Verwaltungsgericht von Amts wegen unabhängig von Parteivorbringen und anträgen der wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist. Betreffend die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist festzuhalten, dass gemäß Art. 130 Abs. 4 erster Satz B VG (siehe auch § 50 VwGVG) in Verwaltungsstrafsachen das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst zu entscheiden hat, woraus folgt, dass in Verwaltungsstrafverfahren dem Verwaltungsgericht in jedem Fall auch die Befugnis und Verpflichtung zu allenfalls erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zukommt (vgl. VwGH 30.7.2021, Ra 2020/17/0130, mwN).
8 Betreffend die Ermittlung des Sachverhaltes bedeutet dies, dass die Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, von Amts wegen ohne Rücksicht auf Vorträge, Verhalten und Behauptungen der Parteien die entscheidungserheblichen Tatsachen zu erforschen und deren Wahrheit festzustellen. Der Untersuchungsgrundsatz verwirklicht das Prinzip der materiellen (objektiven) Wahrheit, welcher es verbietet, den Entscheidungen einen bloß formell (subjektiv) wahren Sachverhalt zu Grunde zu legen. Der Auftrag zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet die Verwaltungsgerichte, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. In diesem Sinne sind alle sich bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und insbesondere diejenigen Beweise zu erheben, die sich nach den Umständen des jeweiligen Falles anbieten oder als sachdienlich erweisen können. Die Sachverhaltsermittlungen sind ohne Einschränkungen eigenständig vorzunehmen. Auch eine den Beschuldigten allenfalls treffende Mitwirkungspflicht enthebt das Verwaltungsgericht nicht seiner aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit erfließenden Pflicht, zunächst selbst soweit das möglich ist für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen (vgl. VwGH 5.7.2021, Ra 2021/17/0060, mwN).
9 Eine Beschlagnahme nach § 53 Abs. 1 GSpG ist nur dann zulässig, wenn ein ausreichend substantiierter Verdacht vorliegt, dass mit Glücksspielgeräten oder sonstigen Eingriffsgegenständen, mit denen in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, fortgesetzt oder wiederholt gegen Bestimmungen des § 52 Abs. 1 GSpG verstoßen wird (VwGH 26.3.2019, Ra 2019/16/0023, mwN).
10 Die konkrete Beurteilung eines ausreichend substantiierten Verdachts hängt dabei von den Umständen des Einzelfalles ab und obliegt dem Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitserforschung. Dabei können Dokumentationen von Probespielen, aber auch - insbesondere wenn solche fehlen - Zeugenaussagen oder andere Beweismittel herangezogen werden (vgl. VwGH 16.7.2021, Ra 2021/17/0064, mwN).
11 Der Umstand allein, dass die Bespielung der Apparate und damit die Durchführung von Probespielen zum Zeitpunkt der glücksspielrechtlichen Kontrolle nicht (mehr) möglich war, führt für sich genommen noch nicht dazu, dass schon deshalb angenommen werden könnte, der Verdacht des Eingriffs in das Glücksspielmonopol des Bundes mit Glücksspielgeräten sei entkräftet (vgl. VwGH 16.1.2020, Ra 2019/17/0081, mwN).
12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Ausspielung im Sinn des § 2 Abs. 1 GSpG mit Glücksspielautomaten nur vor, wenn den Spielern für eine vermögenswerte Leistung eine mittels eines Glücksspielautomaten zu bewirkende vermögenswerte Gegenleistung in Aussicht gestellt wird. Das ist bereits dann der Fall, wenn der Glücksspielautomat in betriebsbereitem Zustand aufgestellt ist oder aus den Umständen hervorgeht, dass jedem potentiellen Interessenten die Inbetriebnahme des Gerätes möglich ist. Eine Betriebsbereitschaft (Spielbereitschaft) wird noch nicht durch jederzeit unmittelbar reversible Maßnahmen beendet (vgl. VwGH 9.4.2021, Ra 2020/17/0052, mwN). Eine Betriebsbereitschaft im aufgezeigten Sinn kann daher auch bereits zu einem Zeitpunkt gegeben sein, zu dem noch kein Spieler ein Glücksspiel an dem betreffenden Gerät in Gang gesetzt hat. Entscheidend auch bei kürzlich angelieferten Geräten ist, dass diese den potentiellen Interessenten betriebsbereit im aufgezeigten Sinne angeboten werden, oder wie hier im Beschlagnahmeverfahren ein ausreichend substantiierter Verdacht für das Bestehen dieses Umstandes vorliegt.
13 Der Revisionswerber verweist unter anderem auf die in den Verwaltungsakten einliegenden Aktenvermerke und Fotodokumentationen der Kontrollorgane, aus denen sich ergebe, dass es zeitnah in demselben Lokal zwei Kontrollen gegeben habe, bei denen jeweils einschlägige Gesetzesverstöße festgestellt worden seien. Es seien auch anlässlich der gegenständlichen Kontrolle acht weitere Glücksspielgeräte beschlagnahmt worden, von denen zwei auch probebespielt worden seien. Für die gegenständlichen sechs Geräte, die denselben Aufbau wie die probebespielten Geräte aufgewiesen hätten, seien auch ein Strom- und ein (vermutlich) Netzwerkkabel bereitgestellt gewesen. Das angefochtene Erkenntnis enthält dazu keine Feststellungen.
14 Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, ist das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15 Bei diesem Ergebnis war der Mitbeteiligten gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.
Wien, am 29. Jänner 2024