Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der Bundesbeschaffung GmbH in Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur in 1010 Wien, Singerstraße 17 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. August 2021, Zlen. 1. W131 2241615 2/79E, 2. W131 2243744 1/8E, 3. W131 2243745 1/8E, 4. W131 2243746 1/8E, 5. W131 2243747 1/8E, 6. W131 2243748-1/8E, 7. W131 2241627 2/75E, 8. W131 2241628 2/76E, 9. W131 2243750 1/9E, 10. W131 2243751 1/9E, 11. W131 2243752 1/9E, 12. W131 2243753 1/9E, 13. W131 2243754 1/9E, 14. W131 2243755 1/9E und 15. W131 2243756 1/9E, betreffend ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Bietergemeinschaft E in W, vertreten durch die E+H Rechtsanwälte GmbH in 1100 Wien, Wienerbergstraße 11; 2. Bietergemeinschaft E S in G, vertreten durch die Breitenfeld Rechtsanwälte GmbH Co KG in 1010 Wien, Marc Aurel Straße 6) zu Recht erkannt:
Spruch
Das Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Nichtigerklärung der Auswahlentscheidungen der Auftraggeberin) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
I.
1 1. Die revisionswerbende Partei (Auftraggeberin) führte als zentrale Beschaffungsstelle im Sinn des § 2 Z 47 Bundesvergabegesetz 2018 (BVerG 2018) ein zweistufiges Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung je Los über die Lieferung von elektrischer Energie im Zeitraum 1. Jänner 2022 bis 31. Dezember 2024.
2 Am 9. April 2021 wurden den Bietern über die Vergabeplattform die begründeten Auswahlentscheidungen der Auftraggeberin, mit welchem Partner jeweils die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, zur Verfügung gestellt.
3 Mit Schriftsätzen vom 19. April 2021 beantragten die erst- und die zweitmitbeteiligte Partei die Nichtigerklärung dieser Auswahlentscheidungen.
4 2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht den Anträgen statt und erklärte die Auswahlentscheidungen zu den Losen 1, 3, 4, 5, 8, 9, 10, 11 und 16 für nichtig (Spruchpunkt II.A). Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt II.B).
5 2.2. In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass bei den gegenständlichen Losen 1, 3, 4, 5, 8, 9, 10, 11 und 16 bei der Erstanbotslegung und bei der Letztanbotslegung jeweils verpflichtend UZ 46 Strom anzubieten gewesen sei (bei Los 16 allerdings bei der Erstanbotslegung noch im Rahmen eines obligatorischen Variantenangebots mit einer Variante für UZ 46 Strom). Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie habe so das Verwaltungsgericht zwecks Verwendbarkeit der Verbandsmarke Österreichisches Umweltzeichen die Richtlinie „UZ 46 Grüner Strom“ herausgegeben. Mit dieser Richtlinie würden jene Tarifmodelle bzw. Stromprodukte von Ökostromhändlern ausgezeichnet, die zur Gänze aus erneuerbarer Energie stammten und somit einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung leisteten. Der Bund (vertreten durch die zuständige Bundesministerin) schließe Markenlizenzverträge mit entsprechend qualifizierten Stromhändlern ab, nachdem der Bund insoweit zuvor eine Verbandsmarke „Umweltzeichen“ nach dem Markenschutzgesetz habe registrieren lassen. In der Satzung der Verbandsmarke sei festgelegt, dass die Republik Österreich das Umweltzeichen (als Verbandsmarke) mit einem entsprechenden Nutzungsvertrag vergebe, sofern zB ein Produkt oder eine Dienstleistung die Voraussetzungen erfülle, die in der Satzung und in den entsprechend der Satzung erarbeiteten und veröffentlichten Richtlinien festgesetzt würden.
6 Im Rahmen der ersten Fragebeantwortung zu den Erstangebotsunterlagen habe die Auftraggeberin auf die Frage, bis wann die „UZ 46 Zertifizierung“ spätestens abgeschlossen sein müsse und wann und wie die Zertifizierung nachzuweisen sei, nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts wie folgt geantwortet:
„In den Losen 01 bis 11 und allenfalls im Los 16 hat der zukünftige Auftragnehmer elektrische Energie zu liefern, die zu 100 % aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt wurde, wobei die Stromaufbringung nach den Bestimmungen des österreichischen Umweltzeichens UZ 46 (‚Grüner Strom‘) zu erfolgen hat. Somit muss der zukünftige Auftragnehmer spätestens zum Lieferbeginn am 01.01.2022 über die entsprechende Zertifizierung verfügen und hat ausschließlich solchen Strom zu liefern. Bestellungen sowie Preisfixierungen von UZ 46 Strom müssen bereits ab Mai 2021 möglich sein. Eine gesonderte Nachweisführung ist nicht erforderlich [...].“
7 In seinen rechtlichen Erwägungen ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Begriff „verfügen“ gemäß den entsprechenden Teilen in den Erstangebotsunterlagen und Letztangebotsunterlagen objektiv dahin zu verstehen sei, dass ein Bieter zum Zeitpunkt seiner Angebotsabgabe nur dann über UZ 46 Strom verfüge, wenn er bereits ein vertraglich begründetes Nutzungsrecht für die Verbandsmarke Österreichisches Umweltzeichen für seine Stromprodukte habe. Solange ein Bieter von der zuständigen Ministerin noch kein Nutzungsrecht entsprechend der Richtlinie UZ 46 eingeräumt erhalten habe bzw. er noch keinen diesbezüglichen Lizenzvertrag für die Nutzung der Verbandsmarke Österreichisches Umweltzeichen abgeschlossen habe, verfüge der Bieter nicht über Strom, den er als UZ 46 Strom anbieten könne.
8 Demnach verfüge ein Bieter nur dann über UZ 46 Strom, wenn er für sein Stromprodukt das Recht erworben habe, es mit der Verbandsmarke Österreichisches Umweltzeichen zu kennzeichnen.
9 Weder die V GmbH (zu deren Gunsten die Auswahlentscheidung bei den Losen 1, 3, 5, 10, 11 und 16 ergangen sei) noch die T AG (zu deren Gunsten die Auswahlentscheidung bei den Losen 4, 8 und 9 ausgegangen sei) hätten bislang dieses Nutzungsrecht an der Verbandsmarke Österreichisches Umweltzeichen selbst erworben. Sie verfügten damit bis heute nicht kraft eigenen Markenschutzrechts über UZ 46 Strom.
10 Die V GmbH und die T AG hätten auch über ihre in der Angebotsphase benannten Subunternehmerinnen zum Schlusstermin für die Erstangebotsphase am 20. Jänner 2021 nicht über irgendwelchen UZ 46 Strom verfügt. Die für die T AG ins Treffen geführte Subunternehmerin habe nämlich ihr Nutzungsrecht an der Verbandsmarke erst im Februar 2021 erworben, die im Vergabeverfahren insoweit deklarierte Subunternehmerin der V GmbH sogar erst frühestens im April 2021.
11 Mangels eines von der jeweiligen Subunternehmerin abgeleiteten Markenschutzrechts für ihre Stromprodukte zum Erstangebotstermin seien damit die Erstangebote der V GmbH und der T AG ausschreibungswidrig im Sinn der Erstangebotsunterlagen. Dort sei das Ausscheiden der Angebote mangels Verfügens über UZ 46 Strom vorgesehen gewesen. Zudem hätten Erstangebotsunterlagen nur Verhandlungen über technische, rechtliche und finanzielle Aspekte vorgesehen, nicht aber über die definitiv verlangte Lieferung von UZ 46 Strom bei den vordefinierten „UZ 46 Losen“.
12 Da beim Erstangebot für die Lose 1, 3, 4, 5, 8, 9, 10, 11 und 11 obligatorisch UZ 46 Strom anzubieten gewesen sei (für das Los 16 insoweit in einem Variantenangebot), habe objektiv ausschreibungskonform kein solcher angeboten werden können, wenn die V GmbH und die T AG damals jeweils noch nicht mangels Markenschutzrechts über UZ 46 Strom verfügt hätten.
13 Die Revision sei nicht zuzulassen gewesen, weil die ausgesprochenen Nichtigerklärungen auf dem objektiven Ausschreibungswortlaut beruhten und eine Ausschreibungsauslegung im Einzelfall nicht revisibel sei.
14 3. Gegen Spruchpunkt II.A dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Auftraggeberin.
15 Im eingeleiteten Vorverfahren erstatteten die mitbeteiligten Parteien jeweils eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
16 1.1. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil dem Verwaltungsgericht bei der Auslegung der Ausschreibungsunterlagen eine „krasse Fehlbeurteilung“ unterlaufen sei. Aus den Ausschreibungsunterlagen und der Fragebeantwortung der Auftraggeberin zum Erstangebot gehe hervor, dass der spätere Auftragnehmer erst zu Lieferbeginn am 1. Jänner 2022 über die entsprechende UZ 46 Zertifizierung verfügen müsse. Dies ergebe sich sowohl aus dem objektiven Erklärungswert der Ausschreibungsunterlagen als auch aus der gesetzeskonform vorzunehmenden Auslegung dieser Unterlagen.
17 1.2. Die Revision ist in Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie erweist sich aus nachstehenden Erwägungen auch als berechtigt.
18 2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Prüfung der Ausschreibungskonformität eines Angebotes zwar stets eine im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung dar. Ob ein Angebot einen zum Ausscheiden führenden Mangel aufweist, ist am Maßstab der Ausschreibungsbestimmungen zu messen.
Auch hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die in vertretbarer Weise vorgenommene einzelfallbezogene Auslegung von Parteierklärungen oder Ausschreibungsunterlagen keine grundsätzliche Rechtsfrage bildet, bzw. dass einer vertretbaren Auslegung keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall ist nur dann als revisibel anzusehen, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl. VwGH 7.2.2022, Ra 2018/04/0140, Pkt. II.3., mwN).
19 Eine solche vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit des angefochtenen Erkenntnisses liegt gegenständlich vor.
20 Gemäß Pkt. 193 der Erstangebotsunterlagen wird (nach den Feststellungen des das Verwaltungsgerichts) ein Angebot zu einem Los gemäß § 141 Abs. 1 Z 7 BVergG 2018 ausgeschieden, wenn der Bieter in diesem Los nicht über ausreichend Gesamtvolumen an UZ 46 Strom verfügt.
21 Das Verwaltungsgericht vertrat im vorliegenden Fall die Auffassung, dass diese Voraussetzung bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe erfüllt sein müsse und dass die mitbeteiligten Parteien dem nicht entsprochen hätten.
22 Wie von der Revision jedoch zu Recht ins Treffen geführt, wurde von der Auftraggeberin mit der bestandfest gewordenen Rückfragenbeantwortung zu den Erstangebotsunterlagen auf die Frage, bis wann die „UZ 46 Zertifizierung“ spätestens abgeschlossen sein müsse und wann und wie die Zertifizierung nachzuweisen sei, mitgeteilt, dass der zukünftige Auftragnehmer spätestens zum Lieferbeginn am 1. Jänner 2022 über die entsprechende Zertifizierung verfügen müsse und ausschließlich solchen Strom zu liefern habe. Bestellungen sowie Preisfixierungen von UZ 46 Strom müssten bereits ab Mai 2021 möglich sein, wobei eine gesonderte Nachweisführung nicht erforderlich sei.
23 Vor diesem Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht nicht davon ausgehen dürfen, dass ein zukünftiger Auftragnehmer bereits bei der Angebotsabgabe über UZ 46 Strom verfügen, also schon zu diesem Zeitpunkt ein vertraglich begründetes Nutzungsrecht für die Verbandsmarke Österreichisches Umweltzeichen für seine Stromprodukte haben müsse.
Diese Sichtweise lässt sich auch nicht mit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung des Begriffs „verfügen“ begründen. Mit dem hier ins Treffen geführten Argument (des Verwaltungsgerichts), dass ein Bieter nur über UZ 46 Strom verfüge, wenn er bereits ein vertraglich begründetes Nutzungsrecht für die Verbandsmarke Österreichisches Umweltzeichen für seine Stromprodukte habe, wird nämlich nichts darüber gesagt, zu welchem Zeitpunkt dies im vorliegenden Fall gegeben sein muss.
24 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und darauf gestützt die Auswahlentscheidungen der Auftraggeberin für nichtig erklärte, hat es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
25 3. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts war daher im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt II.A) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
26 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Oktober 2024