G107/2017 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Gesellschaft, der Verfassungsgerichtshof möge die Wortfolge "in dem Falle, daß die richterliche Hülfe zu spät kommen würde" in §344 ABGB in der Fassung JGS 946/1811 als verfassungswidrig aufheben.
II. Rechtslage
§344 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) idF JGS 946/1811 lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"§344. Zu den Rechten des Besitzes gehört auch das Recht, sich in seinem Besitze zu schützen, und in dem Falle, daß die richterliche Hülfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben (§. 19). Uebrigens hat die politische Behörde für die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, so wie das Strafgericht für die Bestrafung öffentlicher Gewaltthätigkeiten zu sorgen."
III. Antragsvorbringen
1. Die antragstellende Gesellschaft stellt aus Anlass einer ordentlichen Revision gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. März 2017, Z 4 R 49/17k, beim Verfassungsgerichtshof den vorliegenden Antrag.
2. Die antragstellende Gesellschaft bringt zunächst zur Zulässigkeit des Antrages Folgendes vor:
2.1. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 23. Dezember 2016 sei ihre Klage auf Bezahlung von € 5.514,-- s.A. (bestehend aus den Kosten für die Abschleppung eines widerrechtlich auf Privatgrund abgestellten Fahrzeuges und den Kosten der Einlagerung desselben auf dem Betriebsgelände der antragstellenden Gesellschaft) abgewiesen worden. Ihrer dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung sei mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. März 2017, Z 4 R 49/17k, keine Folge gegeben worden. Gegen diese Entscheidung habe die antragstellende Gesellschaft fristgerecht ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof erhoben.
2.2. Die Anwendung der angefochtenen Wortfolge durch die ordentlichen Gerichte habe zur Abweisung der Klage der antragstellenden Gesellschaft geführt, weshalb sie präjudiziell für den Ausgang des zivilgerichtlichen Verfahrens sei. Durch die Anwendung dieser Bestimmung sei die antragstellende Gesellschaft in ihren Rechten verletzt worden, weil ihre (berechtigte) Klagsforderung infolge der Anwendung einer verfassungswidrigen Rechtsnorm abgewiesen worden sei, wodurch sie einen erheblichen vermögensrechtlichen Nachteil erlitten habe und in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden sei.
3. In der Folge bringt die antragstellende Gesellschaft nach ausführlicher Darstellung des bisherigen Verfahrensganges im Wesentlichen folgende verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtene Wortfolge vor:
Die angefochtene Wortfolge in §344 ABGB verstoße gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, weil ihre Anwendung "zwangsläufig zu unsachlichen Härten" führe. Nach Ansicht der antragstellenden Gesellschaft "[ist d]ie Bestimmung […] schlichtweg nicht mehr zeitgemäß und verfehlt (daher) ihr Ziel, einerseits einen effektiven Besitzschutz zu gewährleisten und andererseits das staatliche Gewaltmonopol aufrecht zu erhalten". Die angefochtene Wortfolge würde jede angemessene Selbsthilfe verunmöglichen, weil "neben dem Korrektiv der 'Angemessenheit' ein – aus heutiger Sicht überflüssiges – weiteres Korrektiv darin enthalten ist; nämlich die völlig unsachliche und unbillige Beschränkung der Zulässigkeit selbst an und für sich angemessener Gegengewalt nur für den Fall, dass richterliche Hilfe zu spät käme ".
IV. Zulässigkeit
1. Der Antrag ist unzulässig.
2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 2. Juli 2016, G95/2016, u.a. Wortfolgen in §62a Abs1 erster Satz VfGG als verfassungswidrig aufgehoben. Nach Aufhebung von Teilen des §62a VfGG durch dieses Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof auf Grund von Art140 Abs1 Z1 litd B VG zu prüfen, ob der Antrag "aus Anlass" eines gegen eine Entscheidung eines ordentlichen Gerichtes erster Instanz erhobenen Rechtsmittels gestellt wurde.
3.1. Mit der ordentlichen Revision, aus deren Anlass der Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B VG erhoben wurde, wendet sich die antragstellende Gesellschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. März 2017, Z 4 R 49/17k, als Rechtsmittelgericht.
3.2. Der Antrag ist unzulässig, weil er aus Anlass eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung eines Gerichtes zweiter Instanz erhoben wurde. Bei dem vorliegenden, aus Anlass einer Revision gegen das oben genannte Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. März 2017 gestellten Parteiantrag handelt es sich nicht um eine Antragstellung "aus Anlass einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B VG (s. zur Beschränkung der Anfechtung auf in erster Instanz entschiedene Rechtssachen auch §62a Abs1 erster Satz VfGG; dazu bereits VfGH 26.9.2016, G288/2016; vgl. auch VfGH 2.7.2016, G95/2016).
3.3. Der antragstellenden Gesellschaft mangelt es daher an der Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG.
3.4. Der Antrag ist schon aus diesem Grund unzulässig.
V. Ergebnis
1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.