JudikaturVfGH

G361/2015 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
02. Dezember 2016

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Die antragstellende Gesellschaft begehrt in ihrem auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag, in §62 Abs3 Z8 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, BGBl 85 ("VfGG"), (gemeint offenbar §62a Abs1 Z8 VfGG) das Wort "Insolvenzverfahren" und in §24 Abs1 Jurisdiktionsnorm, RGBl. 111/1895 ("JN"), die Wortfolge "ohne mündliche Verhandlung" wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben.

II. Rechtslage

1. §62a VfGG, BGBl 85/1953, idF BGBl I 78/2016, lautet:

"

§62a. (1) Eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs1 Z1 litd B VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig:

1. im Verfahren zur Anordnung oder Durchsetzung der Rückstellung widerrechtlich verbrachter oder zurückgehaltener Kinder (§111a AußStrG);

2. im Besitzstörungsverfahren (§§454 bis 459 ZPO);

3. im Beweissicherungsverfahren (§§384 bis 389 ZPO);

4. im Verfahren gemäß §22 Abs1 WGG;

6. im Verfahren betreffend mittlerweilige Vorkehrungen gemäß §180 NO;

7. im Verfahren gemäß den Bestimmungen des UVG;

8. im Insolvenzverfahren;

9. im Exekutionsverfahren und im Verfahren betreffend einstweilige Verfügungen gemäß den Bestimmungen der EO, einschließlich des Verfahrens über die Vollstreckbarerklärung;

(2) Der gesetzliche Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten (§38 JGG) hat das Recht, auch gegen den Willen des Beschuldigten zu dessen Gunsten einen Antrag zu stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

(3) Der Antrag hat über die Erfordernisse des §62 hinaus zu enthalten:

1. die Bezeichnung der Entscheidung und des ordentlichen Gerichtes, das sie erlassen hat;

2. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht ist.

(4) Dem Antrag sind eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie der Entscheidung sowie eine Abschrift oder Kopie dieses Rechtsmittels anzuschließen.

(5) Der Verfassungsgerichtshof hat das ordentliche Gericht erster Instanz von der Stellung eines Antrages gemäß Abs1 unverzüglich zu verständigen. Dieses hat dem Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels mitzuteilen.

(6) In dem beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren dürfen bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten."

2. §24 Abs1 JN, RGBl. 111/1895, idF BGBl 346/1933, lautet:

"§24.

(1) Über die Ablehnung wird ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß entschieden, doch können vor der Beschlußfassung alle zur Aufklärung nötig erscheinenden Erhebungen und Einvernehmungen angeordnet werden."

III. Anlassverfahren, Antrag und Unterbrechungsbeschluss

1. Über die antragstellende Gesellschaft wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 18. Mai 2009 Konkurs eröffnet. Nach Befriedigung sämtlicher Konkursgläubiger hob das genannte Gericht das Konkursverfahren mit rechtskräftigem Beschluss vom 2. Juni 2014 auf. Mit Eingabe vom 2. Jänner 2015 begehrte die antragstellende Gesellschaft, den ehemaligen Masseverwalter zur Herausgabe diverser (mit dem Konkursverfahren in Zusammenhang stehender) gerichtlicher Entscheidungen im Original zu verpflichten. Das Landesgericht Krems an der Donau wies den Antrag mit Beschluss vom 26. Jänner 2015 zurück, weil die antragstellende Gesellschaft der Sache nach die Erteilung einer Weisung an den ehemaligen Masseverwalter begehre, dem Konkursgericht nach rechtskräftiger Aufhebung des Konkursverfahrens aber keine diesbezügliche Kompetenz mehr zukomme. Dem von der antragstellenden Gesellschaft dagegen erhobenen Rekurs gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 18. März 2015 keine Folge. Mit Eingabe vom 30. März 2015 brachte die antragstellende Gesellschaft gegen die drei an der Beschlussfassung des Oberlandesgerichtes Wien mitwirkenden Richter einen Ablehnungsantrag wegen Befangenheit ein, der mit Beschluss vom 26. Juni 2015 zurückgewiesen wurde. Dagegen erhob die antragstellende Gesellschaft am 15. Juli 2015 Rekurs an den Obersten Gerichtshof, aus dessen Anlass sie am 22. Juli 2015 beim Verfassungsgerichtshof den vorliegenden auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag stellte.

2. Mit Beschluss vom 26. November 2015, G361/2015-14, G362/2015-13, leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §62a Abs1 Z8 VfGG idF BGBl I 92/2014 ein und hielt fest, dass das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren nach Fällung der Entscheidung im amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahren fortgesetzt werde.

3. Der Oberste Gerichtshof übermittelte dem Verfassungsgerichtshof am 5. Jänner 2016 seinen Beschluss vom 25. November 2015, mit dem die Zurückziehung des Rekurses der antragstellenden Gesellschaft gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 26. Juni 2015 zur Kenntnis genommen wurde.

Der Verfassungsgerichtshof forderte daraufhin mit Schreiben vom 6. April 2016 – unter Bezugnahme auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 25. November 2015 – die antragstellende Gesellschaft auf, binnen zwei Wochen bekannt zu geben, ob ihr auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützter Antrag zurückgezogen wird. Die antragstellende Gesellschaft hat keine Äußerung erstattet.

IV. Zur Zulässigkeit

Der Antrag ist nicht zulässig.

Dem Art140 Abs1 Z1 litd B VG zufolge erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels".

Art140 Abs1 Z1 litd B VG knüpft die Erhebung eines auf diese Bestimmung gestützten Antrages daran, dass dieser "aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels" gestellt wird. Damit hat der Verfassungsgesetzgeber eine für die Zulässigkeit eines (Partei-)Antrages zu beachtende Voraussetzung normiert. Liegt diese Prozessvoraussetzung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes nicht mehr vor, ist dieser Antrag zurückzuweisen (zum insoweit vergleichbaren Individualantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG vgl. VfSlg 16.280/2001 und 13.794/1994).

Vom Fehlen einer Prozessvoraussetzung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über einen Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG ist auszugehen, wenn eine Partei ihr diesem Antrag zugrunde liegendes, bei einem ordentlichen Gericht eingebrachtes Rechtsmittel zurückgenommen hat.

Darüber hinaus erweist sich der Antrag als unzulässig, weil ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützter Antrag gemäß §62a Abs1 Z8 VfGG ("im Insolvenzverfahren") nicht zulässig ist. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G647/2015-14, ausgesprochen, dass §62a Abs1 Z8 VfGG in Art140 Abs1a B VG seine Deckung findet und daher nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.

Dem Antrag mangelt es somit am Vorliegen mehrerer Prozessvoraussetzungen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist wegen des Fehlens mehrerer Prozessvoraussetzungen zurückzuweisen.

2. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

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