JudikaturVfGH

V99/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 2021

Spruch

I. Die gemäß §44b StVO 1960 erlassene Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst, mit der vom 16. Jänner 2018, 18:15 Uhr, bis 17. Jänner 2018, 8:30 Uhr, auf der B 179 (Fernpassstraße) ab Straßenkilometer 4,1 in Richtung Norden für Kraftfahrzeuge mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen das Anlegen von Schneeketten vorgeschrieben wurde, war gesetzwidrig.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol lautet auszugsweise wiedergegeben:

"Der Verfassungsgerichtshof möge

1. ein Verordnungsprüfungsverfahren in Bezug auf die Gesetzmäßigkeit der von einem Organ der Straßenaufsicht, nämlich einem Organ der PI Nassereith am 16.01.2018 um 18:02 Uhr, getroffenen Maßnahme gemäß §44b StVO 1960, mit welcher auf der B 179 Fernpassstraße ab km 4,1 (in Richtung Norden) die Schneekettenpflicht für Fahrzeuge von mehr als 3,5 t getroffen wurde, einleiten und die Maßnahme als gesetzwidrig aufheben,

[…]"

(Eventualanträge nicht wiedergegeben)

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden, (StVO 1960) BGBl 159/1960 idF BGBl I 68/2017, lauten auszugsweise:

§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

a) wenn ein Elementarereignis bereits eingetreten oder nach den örtlich gewonnenen Erfahrungen oder nach sonst erheblichen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, die zum Schutze der Straßenbenützer oder zur Verkehrsabwicklung erforderlichen Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen zu erlassen;

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;

c)–d) […]

(1a)–(11) […]

[…]

§44b. Unaufschiebbare Verkehrsbeschränkungen

(1) Im Falle der Unaufschiebbarkeit dürfen die Organe der Straßenaufsicht, des Straßenerhalters, der Feuerwehr, des Bundesheeres oder des Gebrechendienstes öffentlicher Versorgungs- oder Entsorgungsunternehmen (zB Gasgebrechendienste) nach Erfordernis eine besondere Verkehrsregelung durch Anweisungen an die Straßenbenützer oder durch Anbringung von Verkehrsampeln oder Signalscheiben veranlassen oder eine der in §43 Abs1 litb Z1 und 2 bezeichneten Maßnahmen durch Anbringung der entsprechenden Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen mit der Wirkung treffen, als ob die Veranlassung oder Maßnahme von der Behörde getroffen worden wäre. Dies gilt insbesondere,

a) wenn ein Elementarereignis bereits eingetreten oder nach den örtlich gewonnenen Erfahrungen oder nach sonst erheblichen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist,

b) bei unvorhersehbar aufgetretenen Straßen- oder Baugebrechen u. dgl.,

c) bei unvorhersehbar eingetretenen Ereignissen, wie zB Brände, Unfälle, Ordnungsstörungen u. dgl., die besondere Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen oder eine besondere Verkehrsregelung (zB Einbahnverkehr, abwechselnder Gegenverkehr, Umleitungen u. dgl.) erfordern.

(2) Ist der Grund für die Veranlassung oder Maßnahme weggefallen, so hat das nach Abs1 tätig gewordene Organ oder dessen Dienststelle die Veranlassung oder Maßnahme unverzüglich aufzuheben.

(3) Von der Veranlassung oder Maßnahme und von deren Aufhebung ist die Behörde von der Dienststelle des nach Abs1 tätig gewordenen Organs unverzüglich zu verständigen. Die Behörde hat diese Verständigungen in einem Aktenvermerk (§16 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl Nr 51/1991) festzuhalten.

(3a) Von der Verpflichtung zur Verständigung der Behörde gemäß Abs3 ausgenommen sind die von den Organen des Straßenerhalters veranlassten Verkehrsbeschränkungen gemäß Abs1. Das nach Abs1 tätig gewordene Organ des Straßenerhalters hat in diesem Fall die Veranlassung oder Maßnahme und deren Aufhebung zu dokumentieren. Die Behörde kann in diese Dokumentation bei dem nach Abs1 tätig gewordenen Organ Einsicht nehmen. Diese Dokumentation ersetzt den von der Behörde gemäß Abs3 anzulegenden Aktenvermerk.

(4) Unbeschadet der Bestimmungen des Abs2 hat die Behörde von der Dienststelle des nach Abs1 tätig gewordenen Organs die Aufhebung der Veranlassung oder Maßnahme zu verlangen, wenn der Grund dafür weggefallen ist oder die Veranlassung oder Maßnahme gesetzwidrig oder sachlich unrichtig ist."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Bezirkshauptmannschaft Imst legte dem Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht mit Straferkenntnis vom 20. August 2018 zur Last, er habe am 16. Jänner 2018 um 23:40 Uhr in Nassereith auf der Fernpassstraße B 179 bei Straßenkilometer 9,4 als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges mit einer höchst zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen das Gebotszeichen "Schneeketten vorgeschrieben" missachtet, indem er keine Schneeketten an zumindest zwei Antriebsrädern montiert gehabt habe. Dadurch habe er eine Verwaltungsübertretung gemäß §52 litb Z22 StVO 1960 begangen. Die Bezirkshauptmannschaft Imst verhängte über den Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht eine Geldstrafe in der Höhe von € 360,– (96 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960. Gegen das Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht Beschwerde.

2. Aus Anlass des Verfahrens zur Entscheidung über diese Beschwerde beantragte das Landesverwaltungsgericht Tirol zunächst mit dem zu V67/2018 protokollierten Schriftsatz, die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 19. Dezember 2013, Z IM-BSTVO-2/2-2013, die auf der B 179 (Fernpass Straße) ab Straßenkilometer 4,041 für die "Wintermonat[e]" die Pflicht zu Anbringung von Schneeketten vorsah, als gesetzwidrig aufzuheben. Diesem Antrag gab der Verfassungsgerichtshof statt und hob die angefochtene Verordnung mit Erkenntnis vom 24. September 2019, V67/2018, als gesetzwidrig auf, weil das streckenmäßige Ende des mit der angefochtenen Verordnung normierten Gebotes nicht durch Verordnung angeordnet wurde.

3. Mit dem nun vorliegenden Antrag beantragt das Landesverwaltungsgericht Tirol mit der im Folgenden auszugsweise wiedergegebenen Begründung, der Verfassungsgerichtshof möge die von einem Organ der Straßenaufsicht gemäß §44b StVO 1960 vorgenommene Anordnung einer Schneekettenpflicht am 16. Jänner 2018 ab 18:02 Uhr auf der B 179 (Fernpassstraße) ab Straßenkilometer 4,1 in Richtung Norden für Kraftfahrzeuge mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen als gesetzwidrig aufheben.

"Vorerst ist festzuhalten, dass es sich bei einer von Organen der Straßenaufsicht, des Straßenerhalters oder der Feuerwehr unter Berufung auf §44b StVO 1960 getroffenen Maßnahme, sofern sie generell und abstrakter Art ist, um eine Verordnung im materiellen Sinne handelt, fingiert doch §44b Abs1 StVO 1960 die Wirkung dieser Maßnahme dahin, 'als ob die Veranlassung oder Maßnahme von der Behörde getroffen worden wäre'.

Tatbestandsvoraussetzungen für eine solche Maßnahme sind im Falle der Unaufschiebbarkeit Verkehrsbeschränkungen wie sie beispielsweise in §44b Abs1 lita bis c StVO aufgezählt sind. Auch wenn auf der Strecke der Fernpassbundesstraße auf B 179 insbesondere in den Wintermonaten immer wieder damit zu rechnen ist, dass aufgrund starker Schneefälle zumindest für Fahrzeuge über 3,5 t ein Gebot der Schneekettenpflicht erforderlich sein wird, so ist im Vorhinein diesbezüglich weder der konkrete Zeitpunkt des Auftretens dieses Ereignisses noch dessen Intensität vorab festzustellen, darüber hinaus wird die Dauer der Erforderlichkeit der verkehrsbeschränkenden Maßnahme im Vorhinein nicht festgesetzt werden können, ebenso der streckenmäßige Geltungsbereich.

Die im konkreten Fall vorliegende Maßnahme wurde von Beamten der PI Nassereith, sohin Organen der Straßenaufsicht, aufgrund des Umstandes getroffen, zumal auf der Fernpassbundesstraße B 179 Schneefahrbahn herrschte und darüber hinaus bereits ein LKW mit Sommerreifen hängen geblieben ist. Von dieser Maßnahme wurde die Behörde mittels E-Mail unverzüglich verständigt, die Maßnahme wurde um 08.30 Uhr des Folgetages aufgehoben.

Die Maßnahme wurde sodann ausschließlich bei km 4,1 auf der B 179 (in Fahrtrichtung Norden) durch Umdrehen des entsprechenden Verkehrszeichen 'Schneeketten vorgeschrieben' mit der Zusatztafel 'Fahrzeuge über 3,5 t' kundgemacht. Das Ende des Gebotes wurde jedoch auf der B 179 nicht durch entsprechende Verkehrszeichen kundgemacht und ist in der Mitteilung der Maßnahme an die Behörde auch nicht ausgeführt, für welchen örtlichen Bereich die Schneekettenpflicht angeordnet wird.

Auch wenn eine Verordnung in Form einer Maßnahme im Sinne des §44b StVO kundgemacht wird ist es unumgänglich, (auch) den örtlichen Geltungsbereich konkret festzusetzen bzw das Ende des Gebotes entsprechend anzuzeigen. Auch bei den verkehrsbeschränkenden Maßnahmen wie hier dem Kettengebot für LKWs für Fahrzeuge über 3,5 t muss für den Normunterworfenen eindeutig ersichtlich sein, wann das entsprechende Gebot wieder aufgehoben wird, sohin für welche Bereiche bzw welche Strecke die entsprechende Anordnung bzw Verkehrsbeschränkung gilt, sodass er sich danach richten kann.

Von der Bezirkshauptmannschaft Imst ebenso wie der PI Nassereith, PI Reutte und PI Heiterwang wurde über entsprechende Nachfrage des erkennenden Gerichtes mitgeteilt, dass auf der gesamten Strecke der B 179 kein entsprechendes Verkehrsschild aufgestellt war, welches das Ende des Gebotes Schneeketten vorgeschrieben für Fahrzeuge über 3,5 t angezeigt hätte.

Wenn die Bezirkshauptmannschaft Imst sodann in ihrer Stellungnahme vom 14.11.2018 im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu V67/2018 ausführt, dass aufgrund des Umstandes, dass ein Verkehrszeichen gemäß §52 litb Z22a StVO 1960 im Zeitraum vom 16.01.2018, 18.15 Uhr, bis 17.01.2018, 08.30 Uhr, an keinem Standort entlang der B 179 vorhanden gewesen sei, weshalb das Kettenangebot bis zum Grenztunnel Füssen gültig gewesen sei so ist festzuhalten, dass aus den vorgelegten Unterlagen in keiner Weise ersichtlich ist, dass das Schneekettengebot für Fahrzeuge über 3,5 t über eine Strecke von über 40 km erforderlich gewesen sein soll, dies insbesondere wenn man bedenkt, dass die B 179 über den Fernpass und sodann annähernd durch das Stadtgebiet von Reutte selbst bis zur Grenze (Tunnel Füssen) verläuft.

Die angeordnete Maßnahme im Sinn des §44b StVO war sohin nicht gesetzmäßig, zumal der örtliche Geltungsbereich nicht festgelegt war.

Zudem war die Maßnahme nicht ordnungsgemäß kundgemacht, zumal die Aufhebung des Gebotszeichens nicht verordnet wurde.

Weiters wird für den Fall, dass ohne entsprechende Anordnung des streckenmäßigen Geltungsbereiches der Verordnung diese an der Grenze zu Deutschland auf der B 179 als aufgehoben gilt, geltend gemacht, dass eine gesetzwidrige Maßnahme im Sinne des §44b StVO vorlag, zumal die Tatbestandsvoraussetzungen der Maßnahme im Sinne der Unaufschiebbarkeit der Verkehrsbeschränkungen nicht auf der gesamten Strecke der B 179 von km 4,1 bis zur Grenze bei ca Strkm 49 vorgelegen sind."

4. Die Bezirkshauptmannschaft Imst erstattete die im Folgenden auszugsweise wiedergegebene Äußerung.

"Die im laufenden Verordnungsprüfungsverfahren von der Bezirkshauptmannschaft Imst ergänzend durchgeführten Erhebungen stehen mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen im Einklang. So steht fest, dass von einem Polizeiorgan der PI Nassereith am 16.01.2018, 18:15 Uhr, auf der B 179 Fernpassstraße ab KM 4,1 in Fahrtrichtung Norden das Gebotszeichen 'Schneeketten vorgeschrieben für Fahrzeuge über 3,5 t' durch Umdrehen des Gebotszeichen samt der Zusatztafel in Kraft gesetzt und bis 17.01.2018, 08:30 Uhr, angeordnet wurde. Weiters steht eindeutig fest, dass der örtliche Geltungsbereich durch das erforderliche Verkehrszeichen 'Ende des Gebotes Schneeketten vorgeschrieben' gemäß §52 litb Zif. 22a StVO 1960 auf der B 171 Fernpassstraße bis zur Grenze beim Tunnel Füssen nicht aufgestellt war.

Ergänzend konnte noch festgestellt werden, dass die Schneeketten für Fahrzeuge über 3,5 t auf der B 179 Fernpassstraße in Fahrtrichtung Norden ab KM 4,1 bis jedenfalls KM 36,6 auf Grund der Fahrbahnverhältnisse jedenfalls erforderlich war (siehe E-Mail […] von der PI Nassereith vom 30.12.2019, 08:54 Uhr – AVZ Nr 2 sowie […] E-Mail vom 02.01.2020, 10:53 Uhr – siehe AVZ Nr 3).

Ob das Kettengebot dann in weiterer Folge von KM 36,6 bis zur Staatsgrenze noch erforderlich war, konnte nicht mehr festgestellt werden. Aus den der Behörde vorliegenden Unterlagen muss aber gefolgert werden, dass diese Erforderlichkeit ab KM 36,6 (Auf- und Abfahrt Reutte Süd) in Richtung Norden bis zur Grenze (siehe TIRIS-Auszug – AVZ Nr 4) nicht mehr erforderlich gewesen sein dürfte.

Die Bezirkshauptmannschaft Imst stimmt somit mit dem Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol dahingehend überein, dass der räumliche Geltungsbereich für die von der PI Nassereith angeordnete Maßnahme streckenmäßig nicht festgesetzt und zudem dahingehend überein, dass die angeordnete Maßnahme jedenfalls nicht bis zur Staatsgrenze erforderlich war."

(Zitat ohne die Hervorhebungen im Original)

5. Die Tiroler Landesregierung und der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht sahen von der Erstattung einer Äußerung ab.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl zB VfSlg 20.251/2018).

Die angefochtene Verordnung wurde durch die – in einem Aktenvermerk festgehaltene – Anbringung (Umdrehen) der Verkehrszeichen am 16. Jänner 2018 um 18:15 Uhr jedenfalls kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist und in Geltung stand.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Dem Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht wird zur Last gelegt, er habe den räumlichen Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung mit einem Kraftfahrzeug mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen ohne Schneeketten befahren. Daher ist es nicht denkunmöglich, dass das antragstellende Gericht die angefochtene Verordnung anzuwenden hat.

1.3. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, erweist sich der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Das antragstellende Gericht bringt unter anderem vor, die angefochtene Verordnung sei nicht erforderlich, weil sich aus den Unterlagen der verordnungserlassenden Behörde nicht ergebe, dass das Schneekettengebot für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen für die gesamte ab Straßenkilometer 4,1 verbleibende Strecke der B 179 bis zur Staatsgrenze erforderlich gewesen wäre, insbesondere weil die B 179 nicht nur über den Fernpass, sondern auch durch das Stadtgebiet Reutte verlaufe.

2.3. Damit ist das antragstellende Gericht im Recht.

2.3.1. §44b Abs1 StVO 1960 sieht für den Fall der Unaufschiebbarkeit unter anderem für Organe der Straßenaufsicht die Ermächtigung vor, nach Erfordernis eine besondere Verkehrsregelung durch Anweisungen an die Straßenbenützer oder durch Anbringung von Verkehrsampeln oder Signalscheiben zu veranlassen oder eine der in §43 Abs1 litb Z1 und 2 StVO 1960 bezeichneten Maßnahmen durch Anbringung der entsprechenden Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen mit der Wirkung zu treffen, als ob die Veranlassung oder Maßnahme von der Behörde getroffen worden wäre. Diese Maßnahmen dürfen insbesondere getroffen werden, wenn ein Elementarereignis bereits eingetreten oder nach den örtlich gewonnenen Erfahrungen oder nach sonst erheblichen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, bei unvorhersehbar aufgetretenen Straßen- oder Baugebrechen, bei unvorhersehbar eingetretenen Ereignissen, wie zB Bränden, Unfällen, Ordnungsstörungen, die besondere Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen oder eine besondere Verkehrsregelung erfordern.

2.3.2. §44b StVO 1960 stellt demnach (mitunter) durch den Verweis auf §43 Abs1 litb Z1 und 2 StVO 1960 eine besondere Ermächtigung zur Anordnung verkehrsbeschränkender Maßnahmen iSd §43 Abs1 litb Z1 und 2 StVO 1960 dar. Daher sind – soweit §44b StVO 1960 nichts anderes bestimmt – die vom Verfassungsgerichtshof zu §43 Abs1 litb Z1 und 2 StVO 1960 angestellten Überlegungen zur Festlegung einer verkehrsbeschränkenden Maßnahme sinngemäß auf §44b StVO 1960 übertragbar. §44b StVO 1960 verlangt demnach – wie auch §43 Abs1 litb Z1 und 2 StVO 1960 – die Erforderlichkeit der verkehrsbeschränkenden Maßnahme (vgl auch VfSlg 10.949/1986).

Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte (vgl VfSlg 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.573/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Der Verfassungsgerichtshof geht somit in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche eine Verkehrsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen die entsprechende Verkehrsbeschränkung gebieten.

2.3.3. Die angefochtene Verordnung bestimmt für die B 179 (Fernpassstraße) ab Straßenkilometer 4,1 in Richtung Norden für Kraftfahrzeuge mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen die Pflicht zur Anbringung von Schneeketten an zumindest zwei Antriebsrädern.

2.3.4. Ausweislich der Äußerung der Bezirkshauptmannschaft Imst erstreckte sich der räumliche Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung mangels Anordnung des Endes des Schneekettenanlegegebotes bis zur Staatsgrenze. Wie sich aus der dem Akt einliegenden Korrespondenz zwischen der Bezirkshauptmannschaft Imst und den Organen der Straßenaufsicht ergibt, war das Schneekettenanlegegebot auf Grund der Fahrbahnverhältnisse lediglich bis Straßenkilometer 36,6, nicht aber auch für den ab Straßenkilometer 36,6 bis zur Staatsgrenze reichenden Straßenabschnitt erforderlich.

2.3.5. Ungeachtet der Frage, ob in der spezifischen Konstellation eine Kundmachung des Endes der Verordnung notwendig war, ist die Erforderlichkeit des Gebotes zum Anlegen von Schneeketten für den gesamten Streckenabschnitt somit jedenfalls nicht ersichtlich.

2.3.6. Die angefochtene Verordnung erweist sich schon aus diesem Grund als gesetzwidrig, weshalb sich ein Eingehen auf das weitere Antragsvorbringen erübrigt.

2.4. Die angefochtene Verordnung ist ausweislich des Aktenvermerkes des die Anordnung treffenden Organes der Straßenaufsicht am 17. Jänner 2018 um 8:30 Uhr außer Kraft getreten. Daher hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs4 B VG festzustellen, dass die angefochtene Verordnung gesetzwidrig war.

V. Ergebnis

1. Die gemäß §44b StVO 1960 erlassene Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst, mit der vom 16. Jänner 2018, 18:15 Uhr, bis 17. Jänner 2018, 8:30 Uhr, auf der B 179 (Fernpassstraße) ab Straßenkilometer 4,1 in Richtung Norden für Kraftfahrzeuge mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen das Anlegen von Schneeketten vorgeschrieben wurde, war gesetzwidrig.

2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litj Tiroler Landes-Verlautbarungsgesetz 2013.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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