JudikaturVwGH

Ra 2021/12/0049 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
03. April 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und Hofrätin Mag.a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des H S in G, vertreten durch Dr. Christian Stuppnig, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ditscheinergasse 3/12A, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 11. Mai 2021, LVwG AV 1030/001 2020, betreffend Rückforderung von (Bürgermeister)Pensionsbezügen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtrat der Stadtgemeinde G, vertreten durch Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Esteplatz 7), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbende Partei hat der Stadtgemeinde G Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid der Stadtgemeinde G vom 4. Mai 2020 wurden vom Revisionswerber € 70.345,42 an Bürgermeisterpensionsbezügen für den Zeitraum von März 2016 bis Februar 2019 gemäß §§ 22 Abs. 3 Z 1 lit. a iVm 16 Abs. 1 NÖ Gemeindebezügegesetz in Verbindung mit § 10 Gemeindebeamtengehaltsordnung 1976 zurückgefordert.

2 Mit Bescheid vom 28. Juli 2020 wies der Stadtrat die dagegen vom Revisionswerber erhobene Berufung als unbegründet ab.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 nicht zulässig sei.

4 Das Landesverwaltungsgericht traf auszugsweise folgende Feststellungen (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Der Beschwerdeführer X übte während des Zeitraumes von 1981 bis 1993 das Amt des Bürgermeisters der nunmehrigen Stadtgemeinde G aus. Darüber hinaus war dieser Bürgermeister außer Dienst als Beamter im Bundesministerium für Landesverteidigung tätig.

Weiters übte X auch nach Beendigung seiner Tätigkeit als Bürgermeister bis 1998 die politische Funktion eines Landtagsabgeordneten im NÖ Landtag aus.

Im Hinblick auf die demographische Entwicklung hat die Stadtgemeinde G schon im Jahr 2013 die für das Bundesverfassungsgesetz über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre geltende relevante 10.000 Einwohnergrenze überschritten und ist sie auch bis zum heutigen Tag nicht mehr unter diese Einwohnerzahl gesunken.

Bis Ablauf des Monats Februar 2019 bezog X zu Unrecht irrtümlich überhöht angewiesene Pensionsbezüge aus seiner Tätigkeit als Bürgermeister der Stadtgemeinde G.

Die Höhe der irrtümlicherweise ungekürzt angewiesenen Bezüge für den allein verfahrensrelevant entscheidenden Tatzeitraum vom 01.03.2016 bis 28.02.2019 beträgt 70.345,42 Euro.

X bezieht neben seiner Pension als ehemaliger Bürgermeister der Stadtgemeinde G eine Beamtenpension auf Grund seiner Tätigkeit im Bundesministerium für Landesverteidigung, sowie Bezüge, resultierend aus seiner Funktion als Landtagsabgeordneter, ausgeübt bis 1998.

...

Das Bundesverfassungsgesetz über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre ist zu einem Zeitpunkt im Nationalrat beschlossen und auch in den Bundesländern durch Regelungen zur Geltung gelangt, als X noch Landtagsabgeordneter zum NÖ Landtag war.“

5 Das Landesverwaltungsgericht gelangte unter Zitierung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst zum Ergebnis, für die Beurteilung der Gutgläubigkeit des Empfanges gelte die sogenannte Theorie der objektiven Erkennbarkeit. Guter Glaube fehle danach schon dann, wenn der Leistungsempfänger nicht nach seinem Wissen, sondern objektiv beurteilt an der Rechtmäßigkeit der ihm ausbezahlten Leistungen auch nur hätte Zweifel haben müssen. Es fehle generell schon dann der gute Glaube, wenn im Zeitpunkt der Empfangnahme der Pension zwar ein gültiger Titel bestanden habe, aber wie im vorliegenden Fall der Empfänger, in diesem Fall ein langjähriger Bürgermeister und langjähriger Landtagsabgeordneter, am Weiterbestand dieses Titels habe ernsthaft zweifeln müssen, insbesondere im Umfang der monatlichen Anweisung der Bürgermeisterpension. Auch wenn die Höhe der ausbezahlten Pension auf einem Irrtum der auszahlenden Stelle beruhe, bestehe eine Rückersatzverpflichtung, wenn sie für den Leistungsempfänger, auch unter Prüfung der gegenständlichen Begleitumstände, insbesondere des jahrelangen Bezugszeitraumes, habe objektiv erkennbar sein müssen.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.

7 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragte, die Revision kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.

8 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird zusammengefasst ausgeführt, das Landesverwaltungsgericht habe an den Revisionswerber einen erhöhten Sorgfaltsmaßstab angelegt, ohne zu begründen weshalb. Unstrittig sei, dass zum Zeitpunkt des Beginns des Ruhegenussbezuges die rechtlichen Voraussetzungen vorgelegen seien, und sich lediglich im Laufe der Zeit geändert hätten. Das Landesverwaltungsgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Revisionswerber nicht nur zum Zeitpunkt der Erlassung des Pensionsbescheides dessen Rechtmäßigkeit habe überprüfen müssen, sondern auch zu jedem späteren Zeitpunkt. Auch auf das Alter des Revisionswerbers, der 1933 geboren sei, sei das Landesverwaltungsgericht bei der Beurteilung des an ihn anzulegenden Sorgfaltsmaßstabes nicht eingegangen. Die Beurteilung des Sachverhaltes sei grob fehlerhaft, weil das Landesverwaltungsgericht davon ausgegangen sei, dass es dem Revisionswerber jedenfalls zumutbar gewesen wäre, die Bestimmungen des Bezügebegrenzungsgesetzes zu kennen. Das Landesverwaltungsgericht stütze sein Erkenntnis darauf, dass der Revisionswerber im Jahr 1997 noch Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag gewesen sei. Tatsächlich sei § 18 Rechnungshofgesetz aber erst im Jahr 2011 dahin geändert worden, dass der Rechnungshof nun auch Gemeinden ab einer Einwohnerzahl von 10.000 zu kontrollieren habe. Es sei daher auf den gegenständlichen Sachverhalt erst ab diesem Zeitpunkt § 4 des Bezügebegrenzungsgesetzes zur Anwendung gelangt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Revisionswerber bereits seit 15 Jahren nicht mehr Landtagsabgeordneter gewesen und habe überhaupt keine (öffentliche) Funktion mehr bekleidet. Er habe sich seit seinem Ausscheiden aus dem Bürgermeisteramt nicht mehr mit der Kommunalpolitik beschäftigt und sei aus gesundheitlichen Gründen bereits seit Sommer 1997 auf Grund einer Herzoperation faktisch auch nicht mehr im Landtag anwesend gewesen. Der Revisionswerber hätte aber, um erkennen zu können, dass die Auszahlung der Pension nicht zu Recht erfolgt sei, Kenntnis von der Novellierung des § 18 Rechnungshofgesetzes haben müssen. Ob der Revisionswerber Kenntnis über diese Novellierung hatte, habe das Landesverwaltungsgericht nicht einmal im Ansatz behandelt, ebenso wenig die Frage, ob der an einen Pensionsbezugsberechtigten anzulegende Sorgfaltsmaßstab soweit gehe, dass er sich über jede Gesetzesänderung informieren müsse, die nicht einmal direkt im Zusammenhang mit dem Bezug seiner Pension stehe. Auch habe es das Landesverwaltungsgericht völlig unterlassen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es dem Revisionswerber zumutbar gewesen sei, sich permanent darüber informiert zu halten, wieviele Einwohner eine Gemeinde habe. Im Bescheid vom 4. Mai 2020 werde ausdrücklich festgestellt, dass der Revisionswerber „bezüglich der Mehrbezüge in den letzten Jahren ... diese im guten Glauben bezogen und konsumiert“ habe. Nicht einmal die Behörde selbst, die für die Unredlichkeit des Revisionswerbers beweispflichtig wäre, gehe daher davon aus, dass der Revisionswerber unredlich gewesen sei. Aus all diesen Gründen hätte das Landesverwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangen müssen.

9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Frage, ob die empfangenen Übergenüsse rückgefordert werden können, die Situation im Zeitpunkt des erstmaligen Mehrbezuges von Bedeutung, nämlich ob für den Beamten der erstmalige Irrtum der Behörde bei Anweisung der Bezüge objektiv erkennbar war oder ob er damals bei der Anwendung eines durchschnittlichen Maßes an Sorgfalt Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von ihm fortlaufend bezogenen überhöhten Bezüge hätte haben müssen (vgl. VwGH 28.5.2014, 2013/12/0200; 4.9.2012, 2009/12/0132; 22.5.2012, 2011/12/157, jeweils mwN).

14 Weiters ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Frage der Gutgläubigkeit des Beamten im Sinne der Theorie der objektiven Erkennbarkeit des Irrtums der auszahlenden Stelle nicht entscheidend, ob der Beamte in Besoldungsfragen gebildet ist oder nicht bzw. ob er verpflichtet ist, Überprüfungen vorzunehmen; wesentlich ist vielmehr, ob auf Grund der gegebenen Rechtslage in Verbindung mit dem Sachverhalt es möglich und zumutbar gewesen wäre, den Umstand des Vorliegens eines Übergenusses zu erkennen (siehe etwa VwGH 31.3.2006, 2003/12/0041; 22.12.2004, 2004/12/0143; 15.12.1999, 97/12/0301; jeweils mwN). Sämtliche in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgeworfenen Fragen, die sich mit der subjektiven Kenntnis des Revisionswerbers oder dem Vorliegen von den Revisionswerber treffenden Prüfungspflichten auseinandersetzen, sind daher nicht entscheidungswesentlich. Vielmehr kommt es nach der wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darauf an, ob auf Grund der gegebenen Rechtslage in Verbindung mit dem Sachverhalt es dem Leistungsempfänger möglich und zumutbar gewesen wäre, den Umstand des Vorliegens eines Übergenusses zu erkennen. Dass es dem Revisionswerber bei objektiver Betrachtung ausgehend von der gegebenen Rechtslage in Verbindung mit dem Sachverhalt nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre, den Irrtum der auszahlenden Stelle zu erkennen, hat der Revisionswerber in seiner Zulässigkeitsbegründung gar nicht behauptet.

15 Die Gutgläubigkeit beim Empfang von Übergenüssen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon dann nicht anzunehmen, wenn der Leistungsempfänger nicht nach seinem subjektiven Wissen, sondern objektiv beurteilt bei Anwendung eines durchschnittlichen Maßes an Sorgfalt an der Rechtmäßigkeit der ihm ausbezahlten Leistungen auch nur hätte Zweifel haben müssen. Erfolgt die Leistung deshalb, weil die Anwendung der Norm, auf Grund derer die Leistung erfolgt, auf einem Irrtum der auszahlenden Stelle beruht, den der Leistungsempfänger weder erkannt noch veranlasst hat, so ist dieser Irrtum nur dann im genannten Sinne objektiv erkennbar (und damit eine Rückersatzverpflichtung schon deshalb zu bejahen), wenn der Irrtum in der offensichtlich falschen Anwendung einer Norm, deren Auslegung keine Schwierigkeiten bereitet, besteht (vgl. etwa VwGH 8.3.2018, Ra 2015/12/0015, mwN). Umgelegt auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Gutgläubigkeit eines Leistungsempfängers im Falle, dass wie vorliegend die Behörde es irrtümlich unterlässt, bestimmte Rechtsnormen anzuwenden, die Gutgläubigkeit schon dann zu verneinen ist, wenn bei Kenntnis dieser Rechtsnormen und des Sachverhaltes es ihm möglich und zumutbar wäre, den Umstand des Vorliegens eines Übergenusses zu erkennen. Dass dies nicht der Fall gewesen wäre, wurde in der Zulässigkeitsbegründung nicht behauptet. Es wurde somit nicht aufgezeigt, dass die Beurteilung des Landesverwaltungsgerichts ausgehend von der ständigen hg. Rechtsprechung zur objektiven Erkennbarkeit beim Ersatz zu Unrecht empfangener Leistungen eine unvertretbare Beurteilung unterlaufen wäre (vgl. zur Einzelfallbezogenheit und damit auf eine in der Zulässigkeitsbegründung aufgezeigte Unvertretbarkeit eingeschränkten Revisibilität der Beurteilung der Gutgläubigkeit: VwGH 22.10.2015, Ra 2015/12/0046).

Die vom Revisionswerber vertretene Ansicht würde dazu führen, dass diejenigen Beamten, die sich um die wesentlichen Umstände betreffend ihre Entlohnung in keiner Weise kümmern, dadurch belohnt würden, dass im Falle des Entstehens eines Übergenusses von ihrer Gutgläubigkeit beim Empfang auszugehen wäre. Gerade dies widerspricht aber der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur objektiven Erkennbarkeit (vgl. etwa VwGH 28.5.2014, 2013/12/0200).

16 Da somit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht aufgezeigt wurde, war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. April 2023

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