Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich (Dienststelle Wien 2/20/21/22), gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 27. Jänner 2021, RV/7104052/2014, betreffend Umsatzsteuer Juli bis Dezember 2013 sowie Jänner und Februar 2014 (mitbeteiligte Partei: A GmbH in W, vertreten durch die Accurata Steuerberatungs GmbH Co KG Steuerberatungsgesellschaft in 3500 Krems an der Donau, Rechte Kremszeile 62), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Bei der Rechtsvorgängerin der Mitbeteiligten einer vorwiegend im Handel mit Industriegütern tätigen GmbH (A GmbH) fand im Jahr 2014 eine Außenprüfung betreffend die Umsatzsteuer (einschließlich Zusammenfassende Meldung) für die Monate Juni 2013 bis Februar 2014 statt. Im Bericht über das Ergebnis dieser Außenprüfung vom 29. Juli 2014 wurde u.a. festgestellt, die Rechtsvorgängerin der Mitbeteiligten habe die im Prüfungszeitraum von ihr getätigten Reihengeschäfte umsatzsteuerrechtlich unrichtig behandelt. Sie habe unter Verwendung ihrer österreichischen UID Nummer bei einer anderen österreichischen GmbH (B GmbH) Waren bestellt, und diese Waren seien direkt an ihre eigenen Kunden in andere EU Mitgliedstaaten transportiert worden. Sie habe dabei fälschlicherweise die an sie erbrachten Lieferungen der B GmbH als steuerpflichtige Inlandslieferungen und ihre Lieferungen an die eigenen Kunden als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt. Die Lieferungen durch die B GmbH seien allerdings als bewegte Lieferungen anzusehen, womit die A GmbH im jeweiligen Bestimmungsland einen innergemeinschaftlichen Erwerb getätigt habe. Da die A GmbH gegenüber der B GmbH mit ihrer österreichischen UID Nummer aufgetreten sei, habe sie darüber hinaus zusätzliche innergemeinschaftliche Erwerbe in Österreich verwirklicht.
2 Das Finanzamt folgte diesen Feststellungen und setzte die Umsatzsteuer für die verfahrensgegenständlichen Zeiträume dementsprechend unter Erhöhung der Gesamtbemessungsgrundlage der steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerbe fest.
3 Die A GmbH erhob mit Schriftsatz vom 4. August 2014 mit näherer Begründung Beschwerde gegen diese Festsetzungsbescheide und beantragte gemäß § 262 Abs. 2 BAO, die Beschwerde ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.
4 Nach Einlangen der Beschwerde innerhalb der in § 262 Abs. 2 lit. b BAO vorgesehenen Frist beim Bundesfinanzgericht fand bei der A GmbH ein Umgründungsvorgang statt. Dabei wurde mit Spaltungs und Übernahmevertrag vom 24. September 2015 der Handelsbetrieb der A GmbH auf die S GmbH abgespalten. In der Folge wurden die vormalige A GmbH in S Holding GmbH und die (aufnehmende) S GmbH in AA GmbH umbenannt.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht unter für das Revisionsverfahren nicht relevanter Abänderung der angefochtenen Bescheide die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Das Bundesfinanzgericht führte nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und auf das Wesentliche zusammengefasst aus, im verfahrensgegenständlichen Zeitraum hätten Kunden aus EU Mitgliedstaaten Waren bei der A GmbH bestellt, diese habe in der Folge die betreffenden Waren bei der B GmbH geordert sowie zugleich ihr die jeweiligen Lieferadressen der eigenen Kunden für den Warentransport bekanntgegeben. Die B GmbH habe in den an die A GmbH übermittelten Auftragsbestätigungen die jeweiligen Lieferadressen nochmals vermerkt. Die Waren seien zum größten Teil (etwa in 75 % der Fälle) direkt vom Lager der B GmbH durch die B GmbH selbst bzw. ein von ihr beauftragtes Transportunternehmen oder durch die A GmbH selbst bzw. ein von ihr beauftragtes Transportunternehmen zu den jeweiligen Kunden der A GmbH transportiert worden.
7 Die B GmbH habe die Lieferungen an die A GmbH aufgrund des Vorliegens einer österreichischen UID Nummer mit Ausweis österreichischer Umsatzsteuer abgerechnet. Die A GmbH habe ihren jeweiligen Kunden innergemeinschaftliche Lieferungen unter Verwendung ihrer österreichischen UID Nummer und der ausländischen UID Nummer des Kunden verrechnet.
8 Da gegenständlich mehrere Unternehmer über dieselben Gegenstände Umsatzgeschäfte abgeschlossen hätten und diese Geschäfte dadurch erfüllt worden seien, dass der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über diese Gegenstände verschafft habe, lägen umsatzsteuerrechtlich Reihengeschäfte vor.
9 Bei einem Reihengeschäft mit einer Warenbewegung in einen anderen EU Mitgliedstaat könne nur die bewegte Lieferung eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung sein. Zur Klärung der Frage, welcher der beiden Lieferungen die bewegte Lieferung zuzuordnen sei, müsse geklärt werden, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Verfügungsmacht zugunsten des Endabnehmers stattgefunden habe. Falls diese vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattgefunden habe, könne die bewegte Lieferung nicht der ersten Lieferung an den Ersterwerber zugeordnet werden.
10 Vorliegend sei die Verfügungsmacht erst im Mitgliedstaat des jeweiligen Endabnehmers verschafft worden. Die Lieferungen der B GmbH an die A GmbH stellten somit die bewegten Lieferungen gemäß § 3 Abs. 8 UStG 1994 dar. Die A GmbH habe daher in den jeweiligen EU Mitgliedstaaten steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe verwirklicht. Die Lieferungen der A GmbH an ihre Kunden seien die ruhenden Lieferungen gewesen.
11 Entgegen der Ansicht des Finanzamtes habe allerdings die A GmbH nicht aufgrund der Verwendung ihrer österreichischen UID Nummer gegenüber der B GmbH einen zusätzlichen steuerpflichtigen Erwerb gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 verwirklicht. Eine innergemeinschaftliche Lieferung innerhalb Österreichs sei schon begrifflich ausgeschlossen, weshalb die Verwendung der österreichischen UID Nummer auch nicht zu einem fiktiven innergemeinschaftlichen Erwerb aufgrund der genannten Bestimmung führen könne. Die Nichtanwendung des Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 im vorliegenden Fall ergebe sich auch aus der näher angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie aufgrund der Tatsache, dass der Lieferer den Umsatz im Ausgangsstaat als umsatzsteuerpflichtig behandelt habe. Hingegen sei der vom Finanzamt zugelassene Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B GmbH an die A GmbH zu versagen.
12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, zu der von der Mitbeteiligten nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung mit Kostenantrag eingebracht wurde.
13 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
16 Die außerordentliche Amtsrevision richtet sich laut ihrer Anfechtungserklärung gegen die vom Bundesfinanzgericht vertretene Ansicht, Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
17 Zur Zulässigkeit der Revision wird im Wesentlichen vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob bei Verwendung einer österreichischen UID Nummer bei von Österreich ausgehenden innergemeinschaftlichen Lieferungen in andere EU Mitgliedstaaten anstatt der UID Nummer des jeweiligen Bestimmungsmitgliedstaates Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 zur Anwendung komme und damit in Österreich eine Steuerpflicht für diese innergemeinschaftlichen Erwerbe entstehe. Die Ansicht des Bundesfinanzgerichtes, wonach dies nicht der Fall sei, stehe zudem nicht in Einklang mit dem Unionsrecht, weil der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in mehreren näher bezeichneten Urteilen klargestellt habe, dass nach Art. 41 MwStSystRL 2006/112/EG der mit Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 umgesetzt worden sei die Besteuerung in den Mitgliedstaat verlagert werde, in dem der Endverbrauch der gelieferten Waren erfolge, und der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs auch als im Gebiet des Mitgliedstaates gelegen gilt, dessen UID Nummer der Erwerber verwende.
18 Die Zulässigkeit einer Revision setzt neben einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage „abhängt“. Nach der Anfechtungserklärung der vorliegenden Amtsrevision scheint sich das revisionswerbende Finanzamt nur gegen eine in den Gründen des angefochtenen Erkenntnisses vertretene Rechtsansicht, nicht jedoch gegen das Ergebnis die Abweisung der Beschwerde als unbegründet zu wenden. Diesfalls hinge aber die Revision nicht von der aufgeworfenen Rechtsfrage (iSd Art. 133 Abs. 4 B VG) ab, weshalb sich die Revision schon aus diesem Grund als unzulässig erweisen würde. Im Übrigen wird mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.
19 Die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Eine bei Einbringung der Revision bestehende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung kann nachträglich wegfallen, wenn die Frage in einem anderen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geklärt wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt aber auch dann nicht vor, wenn sie durch ein Urteil des EuGH gelöst ist (vgl. VwGH 29.2.2024, Ra 2021/16/0077; 15.12.2022, Ro 2020/13/0016, jeweils mwN).
20 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2022, Ro 2021/15/0034, mit Verweis auf das Urteil des EuGH vom 7. Juli 2022, B , C 696/20, ausgesprochen, dass eine Besteuerung auf Grundlage von Art. 41 MwStSystRL 2006/112/EG (bzw. Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994) nicht erfolgen darf, „wenn der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen, der als im Gebiet dieses Mitgliedstaats bewirkt gilt, mit einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen einhergeht, die in diesem Mitgliedstaat nicht als ein von der Steuer befreiter Umsatz behandelt worden ist“.
21 Im vorliegenden Revisionsfall wurden die Lieferungen der B GmbH an die mitbeteiligte A GmbH nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes die im Übrigen den Feststellungen im Bericht über das Ergebnis der bei der Rechtsvorgängerin der Mitbeteiligten durchgeführten Außenprüfung vom 29. Juli 2014 entsprechen und auch nicht bestritten werden als steuerpflichtig behandelt.
22 Die Beurteilung des Bundesfinanzgerichtes, wonach im Revisionsfall bei der Mitbeteiligten trotz Verwendung ihrer österreichischen UID Nummer gegenüber der B GmbH keine Steuerpflicht gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 entstanden sei, weicht somit im Ergebnis nicht von der angeführten höchstgerichtlichen Rechtsprechung ab.
23 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
24 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff (insbesondere § 51) VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Hinsichtlich des Ausmaßes des zuerkannten Aufwandersatzes ist auf das Antragsprinzip gemäß § 59 VwGG, wonach ziffernmäßig verzeichnete Kosten nur in der beantragten Höhe zuzusprechen sind, zu verweisen (vgl. dazu VwGH 20.4.2023, Ro 2022/05/0018, mwN).
Wien, am 27. Mai 2024
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