Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen der Russischen Föderation; mangelhafte Feststellungen, Beweiswürdigung und Begründung; mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Familienleben des Beschwerdeführers und dem Kindeswohl seiner minderjährigen Tochter
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an. Er ist am 28. Februar 1985 geboren und bekennt sich zum Islam. Der Beschwerdeführer stellte erstmals 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der wegen Zuständigkeit der Slowakei zurückgewiesen wurde. 2014 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der abgewiesen wurde. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation wurde am 2. Dezember 2021 vorgenommen. Im Jahr 2023 reiste der Beschwerdeführer erneut in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14. September 2023 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, dass er nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine in Angst gelebt habe, für den dortigen Krieg rekrutiert zu werden. Außerdem lebten seine Ehefrau und seine Tochter in Österreich.
2. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen gewährt (Spruchpunkt VI.).
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29. April 2024 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten und das BFA die Verwaltungsakten vorgelegt. Von der Erstattung einer Gegenschrift haben sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das BFA abgesehen. Das Bundesverwaltungsgericht wurde mit Schreiben vom 7. Oktober 2024 vom Verfassungsgerichthof aufgefordert, näher bezeichnete Fragen im Hinblick auf die Gerichtsakten zu beantworten und allenfalls eine Stellungnahme abzugeben. Mit Eingabe vom 24. Oktober 2024 ist das Bundesverwaltungsgericht dieser Aufforderung nachgekommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu dem aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus ihrer Begründung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl jeweils mwN VfSlg 20.267/2018; VfGH 13.12.2017, E940/2017; 23.2.2021, E4376/2020 ua; 22.6.2021, E1690/2021).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das angefochtene Erkenntnis enthält sowohl in seinen Feststellungen, seiner Beweiswürdigung und seinen rechtlichen Beurteilungen Ausführungen, die nicht vollständig sind. Eine Bezugnahme auf die getroffenen Feststellungen und eine zutreffende rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhaltes findet nach verfassungsgesetzlichen Maßstäben nur unzureichend statt. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt es an entscheidenden Stellen, wesentliche Verweise auf das Verhandlungsprotokoll anzuführen und sich mit den vorgebrachten Fluchtgründen, der individuellen Bedrohungssituation durch staatliche Stellen, der Gefahr einer Zwangsrekrutierung in Tschetschenien, den Lebensumständen und der Integration des Beschwerdeführers in Österreich, seinem Familienleben und dessen Weiterführung sowie mit dem Kindeswohl im Hinblick auf die in Österreich lebende Tochter des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen (vgl im Übrigen zur Berücksichtigung des Kindeswohles bei der Interessenabwägung nach Art8 EMRK ua VfGH 12.10.2016, E1349/2016; EGMR 31.1.2006, 50.435/99, Rodrigues da Silva ua ).
3.2. In der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes finden sich mehrfach Absätze und einzelne Sätze, die nicht vollständig ausformuliert sind und in denen wesentliche Auseinandersetzungen mit dem Beschwerdeführer und seinen Fluchtgründen fehlen. Dies betrifft insbesondere wesentliche Ausführungen zur Zwangsrekrutierung in Tschetschenien, zur innerstaatlichen Fluchtalternative, zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich und zum Kindeswohl im Hinblick auf seine in Österreich legal lebende minderjährige Tochter. Beispielhaft wird auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich verwiesen:
"[…]
Der BF setzte erste Integrationsschritte: xxxxx.
Im Gegensatz dazu verfügt der BF auch noch über starke private Bindungen zur Russischen Föderation, wo er bis zu seiner bereits vorangegangen Ausreise 2004, 2014, 2022,??? durchgehend lebte und im Jahr Ende 2021 abgeschoben wurde. […]"
4. Dies widerspricht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist somit einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich und daher mit Willkür belastet (s nur VfGH 13.12.2017, E940/2017; 25.8.2022, E 1720/2022 ua).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.