JudikaturVwGH

Ra 2021/04/0098 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Mayr sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der L Gesellschaft m.b.H. in S, vertreten durch die Dumfarth Klausberger Rechtsanwälte GmbH Co KG in 4020 Linz, Stelzhamerstraße 2/26, gegen das am 5. Jänner 2021 mündlich verkündete und mit 2. Februar 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich, Zl. LVwG 840215/13/KI/CG, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Partei: Gemeinde S, vertreten durch Dr. Walter Müller, Mag. Dr. Wolfgang Graziani Weiss, Mag. Bernhard Scharmüller, Mag. Dr. Mario Höller Prantner und Mag. Dr. Michael Kraus LL.B., Rechtsanwälte in 4020 Linz, Zollamtstraße 7), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Gemeinde S (Auftraggeberin) führte betreffend das Bauvorhaben „Infrastrukturprojekt H“, Erdbau-, Baumeisterarbeiten, ein offenes Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich durch. Insgesamt wurden neun Angebote eingereicht, unter anderem von der revisionswerbenden Partei. Mit 11. November 2020 wurde auf dem Vergabeportal ANKÖ die Widerrufserklärung gemäß § 150 Abs. 7 Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018) bekanntgemacht.

2 Mit Eingabe vom 18. November 2020 beantragte die revisionswerbende Partei, gemäß § 2 Abs. 5 Z 1 iVm § 12 Abs. 1 Z 5 Oö. Vergaberechtsschutzgesetz 2006 Oö. VergRSG 2006 festzustellen, dass die Erklärung des Widerrufs des Vergabeverfahrens „Infrastrukturprojekt H“ vom 11. November 2020 rechtswidrig gewesen sei, gemäß § 2 Abs. 5 Z 4 iVm § 16a Oö. VergRSG 2006 den Widerruf des Vergabeverfahrens für unwirksam zu erklären sowie gemäß § 23 Oö. VergRSG 2006 die Auftraggeberin zum Ersatz der von der revisionswerbenden Partei zu entrichtenden Pauschalgebühren zu verpflichten.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) den Feststellungsantrag der revisionswerbenden Partei als unbegründet ab (Spruchpunkt I.), ebenso den Antrag auf Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass die Revision unzulässig sei (Spruchpunkt III.).

4 Das Verwaltungsgericht stellte nachfolgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Auftraggeberin habe am 16. Jänner 2018 zur Baureifmachung einer als Bauland verwertbaren Fläche im Ausmaß von rund 65.035 m² mit XY einen ersten Raumordnungsvertrag geschlossen, nach dem die Infrastruktur- und Planungskosten gemäß einer Grobschätzung vom September 2017 für eine erste Etappe in der Höhe von netto € 2,5 Mio. von XY zu übernehmen seien und zusätzlich zu den für Wasser und Kanal von der Auftraggeberin vorzunehmenden Vorschreibungen von XY ein pauschaler Kostenbeitrag pro m² Bauplatzfläche über Vorschreibung der Auftraggeberin zu entrichten sei. Zur Vorfinanzierung der Aufschließungskosten werde von der Auftraggeberin ein Darlehen aufgenommen. Der Raumordnungsvertrag erlange erst durch die aufsichtsbehördliche Genehmigung des Darlehensvertrages durch das Land Oberösterreich Rechtswirksamkeit.

Hinsichtlich der weiteren Etappen 2 4 sei von der Auftraggeberin am 12. Februar 2020 ein weiterer Raumordnungsvertrag mit XY geschlossen worden. Diesem Vertrag seien nunmehr valorisierte Gesamtkosten von netto € 2,628.704, (der Bruttopreis 2017 von € 3 Mio. erhöhe sich indexiert auf € 3,154.454,28) zu Grunde gelegt worden und der von XY zu leistende Infrastrukturbeitrag je m² Bauplatzfläche entsprechend erhöht worden. In der Gesamtkostenschätzung seien auch (nicht von der vorliegenden Ausschreibung umfasste) Verkehrsflächen - Oberflächenherstellung, Außengestaltung usw. inkludiert. Eine Grobkostenschätzung der lediglich den gegenständlichen Auftragsgegenstand betreffenden Leistungen ergebe indexiert eine Summe von gerundet netto € 1,730.000, . Mit Gemeinderatsbeschluss vom 13. Oktober 2020 sei ein Kreditvertrag der Auftraggeberin in der Höhe von € 3 Mio. zur Finanzierung der Infrastrukturerrichtung genehmigt und der Kreditvertrag mit 20. Oktober 2020 der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorgelegt worden.

Bereits zuvor habe die Auftraggeberin mit Bekanntmachung im Vergabeportal ANKÖ vom 17. August 2020 das Bauvorhaben „Infrastrukturprojekt H“, Erdbau-, Baumeisterarbeiten, im offenen Verfahren im Unterschwellenbereich ausgeschrieben.

Insgesamt seien neun Angebote eingereicht worden, darunter jenes der revisionswerbenden Partei mit einem Gesamtpreis von € 1,948.922,22 netto. Die Billigstbieterin habe einen Gesamtpreis von netto € 1,678.527,10, die übrigen Bieter hätten einen jeweils höheren Gesamtpreis als die revisionswerbende Partei geboten. Die revisionswerbende Partei habe nach Bewertung der Angebote mit insgesamt 87,01 Punkten (73,21 Punkte für den Gesamtpreis, 10 Punkte für die Verlängerung der Gewährleistungsfrist und 3,80 Punkte für die preisliche Ausgewogenheit der Kalkulation) die höchste Punkteanzahl erhalten. Die Gesamtpunkteanzahl der Billigstbieterin habe 86,09 Punkte (85 Punkte für den Gesamtpreis und 1,09 Punkte für die preisliche Ausgewogenheit der Kalkulation) betragen. Fünf Bieter hätten die Verlängerung der Gewährleistungsfrist um drei Jahre angeboten. Hinsichtlich der revisionswerbenden Partei sei zur finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit per 27. August 2020 ein KSV Rating von 309 (statt einem in der Ausschreibung festgelegten KSV Rating von max. 299), ein Gesamtumsatz der letzten drei Jahre von € 4,211.000,-- (2017), € 4,178.000, (2018) und € 4,261.000,-- (2019) sowie eine Betriebshaftpflichtversicherung vom 7. Jänner 2020 mit einer Versicherungssumme von € 2,5 Mio. ausgewiesen gewesen. Eine Aufklärung vom 7. Oktober 2020 habe eine bestätigte Betriebshaftpflichtversicherung von € 10 Mio. ergeben. Eine Aufklärung betreffend Bekanntgabe des Jahresumsatzes im Bereich des Ausschreibungsgegenstandes für die letzten drei Geschäftsjahre habe für 2017 € 3,350.000,--, für 2018 € 3,275.000,-- und für 2019 € 3,300.000,-- ergeben.

Gemäß Angebotsprüfung hätten auch die übrigen Bieter zum Teil das geforderte KSV Rating nicht erfüllen können. Hinsichtlich der Billigstbieterin scheine ein Rating vom 30. September 2020 von 1,8 nach AKV (ausgezeichnete Bonität) auf. Per 27. August 2020 habe die revisionswerbende Partei ein KSV Rating mit 295 belegt. Die geforderten Referenznachweise seien vermutlich von der revisionswerbenden Partei, nicht jedoch von der Billigstbieterin erfüllt worden.

Mit 11. November 2020 sei auf dem Vergabeportal des ANKÖ die Widerrufserklärung gemäß § 150 Abs. 7 Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018) mit sofortiger Wirkung bekanntgegeben worden.

Mit 12. November 2020 sei im ANKÖ das Angebotsschreiben der Auftraggeberin für Bauleistungen des identen Bauvorhabens im offenen Verfahren im Unterschwellenbereich mit Angebotsfrist bis 4. Dezember 2020 nach dem Bestbieterprinzip bekanntgegeben worden. Dabei seien bei den Eignungs- und den Zuschlagskriterien (geringfügige) Änderungen vorgenommen worden.

5 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, ausgehend von den Erläuterungen zu § 149 Abs. 2 Z 3 BVergG 2018 (RV 69 BlgNR 26. GP 160) unter Hinweis auf die einschlägige Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sei für den Widerruf aus sachlichem Grund kein strenger Maßstab anzulegen. Die mangelnde budgetäre Bedeckung sei ausdrücklich ein sachlicher Grund für einen Widerruf sowie auch festgestellte überhöhte Preise und die Annahme, dass die Preise aus anderen Gründen nicht die korrekten Marktpreise widerspiegelten.

Die Auftraggeberin habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Realisierung des Projektes nur unter der Voraussetzung der Kostenneutralität möglich sei. Sie habe dazu eine Kostenschätzung und den Finanzierungsplan mit XY vorgelegt. Es sei auch eine Valorisierung bis zum Jahr 2020 vorgenommen worden. Des Weiteren sei dargelegt worden, dass Differenzbeträge aus Valorisierung und Beitragsfinanzierung durch XY durch weitere Infrastrukturbeiträge bzw. vorschreibungen durch die Auftraggeberin gedeckt werden könnten. Dies sei im Sinne der Kostenneutralität als Grundvoraussetzung erforderlich. Auf der Grundlage dieses der Auftraggeberin zur Verfügung stehenden Kostenrahmens sei die Ausschreibung durchgeführt worden. Die Bewertung der abgegebenen Angebote habe eine Überschreitung des Kostenrahmens der Auftraggeberin ergeben. Dieser Kostenrahmen habe sich mit den vereinbarten Infrastrukturbeiträgen von XY und den Kanal- und Wasservorschreibungen der Auftraggeberin begrenzt. Die Auftraggeberin könne nicht gezwungen werden, den Budgetrahmen zu überschreiten. Es liege somit ein sachlicher Grund für den Widerruf vor.

Der nachträgliche Abschluss des Kreditvertrages im Wissen der eingelangten und bewerteten Angebote und deren Preisgestaltung sei damit begründet, dass die Auftraggeberin von einer realistischen Kostenschätzung von August 2020 ausgegangen sei und an dieser festgehalten habe. Es habe daher die Auftraggeberin in der Folge unmittelbar nach dem Widerruf in Erwartung von preislich günstigeren Angeboten aufgrund des verschobenen günstigeren Leistungszeitraumes eine Neuausschreibung mit versetzten Leistungsfristen und vereinfachten Eignungskriterien vorgenommen.

Da ein nachvollziehbarer sachlicher Grund für den Widerruf gemäß § 149 Abs. 2 Z 3 BVergG 2018 vorliege, sei der Feststellungsantrag abzuweisen.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Rechtsfragen, unter welchen Voraussetzungen eine fehlende budgetäre Deckung (Budgetüberschreitung) einen sachlichen Widerrufsgrund gemäß § 149 Abs. 2 Z 3 BVergG 2018 darstelle, und ob zwei vergaberechtlich unterschiedliche Vorgänge (Widerruf und Neuausschreibung) in ihrer Gesamtheit zu beurteilen seien, insbesondere wenn eine Gesamtbetrachtung dazu führe, dass die Vorgehensweise des öffentlichen Auftraggebers zu einer Verletzung vergaberechtlicher Grundsätze führe.

Tatsächlich habe es sich bei der Budgetüberschreitung als Widerrufsgrund um eine bloße Schutzbehauptung gehandelt. So habe die Auftraggeberin dieselbe Leistung in technischer Hinsicht unverändert nochmals ausgeschrieben. Um eine Budgetüberschreitung zu verhindern, hätte es Einsparungen durch Änderung bzw. Reduktion der ausgeschriebenen Leistung bedurft. Vielmehr habe die Auftraggeberin in der neuen Ausschreibung exakt nur jene Eignungskriterien verändert, die die Billigstbieterin des widerrufenen Vergabeverfahrens nicht habe erfüllen können. Der Widerruf sei daher deshalb erfolgt, um der Bieterin im Rahmen eines neuen Vergabeverfahrens die Legung eines ausschreibungskonformen und zuschlagsfähigen Angebotes zu ermöglichen und dieser Bieterin den Auftrag zu erteilen. Die Auftraggeberin habe die Zuschlagskriterien im neuen Vergabeverfahren rechtswidriger Weise „(noch) mehr in Richtung Preis“ verlagert, um die Chancen der Billigstbieterin des widerrufenen Verfahrens auf Erhalt des Auftrags im neuen Vergabeverfahren noch weiter zu erhöhen. Der Widerruf sei insofern unsachlich und rechtswidrig, zumal durch offenkundige Bevorzugung einer Bieterin „in eklatanter Weise gegen den Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz“ verstoßen werde. Infolge der technisch unveränderten Neuausschreibung der Leistung seien in diesem Vergabeverfahren sowohl die Bieter als auch die gebotenen Preise bekannt. Dies ermögliche die „Legung von vergaberechtlich unzulässigen Angeboten zu Dumpingpreisen“ sowie die „Legung von wettbewerbs- und strafrechtlich relevante[n] Absprachen unter den Bietern“. Dadurch werde auch das Verhandlungsverbot gemäß § 112 Abs. 3 BVergG 2018 im offenen Verfahren sowie die Pflicht zur Geheimhaltung der Anzahl und Namen der Unternehmer, die ihr Interesse an der Teilnahme am offenen Verfahren bekundeten, bis zur Angebotseröffnung umgangen. Wäre der Auftraggeberin die budgetäre Deckung so wichtig gewesen, hätte sie dies in der Ausschreibung festgehalten bzw. die Budgetobergrenze bei einem Notar hinterlegt. Es habe auch keine der konkreten Ausschreibung zugrunde gelegene Kostenschätzung gegeben, sondern nur „Gesamtkostenschätzungen und Hochrechnungen“, jedoch kein („gedeckeltes“) Budget, respektive eine Budgetobergrenze. Eine Budgetobergrenze sei auch nicht im Gemeinderat der Auftraggeberin beschlossen worden. Der erst nach der Angebotseröffnung im widerrufenen Vergabeverfahren von der Auftraggeberin beschlossenen Darlehens- bzw. Kreditaufnahme sei weder ein gedeckeltes Budget noch eine objektive Kostenschätzung, sondern das preislich günstige Angebot der Billigstbieterin zugrunde gelegen. Schließlich fänden die geschätzten Kosten des vorliegenden Bauauftrages in der Höhe von € 1,730.000, netto in der durch die Darlehensaufnahme von € 3 Mio. erfolgten Vorfinanzierung des Gesamtprojektes jedenfalls Deckung. Es handle sich nicht um ein „gedeckeltes Budget“ für den gegenständlichen Bauauftrag. Der Widerruf sei daher unsachlich gewesen.

11 Vorliegend wesentlich ist die Rechtsfrage, ob der Widerruf der Ausschreibung durch die Auftraggeberin durch einen sachlichen Grund im Sinne des § 149 Abs. 2 Z 3 BVergG 2018, und zwar die von der Auftraggeberin geltend gemachte Überschreitung der Gesamtkostenschätzung für die ausgeschriebenen Leistungen, gerechtfertigt war. Dies ist dann der Fall, wenn ein Grund von solchem Gewicht vorlag, der einen besonnenen Auftraggeber veranlasst hätte, von der Fortführung des Vergabeverfahrens abzusehen (vgl. VwGH 28.1.2022, Ra 2022/04/0002, Rn. 17, mwN).

12 Gemäß § 149 Abs. 1 BVergG 2018 ist ein Vergabeverfahren nach Ablauf der Angebotsfrist zu widerrufen, wenn Umstände bekannt werden, die, wären sie schon vor Einleitung des Vergabeverfahrens bekannt gewesen, eine Ausschreibung ausgeschlossen hätten (Z 1) oder zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt hätten (Z 2). Ein Vergabeverfahren kann widerrufen werden, wenn dafür sachliche Gründe bestehen (Abs. 2 Z 3).

13 Nach den Erläuterungen zum BVergG 2018 (RV 69 BlgNR 26. GP 160) ist ein Widerruf nunmehr in jedem Fall zulässig, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen. Abs. 2 erstreckt sich auf jene Konstellationen, in denen nachträglich (dh. nach der Ausschreibung) sonstige wesentliche Änderungen von für das Vergabeverfahren relevanten Umständen vorliegen. Unter Verweis auf näher zitierte Rechtsprechung des EuGH halten die Erläuterungen fest, dass an das Vorliegen eines sachlichen Grundes kein strenger Maßstab anzulegen und der Widerruf eines Vergabeverfahrens nicht vom Vorliegen schwerwiegender oder gar außergewöhnlicher Umstände abhängig ist; ein Widerruf ist demnach etwa zulässig, wenn die budgetäre Bedeckung nachträglich wegfällt. Widerrufsgründe nach Abs. 1 und 2 können auch vorliegen, wenn diese durch den Auftraggeber selbst schuldhaft (zB grob fahrlässig) verursacht wurden. In diesem Fall ist der öffentliche Auftraggeber unter Umständen zum Widerruf verpflichtet, wird aber nach den einschlägigen Bestimmungen des Zivilrechts schadenersatzpflichtig (vgl. zu Letzterem auch VwGH 28.1.2008, 2008/04/0001, mit Verweis auf die Erläuterungen zum BVergG 2006, RV 1171 BlgNR 12. GP 89, sowie VwGH 1.10.2008, 2004/04/0237, 0238).

14 Soweit die Revision fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu den Voraussetzungen für eine fehlende budgetäre Bedeckung als sachlichen Grund iSd § 149 Abs. 2 Z 3 BVergG 2018 moniert, ist sie darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs jeweils unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden muss, ob ein sachlicher Grund besteht. Eine die Zulässigkeit der Revision begründende grundsätzliche Rechtsfrage liegt vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung vor, wenn dem Verwaltungsgericht bei der Beurteilung dieser einzelfallbezogenen Umstände eine zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist nur dann gegeben, wenn diese Beurteilung in einer die Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht beachtenden und derart die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, nicht vertretbaren Weise vorgenommen wird (vgl. wiederum VwGH Ra 2022/04/0002, Rn. 17, mwN).

15 Im Hinblick auf diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vermag die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht darzulegen, dass die fallbezogene Begründung des Verwaltungsgerichts eines den Widerruf ausreichend rechtfertigenden sachlichen Grundes im Sinne des § 149 Abs. 2 Z 3 BVergG 2018 hinsichtlich der Überschreitung des für das ausgeschriebene Bauvorhaben budgetierten Kostenrahmens unvertretbar ist.

16 Nicht zu beanstanden ist, dass das Verwaltungsgericht für die Annahme der Überschreitung des Kostenrahmens der Auftraggeberin durch das am besten bewertete Angebot der revisionswerbenden Partei im widerrufenen Vergabeverfahren auf die Grobkostenschätzung für die ausgeschriebenen Leistungen in der Höhe von rund netto € 1,730.000,-- und nicht auf die das gesamte Projekt betreffende Kostenschätzung bzw. auf den mit Gemeinderatsbeschluss vom 13. Oktober 2020 genehmigten Kreditvertrag über € 3 Mio. abstellte. Die Überschreitung der Grobkostenschätzung für die ausgeschriebenen Leistungen als sachlicher Grund für den Widerruf setzt nicht zwingend deren Aufnahme in die Ausschreibungsunterlagen voraus. Wesentlich ist vielmehr, dass die Auftraggeberin die Grobkostenschätzung über die ausgeschriebenen Leistungen als Budgetrahmen der Ausschreibung zugrunde gelegt hat und diesen Kostenrahmen mit den vereinbarten Infrastrukturbeiträgen mit XY und den Kanal- und Wasservorschreibungen festgelegt und begrenzt hat.

17 Das nach Angebotseröffnung am besten bewertete Angebot der revisionswerbenden Partei mit € 1,948.922,22 netto überschritt die Gesamtkostenschätzung der ausgeschriebenen Leistungen in der Höhe von € 1.730.000,-- netto erheblich. Im Hinblick darauf ist die Annahme eines sachlichen Grunds für den Widerruf nicht unvertretbar.

18 Ebenso wenig ergibt sich eine unvertretbare Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts zum Widerrufsgrund (vgl. zum Prüfungskalkül des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Beweiswürdigung etwa VwGH 18.8.2017, Ra 2017/04/0022, 0023, Rn. 14 mwN) durch den Hinweis der Revision auf die unmittelbar nach dem Widerruf erfolgte Neuausschreibung (vgl. in diesem Zusammenhang im Übrigen auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tag über die von der Auftraggeberin zu hg. Ra 2021/04/0099 eingebrachte Revision gegen das am 5. Jänner 2021 mündlich verkündete und am 2. Februar 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts, mit dem dem Nachprüfungsantrag der revisionswerbenden Partei stattgegeben und die Neuausschreibung vom 12. November 2020 für nichtig erklärt wurde). Das Verwaltungsgericht musste weder aus dem von der revisionswerbenden Partei behaupteten Umstand, dass diese Neuausschreibung bloß eine (geringfügige) Änderung der Eignungskriterien bzw. der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung, aber keine Änderung des Ausschreibungsgegenstandes mit sich gebracht habe, noch aus dem behaupteten Umstand, dass ausgehend von den im widerrufenen Vergabeverfahren gelegten Angeboten die geänderten Eignungs- und Zuschlagskriterien der Neuausschreibung im Vergleich zur widerrufenen Ausschreibung die Billigstbieterin (im widerrufenen Verfahren) gegenüber der revisionswerbenden Partei begünstigt habe, zwingend darauf schließen, dass der Widerruf nicht dem sachlichen Grund der Einhaltung der Gesamtkostenschätzung diente; dies auch deshalb, weil die Überschreitung der vor der Ausschreibung vorgenommenen Gesamtkostenschätzung bereits aufgrund der Angebotsöffnung und bewertung (und somit vor der Entscheidung über eine allfällige Neuausschreibung) ersichtlich war.

19 Ausgehend davon liegt auch keine (von der revisionswerbenden Partei behauptete) Abweichung von der ins Treffen geführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH 8.11.2012, 2010/04/0128; VwGH 24.6.2015, Ra 2014/04/0043) bzw. des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH 10.11.2005, C 29/04, Kommission / Österreich ) vor, zumal sich im vorliegenden Fall (anders als in den dort zugrundeliegenden Konstellationen) auch nicht sagen lässt, dass die Auftraggeberin eine Verfahrensgestaltung gewählt hat, die die Vergabe eines öffentlichen Auftrages verschleiern sollte (vgl. diesbezüglich EuGH C 29/04, Rn. 42).

20 Vor diesem Hintergrund werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juni 2024

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