JudikaturVwGH

Ra 2019/01/0430 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
06. April 2020

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des K H in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 2019, Zl. W105 2149571-2/5E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl)

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Asylgesetz 2005 richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16. Mai 2019 wurde dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen von Somalia, der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (I.), die (zuletzt) mit Bescheid vom 1. Februar 2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (III.), eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber erlassen (IV.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (V.) und eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (VI.). 2 Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der instabilen Sicherheitslage und der prekären Lage aufgrund der Dürre in Somalia zuerkannt worden. Nach einer näher bezeichneten Kurzinformation der Staatendokumentation vom 17. September 2018 sei hinsichtlich der Dürresituation in Somalia eine signifikante Verbesserung eingetreten. Nach einer näher bezeichneten Anfragebeantwortung zu Somalia vom 11. Mai 2018 sei es möglich, speziell nach Mogadischu zurückzukehren. Dort sei die allgemeine Lage vergleichsweise sicher und stabil, der Revisionswerber könnte dort auch die Unterstützung von Hilfsorganisationen in Anspruch nehmen. Der Revisionswerber sei ein gesunder und arbeitsfähiger Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Dass es eine Arbeitsmöglichkeit in Mogadischu gebe, sei der angeführten Anfragebeantwortung zu entnehmen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des BFA ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (A) und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (B).

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber sei eine innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) nach Mogadischu "zusinnbar". Unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Somalia herangezogenen Erkenntnisquellen ergäben sich keine konkreten Anhaltspunkte für einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK. Der Revisionswerber sei gesund und im erwerbsfähigen Alter. Bereits aus den dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Länderfeststellungen gehe hervor, dass der Revisionswerber die Möglichkeit habe, "Unterstützung in Bezug auf Unterkunft, Verpflegung etc. durch eine der zahlreichen NGO's in Somalia zu erhalten". Es würden daher keine Hinweise dafür vorliegen, dass der Revisionswerber grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befrieden könne und in eine ausweglose oder existenzbedrohende Situation geraten würde. Auch habe der Revisionswerber keine Gründe dargetan, die gegen eine IFA in Mogadischu sprächen. Die Lage in Mogadischu habe sich seit 2011 stark verbessert. Der EGMR habe die Lage in Mogadischu nicht so beurteilt, dass eine Rückkehr nach Mogadischu eine Verletzung in den Rechten nach Art. 3 EMRK bedeute.

5 Zur Rückkehrentscheidung bzw. zum Privat- und Familienleben des Revisionswerbers nach Art. 8 EMRK führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, da seine Lebensgefährtin und der gemeinsame minderjährige Sohn in Österreich lebten. Der Revisionswerber habe jedoch weder einen gemeinsamen Haushalt, besondere Bindungen oder ein Abhängigkeitsverhältnis dargetan. Die familiären Bindungen seien zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Es liege kein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis und eine geringe Intensität des Familienlebens vor, weshalb der Revisionswerber nicht in seinem Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Teilweise Zurückweisung (I.):

8 Soweit sich die Revision gegen die gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 richtet, gelingt es ihr nicht, eine Rechtsfrage darzulegen, der - entgegen dem Ausspruch des BVwG - im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

9 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das Verwaltungsgericht näher dargelegt, warum es - aufbauend auf den Feststellungen des BFA - davon ausgehe, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf die Änderung der Versorgungslage und die Möglichkeit des Revisionswerbers, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu in Anspruch zu nehmen, nicht mehr vorliegen würden (vgl. etwa VwGH 25.9.2019, Ra 2018/19/0635). Die entsprechenden Feststellungen des BFA datieren auch nach dem Zeitpunkt der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (vgl. zur Änderung der Umstände etwa VwGH 28.1.2020, Ra 2019/20/0567, mit Verweis auf VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Aus diesem Grund fehlt auch dem in der Revision gerügten Verfahrensmangel, das Verwaltungsgericht habe veraltete Länderberichte herangezogen, die ausreichende Relevanz (vgl. zur notwendigen Relevanzdarstellung etwa VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0289, mwN).

10 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 enthält die Zulassungsbegründung kein Vorbringen. 11 Die Revision war daher, soweit sie sich gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Asylgesetz 2005 richtet, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.

Verletzung der Verhandlungspflicht (II.):

12 Im Übrigen erweist sich die Revision als zulässig und

berechtigt.

13 Nach der (mittlerweile) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Demzufolge kann insbesondere bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa VwGH 17.1.2020, Ra 2019/18/0446, mwN).

14 Ein derart eindeutiger Fall lag hier nicht vor, zumal der Revisionswerber die Beurteilung des BFA zu seinem Privat- und Familienleben substantiell bestritt. Er führe mit der Mutter seines 2019 geborenen und in Österreich subsidiär schutzberechtigten Sohnes, einer ebenfalls subsidiär schutzberechtigten somalischer Staatsangehörigen eine Beziehung. Der Revisionswerber besuche seinen Sohn und dessen Mutter bei jeder sich bietenden Gelegenheit und ihm sei der Kontakt zu seinem Sohn sehr wichtig. Eine Reise nach Somalia sei dem Sohn und der Lebensgefährtin des Mitbeteiligten unzumutbar, die Reise in ein Drittland sei für den Revisionswerber de facto unmöglich. 15 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und der darauf rechtlich aufbauenden Aussprüche gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff, insbesondere § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

17 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG bzw. § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 6. April 2020

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