Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Mag. Novak und die Hofrätin Dr. in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des W P in I, vertreten durch die Marsoner + Partner GmbH Wirtschaftsprüfungs und Steuerberatungsgesellschaft in 6020 Innsbruck, Andreas Hofer Straße 43, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 3. August 2020, Zl. RV/3100892/2018, betreffend Einkommensteuer 2012 bis 2017, Einkommensteuervorauszahlung 2017 und Festsetzung von Anspruchszinsen 2012 bis 2016, den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts in Linz aufgewachsene Revisionswerber ist österreichischer Staatsbürger. Sein Studium der Wirtschafts und Rechtswissenschaften absolvierte er in der Schweiz, danach war er zunächst in Deutschland berufstätig. Im Jahr 1999 erhielt er eine Anstellung bei einer schweizerischen AG mit Sitz und Geschäftsleitung im Kanton Zürich, bei der er bis Oktober 2017 tätig und in der Schweiz sozialversichert war. Darüber hinaus war er im Auftrag seiner schweizerischen Arbeitgeberin auch Geschäftsführer einer mit dieser konzernmäßig verbundenen österreichischen GmbH. Von 1. November 2017 bis 31. März 2018 war der Revisionswerber für eine Schwestergesellschaft seiner schweizerischen Arbeitgeberin in Hongkong tätig und dort sozialversichert. Seit 1. April 2018 ist der Revisionswerber bei einer Gesellschaft in Tirol nichtselbständig beschäftigt und in Österreich sozialversichert.
2 Im Jahr 1999 heiratete er seine Ehefrau, in den Jahren 2001, 2003 und 2006 wurden drei gemeinsame Kinder in der Schweiz geboren. Bis Juni 2012 lebte der Revisionswerber mit seiner Familie in einer Mietwohnung in der Schweiz. Die Ehefrau und seine drei Kinder übersiedelten im Juni 2012 nach Österreich und leben seitdem in einer im Hälfteeigentum des Revisionswerbers und seiner Ehefrau stehenden Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche von 180 m² in Tirol. Der Revisionswerber verblieb in der Schweiz und wohnte dort bis zu seiner Übersiedelung nach Hongkong Anfang November 2017 in einer Mietwohnung. In der Schweiz hatte der Revisionswerber weder enge Freundschaften noch pflegte er häufigen Kontakt zu seiner ebenfalls in der Schweiz wohnhaften Schwester. Nach seiner Rückkehr aus Hongkong Ende März 2018 mietete er eine Wohnung in Innsbruck, wo er seit April 2018 auch mit Hauptwohnsitz gemeldet ist.
3 Im Zeitraum 2012 bis 2017 verbrachte der Revisionswerber seine arbeitsfreien Tage (Wochenenden, Feiertage und Urlaubstage) zum weitaus überwiegenden Teil im Wohnort der Familie in Tirol. Auch anlässlich seiner beruflichen Aufenthalte in Österreich (als Geschäftsführer einer österreichischen GmbH), die im Streitzeitraum zwischen 76 und 87 Tagen pro Jahr ausmachten, nächtigte er bei zwei oder mehrtätigen Aufenthalten oder verlängerten Wochenenden dort. Dabei übernachtete er im Gästezimmer der von seiner Ehefrau und seinen Kindern bewohnten Wohnung. Die häufigen und regelmäßigen Besuche des Revisionswerbers in Tirol resultierten aus dem Umstand, dass die Trennung des Revisionswerbers und seiner Ehefrau vor den Kindern geheim gehalten wurde, der Revisionswerber die persönliche Beziehung zu seinen Kindern aufrechterhalten und seiner in einer Krise befindlichen Ehe eine Chance geben wollte. Seine Erholungsurlaube verbrachte der Revisionswerber mit seiner Familie gemeinsam in Österreich oder im Ausland.
4 Das Finanzamt schrieb dem Revisionswerber mit mehreren Bescheiden Einkommensteuer für die Jahre 2012 bis 2017 sowie Einkommensteuervorauszahlung für 2017 vor und setzte Anspruchszinsen für die Jahre 2012 bis 2016 fest.
5 Der Revisionswerber erhob dagegen Beschwerden und wies mit näherer Begründung darauf hin, dass er seit dem Jahr 2012 von seiner Frau und seinen Kindern getrennt lebe. Er habe bis April 2018 weiterhin in der Schweiz bzw. in Hongkong gelebt und sei erst im April 2018 nach Österreich gezogen. Er habe daher im Streitzeitraum seinen Wohnsitz und den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Schweiz gehabt.
6 Das Finanzamt wies die Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide vom 27. und 28. Februar 2017 hinsichtlich der Einkommensteuer 2012 bis 2015 und Festsetzung von Anspruchszinsen 2012 bis 2015 sowie Einkommensteuervorauszahlung 2017 mit Beschwerdevorentscheidungen vom 6. und 7. August 2018 als unbegründet ab, woraufhin der Revisionswerber einen Vorlageantrag stellte.
7 Zur weiteren Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide vom 13. Dezember 2018 hinsichtlich der Einkommensteuer 2016 und 2017 sowie Festsetzung von Anspruchszinsen 2016 beantragte der Revisionswerber die Vorlage direkt an das Bundesfinanzgericht.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2017 sowie gegen den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid 2017 teilweise Folge, änderte die Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2017 auf Basis der unstrittigen Lohnausweise ab und passte die auf Grundlage des Ergebnisses des Jahres 2015 festgesetzte Einkommensteuervorauszahlung 2017 an. Die Beschwerden gegen die Bescheide betreffend die Festsetzung von Anspruchszinsen 2012 bis 2016 wies das Bundesfinanzgericht als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
9 Begründend führte es dazu aus, dass die vom Revisionswerber bei Besuchen und Arbeitsaufenthalten genützte, in seinem Miteigentum stehende und von seiner Ehefrau und den Kindern dauernd bewohnte Wohnung in Tirol einen Wohnsitz im Sinne des § 26 BAO begründe. Der Revisionswerber habe Schlüssel für die Wohnung, zwischen seiner Ehefrau und ihm sei keine ausdrückliche Regelung für die Nutzung der Wohnung getroffen worden und der Revisionswerber habe aufgrund seines Miteigentums die rechtliche und tatsächliche Verfügungsmacht über die Wohnung. Ein durchsetzbarer Anspruch der Ehefrau des Revisionswerbers auf alleinige Nutzung der Wohnung bestehe nicht. Dem Revisionswerber sei es nicht gelungen nachzuweisen, dass er über einen Zeitraum von sechs Jahren in der Wohnung in Tirol nur als geduldeter Gast aufgenommen worden sei. Der Revisionswerber habe daher in den Streitjahren einerseits zunächst in der Schweiz und anschließend in Hongkong und andererseits ab Juli 2012 auch in Österreich über eine ständige Wohnstätte iSd DBA Schweiz und des DBA Hongkong verfügt. Die steuerliche Ansässigkeit sei bei Vorliegen von ständigen Wohnstätten in beiden Vertragsstaaten nach Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA Schweiz und Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA Hongkong in jenem Vertragsstaat gegeben, zu welchem eine natürliche Person die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen (Mittelpunkt der Lebensinteressen) habe.
10 Bei der Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen ging das Bundesfinanzgericht davon aus, dass der Revisionswerber im Streitzeitraum seine wirtschaftlichen Beziehungen überwiegend in der Schweiz und in Hongkong, hingegen die für ihn wesentlichen und stärksten persönlichen Beziehungen, nämlich insbesondere zu seiner Ehefrau und seinen Kindern, nahezu ausschließlich in Österreich gehabt habe. Im Rahmen der Gesamtabwägung komme den wirtschaftlichen Beziehungen eine geringere Bedeutung zu, als den persönlichen Beziehungen, sodass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Revisionswerbers seit Juli 2012 in Österreich liege und Österreich daher das Besteuerungsrecht an den in der Schweiz erzielten nichtselbständigen Einkünften unter Anrechnung der in der Schweiz entrichteten Steuern zukomme. Die vom Revisionswerber in Hongkong erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit seien im Rahmen des Progressionsvorbehaltes bei Ermittlung des Steuersatzes zu berücksichtigen. Da der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Revisionswerbers ab Juli 2012 in Österreich gelegen habe, sei die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Zweitwohnsitzverordnung nicht anwendbar.
11 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Im Revisionsfall ist soweit für das Revisionsverfahren noch relevant strittig, ob sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen (iSd Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA Schweiz, BGBl. Nr. 64/1975) des Revisionswerbers in den Streitjahren 2012 bis 2017 in Österreich oder in der Schweiz befunden hat.
16 Nach Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA Schweiz gilt eine Person, die in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt, als in dem Vertragsstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).
17 Die Beurteilung der Frage, in welchem Staat ein Steuerpflichtiger den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat, ist im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtabwägung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ermitteln (vgl. etwa VwGH 21.4.2020, Ro 2017/13/0014; 17.10.2017, Ra 2016/15/0008; 15.9.2016, Ra 2016/15/0057) und hängt damit entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. neuerlich VwGH 21.4.2020, Ro 2017/13/0014).
18 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das Bundesfinanzgericht mit den Besonderheiten der Situation des von seiner Ehefrau und den Kindern getrennt lebenden Revisionswerbers und seinen Wohnsitzen in der Schweiz bzw. Hongkong und in Österreich, sowie der Gestaltung seines Ehe und Familienlebens eingehend auseinandergesetzt. Es hat im Rahmen der zusammenfassenden Wertung lediglich die festgestellten Umstände anders gewichtet, als dies die Revision vertritt, und ist dabei in vertretbarer Weise zum Ergebnis gekommen, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Revisionswerbers im Streitzeitraum in Österreich lag. Dabei hat es sich auf nähere Überlegungen zum Familienleben gestützt und die trotz Trennung des Ehepaares große Bedeutung seiner in Österreich wohnhaften Ehefrau und vor allem der drei Kinder im Leben des Revisionswerbers berücksichtigt. Dass im Vergleich dazu dennoch bedeutsamere Bindungen zu einem anderen Ort bestünden, hat das Bundesfinanzgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach wirtschaftlichen Beziehungen im Rahmen der Gesamtbetrachtung in der Regel eine geringere Bedeutung zukommt als persönlichen Beziehungen (vgl. VwGH 17.10.2017, Ra 2016/15/0008; 15.9.2016, Ra 2016/15/0057; 23.1.2020, Ra 2019/15/0160), im Revisionsfall nachvollziehbar verneint.
19 Soweit die Revision unter diesem Gesichtspunkt vorbringt, der Revisionswerber habe die ausschließliche Schlüsselgewalt seiner Ehefrau für die Wohnung in Tirol und seine bloße Duldung als Gast akzeptiert, entfernt sie sich vom im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Sachverhalt.
20 Der Revision gelingt es mit ihrem Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass dem Bundesfinanzgericht eine die Zulässigkeit begründende, grobe Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, womit aber diesbezüglich auch keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung erkennbar ist.
21 Da in der Revision somit keine Rechtsfragen aufgeworfen wurden, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision zurückzuweisen.
Wien, am 21. Februar 2023
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