Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schreiber, BA, über die Revision 1. des G R, MSc, und 2. der S R, MSc, beide in G, beide vertreten durch Dr. Christina Hofmann, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Einspinnergasse 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 21. Jänner 2020, LVwG 50.32 712/2019 46, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Gemeinde St. Radegund bei Graz, vertreten durch die Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde St. Radegund bei Graz hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde St. Radegund bei Graz (Bürgermeister) vom 18. Juni 2002 wurde dem Rechtsvorgänger der Revisionswerber die Bewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage mit vier Wohneinheiten zwei Doppelwohnhäuser mit Carport auf der Liegenschaft mit den GSt. Nr. X und Y, KG S, unter Auflagen erteilt.
2 Mit Bescheid vom 13. März 2018 bewilligte der Bürgermeister das Bauansuchen der Revisionswerber hinsichtlich des von diesen erworbenen GSt. Nr. X, KG S, für den Zu- und Umbau eines bestehenden Doppelwohnhauses in ein Einfamilienhaus mit Carport und Abstellraum unter Auflagen.
3 Am 10. Jänner 2019 erließ der Bürgermeister mit Bescheid einen Baueinstellungs- und Beseitigungsauftrag gegenüber den Revisionswerbern, weil sich bei einer Bauprüfung am 6. Dezember 2018 ergeben habe, dass das Niveau des EG Fußbodens entgegen der Darstellung in den Projektunterlagen (Einreichplan) zirka 1,8 Meter unterhalb des vorbeiführenden Straßenniveaus zum Liegen komme.
4 Die dagegen von den Revisionswerbern erhobene Berufung wurde mit Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 7. Februar 2019 als unbegründet abgewiesen.
5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts wies dieses die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nicht zulässig sei.
6 Begründend führte es aus, dass mit dem Bauvorhaben auf der Liegenschaft der Revisionswerber nicht innerhalb von fünf Jahren nach Rechtskraft des Baubewilligungsbescheides vom 18. Juni 2002 begonnen worden sei. Voraussetzung für die Erteilung der Zu- und Umbaubewilligung sei ein aufrechter Konsens für jenen Bestand, an den zugebaut bzw. der umgebaut werden solle. Bedingung hierfür sei, dass ein Zubau noch vor Ablauf der Fünfjahresfrist gemäß § 31 Stmk BauG genehmigt werde. Das Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht habe gezeigt, dass die dem Bescheid vom 13. März 2018 zugrundeliegenden Feststellungen unrichtig seien, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass auf der Liegenschaft der Revisionswerber ein Fundament errichtet worden sei. Dieses Fundament stelle jedoch keinen Bauteil des im Jahr 2002 genehmigten Bauvorhabens dar, was rechtlich das Erlöschen der Baubewilligung aus dem Jahr 2002 zur Folge gehabt habe. Das Fundament sei zwischenzeitig zur Gänze entfernt worden, was für sich allein (rechtlich) den Untergang eines allenfalls noch bestehenden Baukonsenses bewirke. Ebensowenig verhindere der rechtzeitige Baubeginn auf der Nachbarliegenschaft ein Erlöschen der Baubewilligung, zumal beim Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 2002 tatsächlich von zwei genehmigten Neubauten auf zwei Bauplätzen auszugehen sei. Der Baubewilligungsbescheid für den Zu- und Umbau vom 13. März 2018 sei zwar rechtskräftig geworden, könne aber infolge Fehlens des Grundkonsenses zur Errichtung eines Doppelwohnhauses nicht konsensgemäß konsumiert werden. Jede bauliche Tätigkeit der Revisionswerber auf deren Liegenschaft sei rechtlich als Neubau zu qualifizieren, der in der Baubewilligung vom 13. März 2018 keine Deckung finde. Die Erteilung der baupolizeilichen Aufträge sei daher zu Recht erfolgt, wenngleich die Behörde hierfür andere Gründe ins Treffen führe.
7 Die Revisionswerber erhoben gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 10. März 2020, E 687/2020 6, deren Behandlung abgelehnt und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
8 In der Folge brachten die Revisionswerber außerordentliche Revisionen ein.
9 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision erweist sich angesichts ihres Vorbringens zur Bindungswirkung rechtskräftiger Bescheide als zulässig.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden darf (vgl. VwGH 24.3.2015, Ra 2015/09/0011). Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. etwa VwGH 24.3.2014, 2013/01/0117). Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen (vgl. VwGH 24.4.2015, 2011/17/0244). Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung (vgl. dazu etwa VwGH 19.1.2016, Ra 2015/01/0070). Vor diesem Hintergrund haben alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft. Im Zusammenhang mit diesem Grundsatz ist die einschlägige Rechtsprechung zu § 68 AVG in sinngemäßer Weise heranziehbar (vgl. VwGH 26.1.2021, Ro 2020/07/0010, mwN). Präjudiziell und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. VwGH 28.11.2013, 2013/03/0070, mwN). Für die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Feststellung eines Rechts bzw. Rechtsverhältnisses kommt es grundsätzlich auf die Beurteilung des betreffenden Streitgegenstands als Hauptfrage im Spruch der Entscheidung, nicht jedoch auf eine Beurteilung in den Entscheidungsgründen an (vgl. VwGH 1.6.2017, Ra 2017/08/0022). Maßgeblich ist also der Spruch, weil nur diesem Rechtskraft zukommen kann (vgl. etwa VwGH 17.9.1991, 90/08/0039).
13 Daher war auch das Landesverwaltungsgericht an die Rechtskraft des Bescheides der belangten Behörde vom 13. März 2018, womit spruchgemäß das Ansuchen der Revisionswerber um Erteilung der Baubewilligung für den Zu- und Umbau eines bestehenden Doppelwohnhauses in ein Einfamilienhaus mit Carport und Abstellraum auf dem Grundstück X, EZ Z, KG S, unter näher genannten Maßgaben und Auflagen bewilligt worden war, gebunden, ohne die Richtigkeit desselben noch einmal überprüfen zu dürfen (vgl. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050). Das Landesverwaltungsgericht verkannte in seinem Erkenntnis offenkundig, dass die Rechtskraft dieses Bescheids der neuerlichen Beurteilung des durch Bescheid bewilligten Bauvorhabens als nicht konsensfähigem Neubau entgegensteht.
14 Indem das Landesverwaltungsgericht jedoch davon ausging, dass die Bewilligung des Zu- und Umbaus infolge Fehlens des „Grundkonsenses“ nicht konsensgemäß konsumiert werden könne und damit auch der rechtskräftig bewilligte Zu- und Umbau einen Neubau darstellen würde, setzte es sich über die Rechtskraft des genannten Bescheids hinweg.
15 Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände wie fallbezogen der zwischenzeitige Abriss des bestehenden Fundaments die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, könnten allenfalls einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen (vgl. erneut VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050).
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen in den Revisionsgründen. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. Mai 2022