Ra 2024/02/0242 1 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Der EGMR hat in seiner Rechtsprechung zu Art 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK Kriterien entwickelt, nach denen die Frage der Doppelbestrafung zu prüfen und zu beurteilen ist. Jüngst (EGMR vom 15. November 2016 (Große Kammer), A und B/Norwegen, 24130/11, RNr 131 bis 134) hat er seine Judikatur wie folgt zusammengefasst: Werden gegen eine Person aus ein- und demselben Vorfall von verschiedenen Behörden in verschiedenen Verfahren mehrere Sanktionen verhängt, die als Strafen im Sinne der EMRK angesehen werden können, so liegt kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot vor, wenn ein ausreichend enger Zusammenhang zwischen den Verfahren gegeben war, und zwar sowohl inhaltlich ("in substance") als auch zeitlich ("in time"). Bei einem solchen engen Zusammenhang kann nämlich nicht davon gesprochen werden, dass der Betroffene nach einer endgültigen Entscheidung wegen derselben Sache nochmals bestraft worden ist. Die Verfahren werden vielmehr als Einheit betrachtet. Um von einem ausreichend engen inhaltlichen Zusammenhang ausgehen zu können, sind nach der Rechtsprechung des EGMR mehrere Faktoren entscheidend: Zum einen ist maßgeblich, ob die verschiedenen Verfahren auch verschiedene Zwecke verfolgen und damit, nicht bloß abstrakt, sondern auch konkret, verschiedene Aspekte des in Rede stehenden Fehlverhaltens sanktioniert werden. Zum anderen ist zu beachten, ob die unterschiedlichen Verfahren für den Beschuldigten vorhersehbar waren, ob die Verfahren so aufeinander abgestimmt sind, dass eine doppelte Beweisaufnahme und unterschiedliche Beweiswürdigung möglichst vermieden bzw Beweisergebnisse in den jeweils anderen Verfahren berücksichtigt werden, und, vor allem, ob die später auferlegte Sanktion auf die bereits erfolgten vorangegangen Sanktionen Bedacht nimmt, sodass die Gesamtstrafe als verhältnismäßig anzusehen ist. Selbst wenn diese inhaltlichen Kriterien erfüllt sind, ist zusätzlich erforderlich, dass zwischen den in Rede stehenden Verfahren ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht, also die Verfahren möglichst gleichzeitig geführt und abgeschlossen werden.