JudikaturVfGH

G83/2013 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
21. November 2013

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag vom 26. September 2013 begehrt der in der Justizanstalt Graz-Jakomini angehaltene Antragsteller, die §§156c Abs1a, 156d Abs1 und 3 sowie die Wortfolgen "156c Abs1a, 156d Abs1 und Abs3" und "in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 2 /2013 treten mit 1. Jänner 2013 in Kraft" in §181 Abs25 Strafvollzugsgesetz (StVG), BGBl 144/1969 idF BGBl I 2/2013, als verfassungswidrig aufzuheben und die vor dem 1. Jänner 2013 geltende Rechtslage wiederherzustellen.

2. Zur Zulässigkeit des Antrages führt der Antragsteller aus:

2.1. Mit "Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 25. September 2012" sei er des Verbrechens des (teils schweren) sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach den §§206 Abs1 und 207 Abs1 erster Fall StGB sowie des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §212 Abs1 Z1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Gemäß §266 Abs1 Strafprozeßordnung 1975 (StPO) habe das Gericht unter einem ausgesprochen, dass eine Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest für einen Zeitraum von sechs Monaten der Strafzeit nicht in Betracht komme. Er verbüße die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe seit 30. April 2013 in der Justizanstalt Graz-Jakomini.

2.2. Auf Grund der mit Bundesgesetz BGBl I 2/2013 geschaffenen und mit 1. Jänner 2013 in Kraft getretenen neuen Rechtslage sei die Bewilligung des Strafvollzuges in Form des elektronisch überwachten Hausarrests weder von Amts wegen noch auf Antrag zulässig. Selbst ein nach Verbüßung der im Strafurteil (gemäß §266 Abs1 StPO) mit sechs Monaten bestimmten Frist gestellter Antrag wäre abzuweisen; die Beschreitung des Verwaltungsrechtsweges sei dem Antragsteller nicht zumutbar, da er sich bereits in Strafhaft befinde und auch "die zur Ausschöpfung des Instanzenzuges erforderliche Zeit" in Haft verbringen müsse.

3. Zur Begründung des Antrages führt der Antragsteller im Kern aus:

3.1. Die (in Teilen) angefochtene Übergangsbestimmung des §181 Abs25 sowie die zur Gänze angefochtenen Bestimmungen der §§156c Abs1a, 156d Abs1 und 3 StVG idF BGBl I 2/2013 würden gegen Art7 EMRK verstoßen und den Antragsteller in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit (Art5 EMRK) sowie auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) verletzen.

Insbesondere würden die in Rede stehenden Bestimmungen des StVG in ihren Auswirkungen rückwirkend zu einer strengeren Strafe führen als dies nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Begehung der Straftat gesetzlich vorgesehen gewesen sei. Gemäß Art5 EMRK dürfe ein Freiheitsentzug nur durch ein Gericht angeordnet werden. Dieser Bestimmung stünden (rückwirkende) gesetzgeberische Maßnahmen entgegen, die unmittelbaren Einfluss auf ein rechtskräftiges Gerichtsurteil zum Nachteil des Verurteilten nehmen würden. Zudem erachtet sich der Antragsteller durch die durch Bundesgesetz BGBl I 2/2013 wirksam gewordenen Einschränkungen der Vollzugsform in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) verletzt. Auch bestehe keine sachliche Rechtfertigung für den (zeitlichen) Ausschluss des Strafvollzuges in Form des elektronisch überwachten Hausarrests für bestimmte Straftaten.

II. Rechtslage

1. Mit Änderungen des Strafvollzugsgesetzes, der Strafprozeßordnung 1975 sowie des Bewährungshilfegesetzes durch Bundesgesetz BGBl I 64/2010 wurde der elektronisch überwachte Hausarrest "als neue Vollzugsform für den Vollzug von Freiheitsstrafen und der Untersuchungshaft" eingeführt (RV 772 24. GP, 1). Mit der durch Bundesgesetz BGBl I 2/2013 erfolgten Änderung des StVG wurden die Bewilligungsvoraussetzungen und das Verfahrens dieser Vollzugsform für wegen einer Straftat gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung Verurteilte Rechtsbrecher modifiziert (vgl. RV 1991 24. GP, 1, 9 ff.).

2. Die maßgeblichen – (rückwirkend) mit 1. Jänner 2013 in Kraft gesetzten – Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (StVG), BGBl 144/1969 idF BGBl I 2/2013, lauten wie folgt (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Bewilligung und Widerruf

156c. […]

(1a) Wurde der Rechtsbrecher wegen einer strafbaren Handlung nach den §§201, 202, 205, 206, 207, 207a oder 207b StGB verurteilt, so kommt ein Vollzug in Form des elektronisch überwachten Hausarrests nicht in Betracht, bevor die zeitlichen Voraussetzungen des §46 Abs1 StGB erfüllt sind, im Übrigen und wenn der Täter wegen einer anderen im §52a Abs1 StGB genannten strafbaren Handlung verurteilt wurde, nur dann, wenn aus besonderen Gründen Gewähr dafür geboten ist, dass er den elektronisch überwachten Hausarrest nicht missbrauchen werde.

[…]"

"Zuständigkeit und Verfahren

156d. (1) Die Entscheidungen über die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest und den Widerruf stehen dem Leiter jener Anstalt zu, die im Sprengel des Landesgerichtes liegt, in dem auch die Unterkunft des Strafgefangenen oder Verurteilten gelegen ist, und die über Einrichtungen zur elektronischen Überwachung verfügt (Zielanstalt). Ist die Zielanstalt nicht die Anstalt, in der die Freiheitsstrafe im Zeitpunkt der Antragstellung vollzogen wird oder in der sie anzutreten wäre, so wird sie mit Rechtskraft der die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest bewilligenden Entscheidung Strafvollzugsort. §135 Abs2 erster Satz letzter Halbsatz und zweiter Satz sowie Abs3 ist sinngemäß anzuwenden.

[…]

(3) Wurde der Rechtsbrecher wegen einer im §52a Abs1 StGB genannten strafbaren Handlung verurteilt, so ist vor der Entscheidung zur Prüfung der Voraussetzungen des §156c Abs1 Z4 eine Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter einzuholen und einem Opfer einer solchen strafbaren Handlung, das eine Verständigung nach §149 Abs5 beantragt hat, unbeschadet des §156c Abs1 Z3 Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ein solches Opfer ist von der Bewilligung des Vollzugs der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests zu verständigen. Für die Wahrnehmung dieser Antrags- und Anhörungsrechte hat das Opfer einer im §52a Abs1 StGB genannten strafbaren Handlung Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung in sinngemäßer Anwendung des §66 Abs2 StPO.

[…]"

"Schlußbestimmungen

§181. […]

(25) Die §§9 Abs4, 10 Abs2, 24 Abs3a, §41 Abs4, 54 Abs2, 102b, 106a, 121 Abs5, 133a Abs1 und Abs3 bis 6, 147 Abs1, 156c Abs1a, 156d Abs1 und Abs3 und 158 Abs1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 2/2013, treten mit 1. Jänner 2013 in Kraft. §156c Abs1a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 2/2013, gilt jedoch für Verurteilte nicht, die am 1. Jänner 2013 bereits im elektronisch überwachten Hausarrest angehalten werden.

[…]"

3. Die in diesem Zusammenhang interessierende Bestimmung des §266 Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631 idF BGBl I 64/2010, hat folgenden Wortlaut:

"§266. (1) Das Gericht kann im Strafurteil aussprechen, dass eine Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest (§156b StVG) für einen bestimmten, längstens für den im §46 Abs1 StGB genannten Zeitraum nicht in Betracht kommt, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine solche Anhaltung nicht genügen werde, um den Verurteilten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, oder es ausnahmsweise der Vollstreckung der Strafe in der Anstalt bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. §43 Abs1 letzter Satz StGB gilt dabei sinngemäß. Dieser Ausspruch oder sein Unterbleiben bildet einen Teil des Ausspruchs über die Strafe und kann zugunsten und zum Nachteil des Beschuldigten mit Berufung angefochten werden.

(2) Wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorliegen im Zeitpunkt des Urteils kein Ausspruch nach Abs1 gefällt worden wäre, so hat das Gericht diesen aufzuheben."

III. Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig.

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

2. Dem Antragsteller steht ein solcher zumutbarer Weg der Rechtsverfolgung offen:

2.1. Gemäß §156c Abs1 StVG ist der Vollzug einer zeitlichen Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests auf Antrag des Strafgefangenen (bzw. vor Strafantritt des Verurteilten) – durch den Anstaltsleiter (§156d Abs1 StVG) – zu bewilligen, wenn die im Gesetz näher bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Primäres formelles Erfordernis ist sohin ein Antrag des Betroffenen (vgl. RV 772 24. GP, 6).

2.2. Damit hat der Antragsteller aber die Möglichkeit, einen bescheidmäßigen Abspruch über den (weiteren) Vollzug der konkreten Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests zu erwirken. Gegen einen allenfalls negativen Bescheid kann er letztlich Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof einbringen und darin seine Bedenken bezüglich der für verfassungswidrig erachteten Bestimmungen des StVG zum Ausdruck bringen.

2.3. Außergewöhnliche Umstände, welche die Einbringung eines Individualantrages zufolge Unzumutbarkeit eines anderen Weges ausnahmsweise zulässig machen können, liegen hier nicht vor.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Zusammenfassend ergibt sich mithin, dass es dem Antragsteller an der Legitimation zur Stellung eines Individualantrages mangelt. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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