Ra 2017/15/0038 2 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Der Verfassungsgerichtshof ist in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2017, V 4/2017, von seiner bisherigen Rechtsprechung zu Art. 89 B-VG und Art. 139 Abs. 3 bzw. Art. 140 Abs. 3 B-VG, wonach nicht gehörig kundgemachte Verordnungen von den Gerichten auch ohne Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof von vornherein nicht anzuwenden seien, abgegangen. Er vertritt nunmehr die Auffassung, dass auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen anzuwenden haben und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten haben; bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl. Punkt 2.9 des genannten Erkenntnisses). Eine derartige Bindung besteht aber nur für Akte von staatlichen Organen, die einen normativen Inhalt für einen unbestimmten Adressatenkreis aufweisen (vgl. Punkt 2.10.1 des genannten Erkenntnisses). Bei den Einkommensteuerrichtlinien handelt es sich - wie im Begleitschreiben zu diesen Richtlinien ausdrücklich angeführt wird - lediglich um einen Auslegungsbehelf, der im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt werde. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten könnten aus den Richtlinien nicht abgeleitet werden. Damit handelt es sich bei diesen Richtlinien aber um keine Akte, die einen normativen Inhalt aufweisen (vgl. VfGH 30.9.1982, B 441/77, VfSlg. 9518). Eine Bindung von Gerichten an diese Richtlinien besteht daher schon deswegen nicht.