G56/2025 (G56/2025-10) – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Verstoß einer Blankettstrafnorm des Hochschülerinnen- und HochschülerschaftsG 2014 gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Selbstverwaltung und den Gleichheitsgrundsatz; Unzulässigkeit der Einschränkung des autonomen Handlungsspielraums durch verwaltungsstrafrechtliche Sanktionsdrohung für alle rechtswidrigen Handlungen oder Unterlassungen der für den Selbstverwaltungskörper in einschlägiger Funktion tätigen Personen; Verpflichtung zur Herstellung des entsprechenden Rechtszustandes im Falle der aufsichtsbehördlichen bescheidförmigen Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Handlung oder Unterlassung; Unsachlichkeit der umfassenden Pönalisierung von Funktionsträgern durch das verwaltungsstrafrechtliche Unwerturteil angesichts der Vielfältigkeit der Aktivitäten der ÖH
Aufhebung des §63 Abs6 HSG 2014 idF BGBl I 77/2021. Fristsetzung: Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 31.12.2026. Keine Verfassungswidrigkeit des §63 Abs4 HSG 2014 idF BGBl I 77/2021.
Nichtterritoriale Selbstverwaltungskörper wie die ÖH unterliegen gemäß Art120b Abs1 B‑VG der staatlichen Aufsicht. Bei der Ausgestaltung des Aufsichtsrechts besteht grundsätzlich ein weiter Spielraum des Gesetzgebers. Instrumente zur Wahrnehmung der Aufsicht sind so zu gestalten, dass die Aufsichtsbehörde nicht in die Lage versetzt wird, selbst Entscheidungen bei der Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben zu treffen. Die Aufsichtsbehörde hat grundsätzlich von der Eigenständigkeit des Handelns des beaufsichtigten Selbstverwaltungskörpers auszugehen. Die Maßnahmen der Aufsichtsbehörde dürfen den autonomen Handlungsspielraum der Selbstverwaltung daher nur so weit einengen, als es die Wahrung der Rechtmäßigkeit und Funktionsfähigkeit erfordert. Die Mittel der Aufsicht sind nur soweit zulässig, als sie nicht über das zur Verwirklichung der gesetzlich anerkannten Aufsichtsziele erforderliche Maß hinausgehen.
Dass die Instrumente zur Wahrung der Aufsicht von Verfassung wegen so zu gestalten sind, "dass die Eigenständigkeit der Selbstverwaltungsorgane bei der Erledigung von Selbstverwaltungsaufgaben gewahrt bleibt", mithin die Maßnahmen der Aufsichtsbehörde "den autonomen Handlungsspielraum der Selbstverwaltung daher nur so weit einengen [dürfen], als es die Wahrung der Rechtmäßigkeit und Funktionsfähigkeit erfordert", bedeutet auch, dass die Ausgestaltung der (Rechts-)Aufsicht nicht dazu führen darf, dass der Handlungsspielraum der Personen, die für den Selbstverwaltungskörper tätig werden, so eingeschränkt wird, dass von einer autonomen (selbstbestimmten) Gestaltung der Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches des Selbstverwaltungskörpers nicht mehr die Rede sein kann. Da die Aufsicht "nicht in Leitung umschlagen" darf, setzt die Anforderung, dass die gesetzlich angeordnete Aufsicht "den autonomen Handlungsspielraum der Verwaltung [...] nur so weit einengen [darf], als es die Wahrung der Rechtmäßigkeit und Funktionsfähigkeit erfordert", den Aufsichtsmitteln und ihrer Ausgestaltung verfassungsrechtliche Schranken. Diese dürfen den autonomen Handlungsspielraum der Selbstverwaltung durch (präventive) Sanktionsdrohungen nicht in einer Weise einengen, die für die Wahrung der Rechtmäßigkeit und Funktionsfähigkeit des Selbstverwaltungskörpers nicht erforderlich ist.
§63 Abs6 HSG 2014 überschreitet diese aus Art120a Abs1 iVm Art120b Abs1 B‑VG folgenden verfassungsrechtlichen Schranken für die Ausgestaltung des Aufsichtsrechts gegenüber einem Selbstverwaltungskörper. Durch §63 Abs6 HSG 2014 wird jegliche Fehleinschätzung bei der Wahrnehmung rechtlicher Spielräume im Zuge ihres Handelns durch eine in einschlägiger Funktion für die ÖH tätige Person mit Verwaltungsstrafsanktion belegt, die diese nur abwenden kann, wenn sie beweisen kann, dass sie keinerlei Verschulden, also auch keine leichte Fahrlässigkeit trifft. Für diese Sanktionsdrohung, die insbesondere präventiv wirken soll, kommt es auf Art und Inhalt der verletzten Rechtsvorschrift nicht an. Jegliches rechtserhebliche Handeln oder Unterlassen der in einschlägiger Funktion tätigen Personen ist damit, sollte es aus welchen Gründen auch immer gemäß §63 Abs4 HSG 2014 als rechtswidrig festgestellt werden, auf Grund der Anordnung des §63 Abs6 HSG 2014 als Verwaltungsübertretung qualifiziert und unterliegt den in dieser Bestimmung genannten Strafdrohungen nach Maßgabe der weiteren Regelungen des VStG. Eine solche Regelung beeinträchtigt eine autonome Besorgung der Aufgaben im eigenen Wirkungsbereich des Selbstverwaltungskörpers in einem für die Wahrung der Rechtmäßigkeit nicht erforderlichen Ausmaß, wenn Personen, die für den Selbstverwaltungskörper im eigenen Wirkungsbereich tätig werden, damit rechnen müssen, dass jegliche ihrer einschlägigen Handlungen, stellt sich diese in einem nachfolgenden aufsichtsbehördlichen Verfahren aus welchen Gründen auch immer als rechtswidrig heraus, eine Verwaltungsübertretung darstellt und dementsprechend mit Verwaltungsstrafe bedroht ist.
Dagegen, dass sich die Rechtsaufsicht des §63 Abs4 HSG 2014 auf jedes rechtserhebliche Handeln oder Unterlassen in concreto eines Vorsitzenden oder Stellvertreters, eines Referenten oder eines stellvertretenden Wirtschaftsreferenten bezieht, soweit er dieses rechtserhebliche Handeln oder Unterlassen in Ausübung seiner Funktion vorgenommen hat, und dass Maßstab dieser Rechtmäßigkeitsaufsicht grundsätzlich die geltenden Gesetze oder Verordnungen sind, soweit sie für das Handeln der genannten Personen in ihrer Funktion in der ÖH maßgeblich sind, hat der VfGH in seinem Prüfungsbeschluss keine Bedenken geäußert.
Zweck des in §63 Abs4 HSG 2014 geregelten Aufsichtsmittels (bescheidförmige Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Handlung oder Unterlassung, die eine in dieser Bestimmung genannte Person in ihrer Funktion in der ÖH vorgenommen hat), das der Bundesminister in Ausübung seines Aufsichtsrechts zu ergreifen hat, ist die Gewährleistung der Rechtmäßigkeit der Tätigkeit der ÖH. Demzufolge sind die in §63 Abs4 HSG 2014 genannten Personen, wird ihr einschlägiges Handeln oder Unterlassen gemäß §63 Abs4 HSG 2014 aufsichtsbehördlich als rechtswidrig festgestellt, auch verpflichtet, den der Rechtsanschauung des Bundesministers entsprechenden Rechtszustand unverzüglich herzustellen.
§63 Abs6 HSG 2014 ordnet in Bezug auf das in §63 Abs4 und Abs5 HSG 2014 vorgesehene Aufsichtsinstrument an, dass jedes solchermaßen aufsichtsbehördlich als rechtswidrig festgestellte Handeln oder Unterlassen einer Person in ihrer Funktion für die ÖH auch eine Verwaltungsübertretung dieser Person darstellt. Diese Verwaltungsübertretung ist – als Ungehorsamsdelikt – objektiv verwirklicht, unabhängig davon, ob die genannten Funktionsträger gemäß §63 Abs5 HSG 2014 ihrer Verpflichtung zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes unverzüglich nachgekommen sind. §63 Abs6 HSG 2014 soll präventiv durch die Verwaltungsstrafdrohung rechtmäßiges Handeln oder Unterlassen der in einschlägiger Funktion für die ÖH tätigen Person und damit der ÖH als solche sicherstellen, enthält aber individuell für jeden betroffenen Funktionsträger auch eine individuelle Strafsanktion für jedes Handeln oder Unterlassen des Funktionsträgers, das sich nachfolgend in einem Verfahren gemäß §63 Abs4 HSG 2014 als rechtswidrig erweist.
Im Zuge staatlicher Rechtsaufsicht jedes Handeln oder Unterlassen einer Person, das sie in einschlägiger Funktion im Rahmen ihrer Tätigkeit für die ÖH setzt und das sich aus welchen Gründen auch immer in der Folge aufsichtsbehördlich festgestellt als rechtswidrig erweist, mit verwaltungsstrafrechtlicher Sanktion zu bedrohen, entbehrt einer sachlichen Rechtfertigung. Während es dem Zweck der Rechtmäßigkeitsaufsicht gemäß §63 Abs4 iVm Abs5 HSG 2014 entspricht, rechtserhebliches Handeln oder Unterlassen der in diesen Bestimmungen genannten Personen zum Gegenstand der Aufsicht zu machen und solcherart die Rechtmäßigkeit der Tätigkeit der ÖH sicherzustellen, fehlt es an einem sachlichen Grund, jede Rechtswidrigkeit, die den genannten Personen bei Ausübung ihrer Funktion unterläuft und unterlaufen kann, verwaltungsstrafrechtlich zu sanktionieren. Weder kann das Erfordernis einer staatlichen Aufsicht über den Selbstverwaltungskörper ÖH eine solche umfassende Pönalisierung rechtfertigen, noch besteht allgemein ein sachlicher Grund dafür, Personen, die als Funktionsträger für eine Einrichtung handeln, einem (verwaltungs-)strafrechtlichen Unwerturteil zu unterwerfen, wenn sie gegen Gesetze oder Verordnungen, die sie im Zuge ihrer Tätigkeit zu beachten haben, verstoßen sollten, unabhängig insbesondere von Art und Inhalt der verletzten Rechtsvorschrift.
Der Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang zwar beizupflichten, dass sich die Rechtmäßigkeitsaufsicht des §63 Abs4 HSG 2014 und damit in der Folge die verwaltungsstrafrechtliche Anordnung des §63 Abs6 HSG 2014 nur auf das Handeln oder Unterlassen der in §63 Abs4 HSG 2014 genannten Personen bezieht, soweit diese in Ausübung ihrer Funktion in der ÖH handeln. Insoweit mag die vom VfGH in seinem Prüfungsbeschluss gewählte Umschreibung, dass §63 Abs6 HSG 2014 potentiell die gesamte Rechtsordnung schlechthin als äußeres Tatbild einbeziehen dürfte, überschießend sein; gerade auch der zutreffende Hinweis der Bundesregierung auf die Vielfältigkeit der Aktivitäten der ÖH und damit von rechtserheblichen Handlungen oder Unterlassungen, die ihre Funktionsträger setzen und setzen müssen (etwa ist die ÖH – wenngleich unter Genehmigungsvorbehalt – zur Führung von oder der Beteiligung an Wirtschaftsbetrieben in Form von Kapitalgesellschaften ermächtigt ist), zeigt ebenso wie die Beispiele der Hochschülerinnen- und Hochschülerschafts-Dienstvertragsverordnung, des allgemeinen Vertragsrechts oder des Veranstaltungsrechts, in welch unterschiedlichen rechtlichen, teilweise auch komplexen Zusammenhängen die einschlägigen Funktionsträger handeln und handeln müssen. In einem solchen Tätigkeitsbereich jede Rechtswidrigkeit zur Verwaltungsübertretung zu erklären, ohne dass in irgendeiner Weise auf den Unrechtsgehalt einer Gesetzes- oder Verordnungsübertretung abgestellt wird, widerspricht dem Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes.
Dass in der Folge auch auf Verwaltungsübertretungen gemäß §63 Abs6 HSG 2014, einschlägige sonstige Regelungen des VStG, etwa Strafmilderungsgründe oder auch die Möglichkeit, mit einer Einstellung oder einer Ermahnung vorzugehen, zur Anwendung kommen, ändert an der grundsätzlichen Unsachlichkeit und damit Verfassungswidrigkeit der in §63 Abs6 HSG 2014 getroffenen Regelung nichts. Erst recht kann es für die Sachlichkeit der Regelung nicht darauf ankommen, ob und inwieweit sich die Aufsichtsbehörde verpflichtet sieht, gemäß §25 Abs3 VStG eine Verwaltungsübertretung anzuzeigen oder ob die grundsätzlich amtswegig zur Verfolgung einer Verwaltungsübertretung verpflichtete zuständige Bezirksverwaltungsbehörde als Verwaltungsstrafbehörde, aus welchen Gründen auch immer von der Verwaltungsübertretung Kenntnis erlangt oder nicht.
§63 Abs4 HSG 2014 kommt zunächst eigenständige Bedeutung als Konkretisierung der Aufsichtszuständigkeit des Bundesministers durch Festlegung einer entsprechenden Rechtmäßigkeitsaufsicht zu. Erst §63 Abs6 HSG 2014 enthält in der Folge die verwaltungsstrafrechtliche Anordnung, die die festgestellte Verfassungswidrigkeit begründet. Da §63 Abs4 und Abs6 HSG 2014 damit nicht in einem untrennbaren Zusammenhang stehen und die festgestellte Verfassungswidrigkeit durch Aufhebung des §63 Abs6 HSG 2014 (allein) beseitigt werden kann, ist mit Aufhebung (bloß) des §63 Abs6 HSG 2014 vorzugehen.
(Anlassfall E3593/2024, E v 22.09.2025, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).