JudikaturVfGH

G170/2024 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
AGB-Recht
24. Juni 2025
Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums und gegen den Gleichheitsgrundsatz durch eine Bestimmung des KSchG betreffend Wertsicherungsklauseln (ua) in Mietverträgen; Möglichkeit einer Preiserhöhung durch einen Unternehmer innerhalb von zwei Monaten nach Vertragsabschluss – bei sonstiger Nichtigkeit – nur durch Vereinbarung im Einzelnen mit dem Verbraucher; kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot durch die Rechtsfolge der Nichtigkeit bei Verwendung missbräuchlicher Klauseln; keine Verletzung der Privatautonomie hinsichtlich der inhaltlichen Einschränkungen für die Gestaltung von Verbraucherverträgen; Schutz vor überraschenden und kurzfristigen Preiserhöhungen für Verbraucher von Ziel- und Dauerschuldverhältnissen im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes; kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot einer Bestimmung des ABGB betreffend die Voraussetzungen der Nichtigkeit einer gröblich benachteiligenden Nebenvereinbarung

Abweisung der Parteianträge auf Aufhebung des §6 Abs2 Z4 KSchG idF BGBl I 91/2003 und des §879 Abs3 ABGB idF BGBl 275/1992.

Kein Verstoß gegen das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums durch die inhaltliche Einschränkung der Gestaltung von Verbraucherverträgen durch §6 Abs2 Z4 KSchG:

§6 Abs2 Z4 KSchG verfolgt das legitime, im öffentlichen Interesse liegende Ziel des Konsumentenschutzes bzw Verbraucherschutzes. Zweck der Bestimmung ist es, Verbraucher vor überraschenden und kurzfristigen Preiserhöhungen zu schützen. Die angefochtene Bestimmung ist auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen: Durch die Bestimmung wird verhindert, dass der Verbraucher von derartigen Wertsicherungsklauseln – insbesondere bei Verwendung von Vertragsformblättern durch den Unternehmer – überrascht wird. Das ursprüngliche, dh beim Vertragsabschluss bestehende Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bleibt erhalten. Ein solches Schutzinteresse besteht sowohl bei Ziel- als auch bei Dauerschuldverhältnissen. Zu letzten zählen auch die in den gerichtlichen Ausgangsverfahren streitverfangenen Verbrauchermietverträge, die – wie alle anderen Dauerschuldverhältnisse – vom Anwendungsbereich des §6 Abs2 Z4 KSchG seit der Stammfassung erfasst werden.

Kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums durch §6 Abs2 Z4 KSchG:

§6 Abs2 Z4 KSchG sieht kein absolutes Verbot von vertraglichen Regelungen (wie etwa Wertsicherungsklauseln) vor, die zu Preiserhöhungen in den ersten beiden Monaten nach Vertragsschluss führen können. Dem Unternehmer steht es frei, Preiserhöhungen für diesen Zeitraum wirksam zu vereinbaren; er darf dies aber nicht in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformularen tun, sondern muss dies mit dem Verbraucher im Einzelnen aushandeln.

Darüber hinaus erfasst die angefochtene Bestimmung Preiserhöhungen nur in den ersten beiden Monaten nach Vertragsabschluss. Es ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er in diesem – kurzen – Zeitraum von einem verminderten Wertsicherungsinteresse des Unternehmers und einer besonderen Überraschungseignung einer Preisanpassung für den Verbraucher ausgeht. Innerhalb dieses kurzen Zeitraumes ist es einem Unternehmer auch ohne weiteres zumutbar, die Preisentwicklung vorherzusehen und im Bedarfsfall eine abweichende vertragliche Regelung mit dem Verbraucher im Einzelnen auszuhandeln.

Schließt ein Unternehmer mit einem Verbraucher einen Vertrag unter Missachtung des §6 Abs2 Z4 KSchG ab, hat dies die Unwirksamkeit der Regelung über die Preiserhöhung zur Folge. Dies begegnet keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es einem Unternehmen zumutbar ist, sich mit den gesetzlichen Vorgaben für seinen Tätigkeitsbereich ausreichend auseinanderzusetzen und bei der Vertragsgestaltung mit Verbrauchern, insbesondere bei der Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Formblättern, mit der gebotenen Sorgfalt vorzugehen.

Ob und inwieweit eine gegen §6 Abs2 Z4 KSchG verstoßende Preiserhöhung, wie zB eine Wertsicherungsklausel, zur Gänze oder bloß teilweise unwirksam ist, haben bei Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung die Zivilgerichte zu entscheiden.

Keine Unverhältnismäßigkeit der durch §6 Abs2 Z4 KSchG angeordnete Rechtsfolgen:

Die Rechtsfolge der Nichtigkeit verfolgt das Ziel, Unternehmer von der Verwendung missbräuchlicher Klauseln abzuhalten. Wenn man mit dem OGH die angefochtene Bestimmung des §6 Abs2 Z4 KSchG so versteht, dass daraus zwingend die gänzliche Unwirksamkeit einer gegen die Gesetzesbestimmung verstoßenden vertraglichen Regelung folgt, belastet dies die angefochtene Bestimmung nicht mit Verfassungswidrigkeit. Selbst die Nichtigkeit der gesamten (Wertsicherungs-)Klausel erscheint verhältnismäßig; bei der bloßen Teilnichtigkeit des "überschießenden" Teiles der Vereinbarung (im Fall des §6 Abs2 Z4 KSchG ist das die Möglichkeit der Preisanpassung innerhalb der ersten beiden Monate) unter Erhaltung der Geltung des "unbedenklichen" Teiles, der auch ohne Aushandeln im Einzelnen wirksam sein kann, blieben die Interessen des Unternehmers trotz Vereinbarung einer missbräuchlichen Klausel (weitestgehend) gewahrt, sodass es keinen Anreiz für ihn gäbe, auf diese missbräuchliche Regelung von vornherein zu verzichten. Der Unternehmer könnte mit der Unkenntnis und Prozessscheu des Verbrauchers spekulieren, ohne auf die gesetzlich normierten und allgemein anerkannten Schranken Rücksicht zu nehmen. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit in §6 Abs2 Z4 KSchG verfolgt sohin das Ziel des Konsumentenschutzes, indem sie den Unternehmer von der Verwendung missbräuchlicher Klauseln abschreckt, und ist durch die – im Vergleich zum Unternehmer – schwächere Stellung des Verbrauchers bei den Vertragsverhandlungen gerechtfertigt.

Hinsichtlich der Entscheidungen des OGH (OGH 21.03.2023, 2 Ob 36/23t; 24.05.2023, 8 Ob 37/23h; 22.3.2024, 8 Ob 6/24a) ist darauf hinzuweisen, dass diese in Verbandsverfahren gemäß §28 KSchG ergingen. Die Beurteilung, ob eine Wertsicherungsklausel gegen §6 Abs2 Z4 KSchG verstößt, kann im Individualverfahren vom Ergebnis des Verbandsverfahrens abweichen, weil die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls zu beurteilen sind.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz hinsichtlich der gleichen Regelung von missbräuchlichen Klauseln für Ziel- und Dauerschuldverhältnisse:

In Bezug auf den angefochtenen §6 Abs2 Z4 KSchG ist für den VfGH nicht erkennbar, dass der Gleichheitsgrundsatz eine unterschiedliche Behandlung von Ziel- und Dauerschuldverhältnissen gebietet: §6 Abs2 Z4 KSchG verfolgt das Ziel, Verbraucher vor überraschenden und kurzfristigen Preiserhöhungen durch nicht im Einzelnen ausgehandelte (Wertsicherungs-)Klauseln zu schützen. Es ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er davon ausgeht, dass das Interesse des Verbraucherschutzes gleichermaßen bei einem Ziel- wie bei einem Dauerschuldverhältnis besteht und der Verbraucher sohin in beiden Konstellationen geschützt werden soll. Das grundsätzliche Interesse am Überraschungsschutz und der "Festpreisgarantie" des §6 Abs2 Z4 KSchG besteht also für Verbraucher bei Ziel- und Dauerschuldverhältnissen in gleicher Weise.

Dass bei Dauerschuldverhältnissen, wie dies auf dem Mietrechtsgesetz unterliegende Mietverhältnisse in besonderem Maße zutrifft, die Kündigungsmöglichkeiten in der Regel eingeschränkt sind bzw derartige Möglichkeiten überhaupt nicht bestehen und die Vertragsdauer bei Vertragsabschluss oft noch unklar ist, vermag an der Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Bestimmung nichts zu ändern. Es ist dem Unternehmer nach §6 Abs2 Z4 KSchG nicht verwehrt, eine Entgelterhöhung (zB Wertsicherung) wirksam zu vereinbaren; er muss dies aber (nur) im Einzelnen mit dem Verbraucher aushandeln.

Kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot durch § 879 Abs3 ABGB:

§879 Abs3 ABGB ist auf Grund der im ABGB enthaltenen Determinanten mit den herkömmlichen Interpretationsmethoden einer Auslegung zugänglich. Dies zeigt auch die reichhaltige Rsp des OGH. Der Gesetzgeber hat daher mit der angefochtenen Bestimmung in einer dem Bestimmtheitsgebot des Art18 Abs1 B‑VG entsprechenden Weise festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Nebenvereinbarung gröblich benachteiligend und in Folge nichtig ist. Aus den angeführten Gründen kann der VfGH nicht erkennen, dass §879 Abs3 ABGB wegen Unbestimmtheit gegen den Gleichheitsgrundsatz, das Eigentumsgrundrecht, das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit und das Legalitätsprinzip verstößt.