JudikaturVwGH

Ra 2016/21/0264 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
26. Januar 2017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des A A, zuletzt in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. August 2016, W154 2131687-1/4E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber ist tunesischer Staatsangehöriger. Nach einem ersten Aufenthalt in Österreich war er am 14. Juli 2013 auf dem Luftweg nach Tunesien abgeschoben worden.

2 Am 2. Juli 2015 wurde der Revisionswerber wieder in Österreich aufgegriffen. Er stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 26. März 2016 vollinhaltlich abgewiesen wurde. Außerdem sprach das BFA aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG - er vermöge den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen - ein dreijähriges Einreiseverbot. Schließlich stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG noch fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers gemäß § 46 FPG nach Tunesien zulässig sei und erkannte einer Beschwerde gegen seine Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab.

3 Das BFA ging in der Folge davon aus, dass der genannte Bescheid am 22. April 2016 durch Hinterlegung zum Akt rechtswirksam zugestellt worden und in Rechtskraft erwachsen sei. Es traf Vorkehrungen zur Abschiebung des Revisionswerbers nach Tunesien, die dann zunächst darin mündeten, dass dieser am 28. Juli 2016 auf dem Standesamt Mödling - vor der für diesen Tag geplanten Eheschließung mit einer ungarischen Staatsangehörigen - festgenommen wurde. Mit Bescheid vom selben Tag verhängte das BFA Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung.

4 Am 29. Juli 2016 wies der anwaltliche Vertreter des Revisionswerbers das BFA darauf hin, dass er den Revisionswerber (schon) im Asylverfahren vertreten habe (Vollmachtsbekanntgabe vom 8. Juli 2015); das Asylverfahren sei daher mangels ordnungsgemäßer Zustellung des verfahrensabschließenden Bescheides vom 26. März 2016 noch nicht beendet.

5 Das BFA stellte daraufhin den genannten Bescheid dem Vertreter des Revisionswerbers umgehend zu. Außerdem entließ es den Revisionswerber selbst zunächst aus der Schubhaft, ordnete dann aber mit Bescheid vom 29. Juli 2016 sogleich wieder gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an. Dazu führte es insbesondere aus, dass der Zustellmangel (in Bezug auf den Asylbescheid vom 26. März 2016) durch dessen Zustellung am 29. Juli 2016 an den Vertreter des Revisionswerbers behoben worden sei.

6 Der de facto durchgehend seit 28. Juli 2016 in Haft befindliche Revisionswerber erhob Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG. In dieser brachte er u.a. vor, dass er ohne die am Standesamt Mödling am 28. Juli 2016 erfolgte Festnahme zum Aufenthalt in Österreich berechtigt wäre. Seine "Ehefrau" bemühe sich um Arbeit und beabsichtige, auch ihre Tochter nach Österreich nachkommen zu lassen.

7 Mit Erkenntnis vom 9. August 2016 entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über diese Beschwerde "gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom

29.07.2016 ... sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 29.07.2016,

21.30 Uhr". Es wies die Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 FPG als unbegründet ab, stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, sprach dem Bund Aufwandersatz zu und wies den Antrag des Revisionswerbers auf Aufwandersatz ab. Zudem sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

8 Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Revisionswerber eine Unionsbürgerin heiraten wollte und die geplante Eheschließung am 28. Juli 2016 lediglich deshalb unterblieben ist, weil der Revisionswerber unmittelbar vor dieser Eheschließung am Standesamt festgenommen wurde.

9 Ausgehend von dem Vorbringen des Revisionswerbers in seiner Schubhaftbeschwerde ist nicht auszuschließen, dass seiner präsumtiven Ehefrau - wie von ihm behauptet - ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukam. Wenn das BFA in einer der nunmehr angefochtenen Entscheidung vorangehenden Stellungnahme ein derartiges Aufenthaltsrecht verneinte, weil die "Ehefrau" über keinen Arbeitsplatz verfüge und weil ihr - trotz eines Antrags vom 24. Juni 2016 - (noch) keine Anmeldebescheinigung ausgestellt worden sei, so ist dem einerseits zu erwidern, dass auch das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2013, Zl. 2010/22/0104; siehe auch das Urteil des EuGH vom 15. September 2015, C-67/14, "Alimanovic", Rz 56 ff); andererseits ist darauf hinzuweisen, dass dieses Aufenthaltsrecht innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur dokumentiert wird (vgl. für viele zuletzt das hg. Erkenntnis vom 9. August 2016, Ro 2015/10/0050, Rz 20), weshalb es auf die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Rechtserwerb nicht ankommt.

10 Wäre der ungarischen Staatsangehörigen, die der Revisionswerber ehelichen wollte, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zugekommen, so hätte der Revisionswerber durch die Eheschließung die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger erlangt. Das hat das BVwG, das sich weder mit der geplanten Eheschließung noch mit der aufenthaltsrechtlichen Stellung der präsumtiven Ehefrau des Revisionswerbers in irgendeiner Form auseinandergesetzt hat, in Verkennung der Rechtslage in seinem Erkenntnis überhaupt nicht berücksichtigt, weshalb sich die gegenständliche Revision als zulässig und berechtigt erweist.

11 Wäre dem Revisionswerber die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger zugekommen, so hätte gegen ihn dann keine Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) mehr - insbesondere in Verbindung mit einem seinen Antrag auf internationalen Schutz abweisenden Bescheid (siehe § 52 Abs. 2 letzter Satz FPG) - erlassen werden dürfen.

12 Das BVwG ist zwar - anders als das BFA im gegenständlichen Schubhaftbescheid - davon ausgegangen, dass eine derartige Rückkehrentscheidung bereits am 22. April 2016 (durch Hinterlegung des Bescheides vom 26. März 2016 zum Akt) ergangen und daraufhin in Rechtskraft erwachsen sei (siehe oben Rz 3). (Jedenfalls) die Annahme, es sei Rechtskraft eingetreten, hat allerdings im Hinblick auf die im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz unstrittig erfolgte Vollmachtsbekanntgabe durch den rechtsanwaltlichen Vertreter des Revisionswerbers keine Basis.

13 Wenn das BVwG in diesem Zusammenhang argumentiert, der Revisionswerber sei "im gesamten Asylverfahren" davon ausgegangen, nicht rechtsfreundlich vertreten zu sein, so ist dies nämlich unerheblich; auch konnte die aus Anlass seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 26. März 2016 erfolgte Angabe "Ich habe keinen gesetzlichen Vertreter" (auf die Frage, ob er im Asylverfahren rechtsanwaltlich vertreten sei) nicht als stillschweigende Vollmachtskündigung verstanden werden. Der genannte Bescheid vom 26. März 2016, mit dem der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen und unter einem - vor allem - eine Rückkehrentscheidung erlassen worden war, war daher - auch vor dem Hintergrund der zustellrechtlichen Sonderregelung des § 11 Abs. 3 BFA-VG (siehe den vierten Satz) - (auch) dem Vertreter des Revisionswerbers zuzustellen. Erst mit dieser Zustellung, die am 29. Juli 2016 erfolgte, konnte gemäß dem fünften Satz des § 11 Abs. 3 BFA-VG die Beschwerdefrist zu laufen beginnen, weshalb für den hier fraglichen Zeitraum noch keine Rechtskraft - insbesondere auch der Rückkehrentscheidung - eingetreten ist.

14 Schubhaft muss verhältnismäßig sein. Das wird nunmehr im hier einschlägigen § 76 Abs. 2 Z 1 FPG (in der Fassung des FrÄG 2015) auch ausdrücklich normiert und ergibt sich schon aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel (vgl. dazu etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 2006, B 362/06, VfSlg. 17891). Im Rahmen der demnach gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kann fallbezogen die dargestellte hypothetische Entwicklung, wäre die Eheschließung des Revisionswerbers nicht durch die vom BFA veranlasste Festnahme am Tag der beabsichtigten Hochzeit vereitelt worden, nicht außer Betracht bleiben. Dieser Anforderung hat das BVwG, das sich wie schon erwähnt mit der beabsichtigten Eheschließung des Revisionswerbers (und daher auch mit den vom BFA in der der angefochtenen Entscheidung vorangehenden Stellungnahme angestellten Überlegungen zum Vorliegen einer Scheinehe) überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, nicht entsprochen. Sein Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

15 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. Jänner 2017

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