Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas-Hutchinson, über die Revision des H in B, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 13. November 2014, Zl. VGW- 031/073/26634/2014-16, betreffend Übertretung der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Fünfhaus), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 22. April 2014 wurde dem Revisionswerber vorgeworfen, er habe am 28. Dezember 2013 um 03.57 Uhr an einem näher bezeichneten Ort ein Kraftfahrzeug gelenkt, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe, wobei der Alkoholgehalt der Atemluft 0,4 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,60 mg/l, und zwar anlässlich der Atemalkoholuntersuchung am 28. Dezember 2013 um 04.36 Uhr in einer näher angeführten Polizeiinspektion 0,44 mg/l betragen habe. Wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1b StVO wurde über den Revisionswerber eine Geldstrafe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 9 Tage) verhängt.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht Wien als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für unzulässig erklärt.
Im angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht den Verfahrensgang wieder und stellte weiters fest, dass aufgrund eines "Vortests" beim Revisionswerber in der Polizeiinspektion ein Alkoholtest durchgeführt worden, wobei zwei Messgeräte der Firma Dräger zum Einsatz gekommen seien. Mit dem zunächst verwendeten Gerät sei trotz mehrfacher Versuche kein verwertbares Ergebnis zustande gekommen. Bei dem zweiten Gerät sei der erste Versuch ergebnislos geblieben. Erst nachdem der Beschwerdeführer über Aufforderung eines Polizisten einen Kaugummi entfernt habe, seien zwei Messergebnisse zustande gekommen, wobei die Messungen ohne Wartezeit unmittelbar nach Entfernung des Kaugummis erfolgt seien. Laut der beigeschafften Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts sei eine Messung erst durchzuführen, wenn sichergestellt sei, dass die Testperson in einer Zeitspanne von mindestens 15 Minuten keine Flüssigkeiten, Nahrungsmittel und/oder Genussmittel, Medikamente oder dergleichen (z.B. Mundsprays) zu sich genommen habe.
Im Verfahren sei zu klären, ob trotz der - unstrittigen - Nichteinhaltung der laut Bedienungsanleitung erforderlichen Wartezeit von 15 Minuten nach Entfernen des Kaugummis gültige, nicht verfälschte Messergebnisse zustande gekommen seien. Die sich dabei stellende Frage, nämlich, inwieweit die diversen in einem Kaugummi enthaltenen Stoffe Einfluss auf die Messung haben könnten, sei von der Firma Dräger hinreichend beantwortet worden. Es sei - auch unter Bezugnahme auf eine Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin der technischen Universität Dresden - nachvollziehbar dargelegt worden, dass aufgrund der geringen Menge an in Kaugummi enthaltenen und freigesetzten Begleitstoffen keine messbaren Konzentrationen vorlägen, die zu einer Verfälschung des Messergebnisses beitragen könnten. Weshalb in der Bedienungsanleitung dennoch von einer 15-minütigen Wartezeit die Rede sei, sei von der Firma nicht dargelegt worden, jedoch im Ergebnis irrelevant. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hielt das Verwaltungsgericht fest, dass auch bei Nichteinhaltung der erforderlichen Wartefrist das Zustandekommen eines gültigen Messergebnisses angenommen werden könne, wenn diese Annahme aus fachlichen Gründen zulässig sei. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich jederzeit die Möglichkeit bestanden habe, bei vermuteter Verfälschung des Messergebnisses den Gegenbeweis zum gemessenen Atemalkoholgehalt durch eine Blutabnahme zu veranlassen; dies habe der Revisionswerber jedoch unterlassen. Es sei daher zusammenfassend festzustellen, dass die beiden dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegenden Messergebnisse weder verfälscht noch ungültig seien.
Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof und beantragte die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses. Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde brachte keine Revisionsbeantwortung ein.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. § 5 Straßenverkehrsordnung (StVO) lautet (auszugsweise) wie folgt:
"§ 5. Besondere Sicherungsmaßnahmen gegen Beeinträchtigung durch Alkohol.
(1) Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt.
(1a) (...)
(2) Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Sie sind außerdem berechtigt, die Atemluft von Personen,
1. die verdächtig sind, in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt zu haben, oder
2. (...)
auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Wer zu einer Untersuchung der Atemluft aufgefordert wird, hat sich dieser zu unterziehen.
(...)
(3) Die Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt ist mit einem Gerät vorzunehmen, das den Alkoholgehalt der Atemluft mißt und entsprechend anzeigt (Alkomat).
(...)"
2. Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit der Revision aus, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche. Obwohl das Verwaltungsgericht davon ausgehe, dass zwar nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für das Zustandekommen eines gültigen, nicht verfälschten Messergebnisses die Einhaltung der Betriebsanleitung des Messgerätes erforderlich sei, meine es, dass auch bei Nichteinhaltung der erforderlichen Wartezeit das Zustandekommen eines gültigen Messergebnisses angenommen werden könne, wenn diese Annahme aus fachlichen Gründen zulässig sei, wobei das Verwaltungsgericht das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Februar 2014, 2013/02/0262, zitiere. In dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Fall habe die dort belangte Behörde jedoch im Rahmen der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung ein medizinisches Amtssachverständigengutachten eingeholt, wonach weder das vom dortigen Beschwerdeführer genannte Medikament noch das von diesem bezeichnete Bonbon zu einer Verfälschung des Atemluftmessergebnis habe führen können. Im vorliegenden Fall liege aber - wie der Revisionswerber im Verfahren bereits ausgeführt habe - kein derartiges Sachverständigengutachten vor und sei das Verwaltungsgericht auch nicht auf das vom Revisionswerber zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Juni 1999, 99/02/0074, eingegangen, wonach trotz Nichteinhaltung der Betriebsanleitung des Alkomaten nur dann von einem gültigen Messergebnis ausgegangen werden könne, wenn diese Annahme aus fachlichen, durch das Gutachten eines Sachverständigen belegten Gründen zulässig sei. Das Verwaltungsgericht habe trotz Nichteinhaltung der Bedienungsanleitung unverfälschte und gültige Alkomatmessergebnisse festgestellt.
3. Die Revision erweist sich aus den vom Revisionswerber dargelegten Gründen als zulässig und berechtigt.
Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist für das Zustandekommen eines gültigen, nicht verfälschten Messergebnisses die Einhaltung der Betriebsanleitung des Messgerätes erforderlich. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Proband auf jeden Fall während des Zeitraums von 15 Minuten vor Beginn der ersten Messung vom Exekutivorgan beobachtet werden muss; maßgebend ist vielmehr, dass er während dieser Zeit die in der Zulassung durch das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen und die in der Betriebsanleitung angeführten Handlungen, die zu einer Verfälschung des Messergebnisses geführt hätten, unterlässt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Juli 2013, Zl. 2011/02/0020, mwN). Sollte die vorgesehene Wartefrist nicht eingehalten werden, so hindert dies jedoch nicht in jedem Fall das Zustandekommen eines gültigen Messergebnisses. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, kann auch bei Nichteinhaltung der erforderlichen Wartefrist das Zustandekommen eines gültigen Messergebnisses angenommen werden, wenn diese Annahme aus fachlichen, durch das Gutachten eines Sachverständigen belegten Gründen zulässig ist (siehe u.a. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1999, Zl. 99/02/0074).
4. Im gegenständlichen Fall hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass laut Bedienungsanleitung des verwendeten Messgerätes eine Messung erst durchzuführen sei, wenn sichergestellt sei, dass die Testperson in einer Zeitspanne von mindestens 15 Minuten keine Flüssigkeiten, Nahrungsmittel und/oder Genussmittel, Medikamente oder dergleichen (z.B. Mundsprays) zu sich genommen habe. Weiters stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Messung beim Revisionswerber ohne Einhaltung dieser Wartezeit unmittelbar nach Entfernung des Kaugummis durchgeführt worden sei.
Gemäß der zitierten Rechtsprechung hätte das Verwaltungsgericht in einem solchen Fall dennoch das Zustandekommen eines gültigen Messergebnisses annehmen können, wenn diese Annahme aus fachlichen Gründen zulässig gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung der Gültigkeit des Messergebnisses jedoch lediglich auf eine Stellungnahme des Herstellers des Alkomaten Bezug genommen. Dieses Schreiben des Herstellers stellt jedoch keine entsprechende fachliche Grundlage im Sinne der hg. Rechtsprechung dar, weil es im Wesentlichen nur allgemein gehaltene Aussagen ohne Bezug zum vorliegenden Fall enthält und darin auch nicht dargelegt wird, weshalb in der Bedienungsanleitung - entgegen den Ausführungen des Herstellers in diesem Schreiben - dennoch eine Wartezeit vorgeschrieben wird. Zur verlässlichen Abklärung der Frage, ob die Konsumation des Kaugummis durch den Revisionswerber und die Nichteinhaltung der Wartezeit einen Einfluss auf das im vorliegenden Fall erzielte Atemalkoholmessergebnis hatte, wäre die Beiziehung eines Sachverständigen notwendig gewesen.
5. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 i.d.F. BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 29. Mai 2015