JudikaturVfGH

V67/2018 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
24. September 2019

Spruch

I. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19. Dezember 2013, ZIM-BSTVO-2/2-2013, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol der Verfassungsgerichtshof möge

"1. ein Verordnungsprüfungsverfahren in Bezug auf die Gesetzmäßigkeit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19.12.2013, IM-BStVO-2/2-2013, betreffend des Gebotes 'Schneeketten vorgeschrieben' auf der B 179 einleiten und feststellen, dass die Verordnung gesetzwidrig war,

in eventu

2. ein Verordnungsprüfungsverfahren in Bezug auf die nicht gehörige Kundmachung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19.12.2013, IM-BStVO-2/2-2013, betreffend des Gebotes 'Schneeketten vorgeschrieben' auf der B179 einleiten und feststellen, dass die Verordnung mangels ordnungsgemäßer Kundmachung gesetzwidrig war,

in eventu

3. ein Verordnungsprüfungsverfahren in Bezug auf die nicht gehörige Kundmachung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19.12.2013, IM-BStVO-2/2-2013, betreffend des Gebotes 'Schneeketten vorgeschrieben' auf der B179 einleiten und feststellen, dass die Verordnung betreffend des Gebotes 'Schneeketten vorgeschrieben' auf der B179 im Tatzeitpunkt 16.01.2018, 23.40 Uhr, nicht gesetzgemäß kundgemacht war."

II. Rechtslage

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19. Dezember 2013, ZIM-BSTVO-2/2-2013, lautet – auszugsweise – wie folgt (Zitat ohne die Hervorhebung im Original):

"Verordnung

Gemäß §94b Abs1 litb StVO 1960 i.d.d.g.F. wird von der Bezirkshauptmannschaft Imst gem. §43 Abs1 litb StVO 1960 im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des sich bewegenden bzw ruhenden Verkehrs und der Lage und Beschaffenheit der Straße folgende Verkehrsregelung erlassen:

Betroffener Streckenabschnitt:

B 179 Fernpass Straße KM 4,041

Dauer der Verkehrsbeschränkung/Verkehrsverbote:

auf Dauer in den Wintermonaten

Verkehrsregelung:

- Anbringen 'Schneeketten vorgeschrieben' gem. §52 Ziffer 22 StVO und bei KM 3,00 entfernen.

Kundmachung:

Mit der Kundmachung (Aufstellung der Verkehrszeichen) dieser Verordnung wird gem. §32 StVO 'die Landesstraßenverwaltung, Stm. […]' beauftragt.

Inkrafttreten:

Diese Verordnung tritt mit dem Tag der Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft. Eine dieser Verordnung entgegenstehende Verkehrsregelung tritt mit der Kundmachung dieser Verordnung außer Kraft. Der Tag der Kundmachung ist der Bezirkshauptmannschaft Imst, Verkehrsreferat mittels beiliegendem Formular schriftlich bekannt zu geben.

Für den Bezirkshauptmann:

[…]"

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960, idF BGBl I 39/2013 lauten – auszugsweise – wie folgt:

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

a) […]

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;

c) - d) […]

(1a) - (7) und (11)

[…]

§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

(1a) - (5)

[…]

§52. Die Vorschriftszeichen

Die Vorschriftszeichen sind

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,

b) Gebotszeichen oder

c) Vorrangzeichen.

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen

1. - 14b. […]

b) Gebotszeichen.

15. - 21. […]

22. 'SCHNEEKETTEN VORGESCHRIEBEN'

[Zeichen]

Dieses Zeichen zeigt an, dass Kraftwagen, die auf der Straße fahren, an deren Beginn das Zeichen angebracht ist, auf mindestens zwei Antriebsrädern Schneeketten haben müssen.

22a. 'ENDE EINES GEBOTES'

Ein roter Querbalken von links unten nach rechts oben in den Zeichen nach Z16, 17, 17a, 19 und 22 zeigt das Ende des durch das Zeichen ausgedrückten Gebotes an. Ein solches Zeichen kann auch auf der Rückseite des für die Gegenrichtung geltenden Zeichens angebracht werden.

23. - 25b. […]

§94b. Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde

(1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder – im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist – der Landespolizeidirektion ergibt, die Bezirksverwaltungsbehörde

a) […]

b) für die Erlassung von Verordnungen und Bescheiden,

c) - h) […]

(2) […]"

III. Sachverhalt und Vorverfahren

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 20. August 2018 wurde dem Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht zur Last gelegt, er habe am 16. Jänner 2018 um 23:40 Uhr in Nassereith, auf der Fernpassstraße B 179 bei StrKm. 9,4, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmbaren Kraftwagens mit einer höchst zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3500 kg das Gebotszeichen "Schneeketten vorgeschrieben" missachtet und keine Schneeketten an mindestens zwei Antriebsrädern montiert. Dadurch habe er eine Verwaltungsübertretung gemäß §52 litb Z22 StVO 1960 begangen und verhängte die Verwaltungsbehörde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 360,– (96 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960. Gegen das Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht Beschwerde.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden, unter Pkt. I wörtlich wiedergegebenen Antrag mit folgender –auszugsweise wiedergegebener – Begründung (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"[…]

I. Bisheriger Verfahrensgang und Sachverhalt:

[…]

Mit Schreiben [der Polizeiinspektion Nassereith] vom 05.10.2018 wurde […] mitgeteilt, dass das Kettengebot für Fahrzeuge über 3,5 t von der Streife Nassereith 1 […] um 18.15 Uhr des 16.01.2018 durch Umdrehen des entsprechenden Gebotszeichen bei Straßenkilometer 4,1 auf der B 179 angeordnet bzw kundgemacht wurde. Ein Verkehrszeichen zur Aufhebung gebe es im Überwachungsrayon der PI Nassereith nicht. […]

[Von] der PI Nassereith wurde mit Schreiben vom 08.10.2018 ergänzend mitgeteilt, dass laut Auskunft der PI Lermoos und der PI Reutte es auf der gesamten B 179 bis zur Staatsgrenze kein Verkehrszeichen gebe, welches das Kettengebot aufheben würde. Die Kettengebotstafel sei mit der Zusatztafel 'gilt für Fahrzeuge über 3,5 t' versehen gewesen.

Die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse des Landesverwaltungsgerichtes Tirol bei der PI Nassereith wurden der belangten Behörde zur Kenntnis- und Stellungnahme übermittelt, woraufhin mit Schreiben des Bezirkshauptmannes Imst vom 09.10.2018 mitgeteilt wurde, dass zum Tatzeitpunkt kein Verkehrsschild zur Aufhebung des Gebotszeichens 'Schneeketten vorgeschrieben' vorhanden war, weshalb gegenständlichenfalls von einem Kundmachungsfehler auszugehen sei.

[…]

II. Erwägungen:

1. Prozessvoraussetzungen:

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat über die Beschwerde des […] gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 20.08.2018, VK-1129-2018, zu entscheiden. Bei dieser Entscheidung geht es um die Frage, inwieweit der Beschwerdeführer gegen §52 litd Z22 StVO verstoßen hat. Die Bestimmung bezieht sich auf ein von Seiten der Bezirkshauptmannschaft Imst verordnetes Schneekettengebot.

[…]

Zumal in der genannten Verordnung das (streckenmäßige) Ende des Gebotes iSd §52 litb Z22a StVO nicht festgesetzt wurde, weiters in der Verordnung auch nicht die Fahrtrichtung angegeben ist (gemeint war offensichtlich in Richtung Reutte) und darüber hinaus beim Beginn des Gebotes 'Schneeketten vorgeschrieben' eine Zusatztafel 'gilt für Fahrzeuge über 3,5 t' angebracht war, welcher überhaupt eine verordnungsmäßige Grundlage fehlt, und zudem keine Verkehrszeichen aufgestellt waren, welche das Ende des Schneekettengebotes kundgemacht hätten, bestehen seitens des Landesverwaltungsgerichtes Tirol Bedenken dahingehend, dass die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19.12.2013, IM-BStVO-2/2-2013, gesetzmäßig ist und zudem die Verordnung nicht gehörig kundgemacht wurde.

[…]

2. In der Sache:

[…]

Auch wenn aus dem Verordnungstext unter 'Verkehrsregelung' angeführt ist, dass das Gebotszeichen anzubringen und 'bei km 3,00 zu entfernen sei' und man daher annehmen könnte, dass eine bereits bestehende Verordnung hinsichtlich des Beginnes des Geltungsbereiches abgeändert wurde und in der diesbezüglich abgeänderten Verordnung bereits das Ende des Gebotes mit entsprechender Kilometrierung festgehalten ist, ist auszuführen, dass von Seiten des Landesverwaltungsgerichtes Tirol bei der Bezirkshauptmannschaft Imst auch die vorherige Verordnung angefordert wurde, diesbezüglich von Seiten der Bezirkshauptmannschaft Imst mit Schreiben vom 09.10.2018 jedoch mitgeteilt wurde, dass die vorherige Verordnung nicht mehr vorhanden sei.

[…]"

3. Die Bezirkshauptmannschaft Imst legte den Bezug habenden Verordnungsakt vor und erstattete die folgende – auszugsweise wiedergegebene – Äußerung (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"[...]

1. Äußerung zum Gegenstand:

Im Herbst 2013 wurde neben der B 179 auf Höhe von KM 4,2 in Fahrtrichtung Norden ein Kettenanlegeplatz neu errichtet. Aus diesem Grund war es erforderlich das Gebotszeichen 'Schneeketten vorgeschrieben' vom alten Standort bei KM 3,0 zu entfernen und unmittelbar im Bereich des Kettenanlegeplatzes bei KM 4,041 neu aufzustellen. Mit Mail vom 18.12.2013, 08:47 Uhr, beantragte die Polizeiinspektion Nassereith deshalb bei der Bezirkshauptmannschaft Imst das Gebotszeichen am neuen Standort bei KM 4,041 neu zu verordnen.

[…]

Das Gebotszeichen gemäß §52 litb Zif. 22 StVO 1960 (Schneeketten vorgeschrieben für alle Kraftwagen) wurde am 18.12.2013 durch den Straßenerhalter aufgestellt und der Zeitpunkt der Aufstellung der Bezirkshauptmannschaft Imst schriftlich mit Mail vom 16.01.2014, 08:04 Uhr, mitgeteilt […]. Im Rahmen des Verordnungsverfahrens wurde nicht nachgeprüft, ob das erforderliche Gebotszeichen 'Ende Schneeketten vorgeschrieben' an der Bezirksgrenze am Fernpass oder im Zuständigkeitsbereich der Bezirkshauptmannschaft Reutte auf der B 179 vorhanden und verordnet war. Ein solches Gebotszeichen war — wie die Erhebungen jetzt ergaben – nie verordnet und wurde nie aufgestellt.

Am 16.01.2018 um 18:15 Uhr wurde von der Polizei Nassereith das Gebotszeichen 'Schneeketten vorgeschrieben' am Standort bei KM 4,041 in Kraft gesetzt, wobei dieses Kettengebot nur für Fahrzeuge über 3,5 t verpflichtend war, weil eine entsprechende Zusatztafel mit diesem Wortlaut von der Polizei kundgemacht wurde. […] Diese straßenpolizeiliche Maßnahme wurde von den Polizeiorganen auf Grundlage des §44b StVO 1960 angeordnet und nicht auf Grundlage der erwähnten Verordnung.

[…]

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass das Gebotszeichen 'Schneeketten vorgeschrieben' mit der Zusatztafel 'für Fahrzeuge über 3,5 t' nicht auf Grundlage der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19.12.2013, ZI. IM-BSTVO-2/2-2013, sondern auf Grundlage des §44b StVO 1960 kundgemacht war.

[…]"

4. Der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht gab keine Äußerung ab. Die Tiroler Landesregierung teilte mit, auf eine Äußerung zu verzichten.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung zu Art89 Abs1 B VG seit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl zB VfGH 14.3.2018, V114/2017).

1.2. Die angefochtene Verordnung wurde durch die – im Aktenvermerk (Mitteilung über die Kundmachung einer Verordnung) festgehaltene – Anbringung des Verkehrszeichens am 16. Jänner 2014 gemäß §44 Abs1 StVO 1960 kundgemacht. Dadurch erlangte die angefochtene Verordnung ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist (vgl VfSlg 20.182/2017 mwN).

1.3. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.4. Dem Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol liegt ein Bescheid zugrunde, in dem dem Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol zu Last gelegt wird, am 16. Jänner 2018 das mit Verkehrszeichen angeordnete Gebot, den Kraftwagen über 3,5 t nur mit mindestens auf zwei Antriebsrädern montierten Schneeketten zu lenken, missachtet zu haben. Das Landesverwaltungsgericht Tirol geht in seinem Antrag davon aus, dass mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 20. August 2018 eine Übertretung des mit der angefochtenen Verordnung angeordneten Gebotes sanktioniert wurde. Das Straferkenntnis führt die angefochtene Verordnung nicht als Übertretungsnorm an und bezieht sich das Straferkenntnis in seiner Begründung auch nicht auf diese Verordnung.

1.5. Da die angefochtene Verordnung – nach dem Vorbringen der Bezirkshauptmannschaft Imst – am Tatort für die Dauer der Wintermonate für alle Kraftwagen eine Schneekettenpflicht anordnet, ist es – entgegen dem Vorbringen der Bezirkshauptmannschaft Imst – nicht offenkundig denkunmöglich, dass das Landesverwaltungsgericht Tirol die angefochtene Verordnung im Beschwerdeverfahren anzuwenden hat. Die angefochtene Verordnung ist daher präjudiziell.

1.6. Ungeachtet der Formulierung des Hauptantrages, "[…] und feststellen, dass die Verordnung gesetzwidrig war […]", ist der Antrag im Zusammenhang mit seiner Begründung als Aufhebungsbegehren zu verstehen (VfSlg 17.695/2005, 20.223/2017; VfGH 24.11.2016, V18-19/2016; 9.10.2018, V26/2018; 26.11.2018, V53-54/2018).

1.7. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, erweist sich der Hauptantrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol als zulässig, sodass auf die Eventualanträge nicht weiter einzugehen ist.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Das antragstellende Gericht behauptet die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung, weil das streckenmäßige Ende des Gebotes im Sinne des §52 litb Z22a StVO 1960 nicht angeordnet sei; lediglich der Beginn des Gebotes "Schneeketten vorgeschrieben" im Sinne des §52 litb Z22 StVO 1960 sei in der angefochtenen Verordnung festgelegt.

2.4. Damit ist das antragstellende Gericht im Recht.

2.5. Der Verordnungsgeber ist verpflichtet, den örtlichen Geltungsbereich einer auf §43 Abs1 litb StVO 1960 gestützten verkehrsbeschränkenden Maßnahme möglichst genau zu umschreiben. Den örtlichen Geltungsbereich nur in groben Zügen anzuführen, ist daher unzulässig (VfSlg 20.251/2018). Die Verordnung muss so bestimmt sein, dass für den Normunterworfenen bereits anhand des Verordnungstextes selbst – und einer allenfalls von der Verordnung mitumfassten planlichen Darstellung oder dergleichen (vgl auch VfSlg 7072/1973, 10.469/1985, 18.840/2009) – zweifelsfrei zum Ausdruck kommt, für welche Bereiche bzw welche Strecke diese Anordnung bzw Verkehrsbeschränkung gilt, sodass er sich danach richten kann (VfSlg 8658/1979).

2.6. Da im Verfahren auch sonst keine gegenteiligen Vorbringen erstattet wurden, besteht für den Verfassungsgerichtshof kein Zweifel, dass das streckenmäßige Ende des mit der angefochtenen Verordnung normierten Gebotes nicht durch Verordnung angeordnet wurde. Der Verordnungsgeber hat es daher verabsäumt, den örtlichen Geltungsbereich des mit der angefochtenen Verordnung angeordneten Gebotes im Sinne der Ausführungen in Pkt. IV.2.5. derart möglichst genau zu umschreiben, dass der Normunterworfene dem Verordnungstext die Strecke des angeordneten Gebotes unzweifelhaft entnehmen kann. Die angefochtene Verordnung ist daher gesetzwidrig.

2.7. Da die angefochtene Verordnung schon aus diesem Grund gesetzwidrig ist, erübrigt sich ein Eingehen auf die übrigen Bedenken des antragstellenden Gerichtes.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19. Dezember 2013, ZIM-BSTVO-2/2-2013, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litj Tiroler Landes-Verlautbarungsgesetz 2013.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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