JudikaturVfGH

G210/2024 (G210/2024-7) – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Gewerberecht
18. Juni 2025
Leitsatz

Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch eine Wortfolge des GüterbeförderungsG 1995 betreffend die verpflichtende EWR-Angehörigkeit der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe oder geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Gesellschafter eines Kraftverkehrsunternehmens; keine sachliche Rechtfertigung des nicht für natürliche, sondern nur für juristische Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes geltenden EWR-Vorbehaltes

Aufhebung der Wortfolge "und die zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe oder geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Gesellschafter EWR-Angehörige sind" in §5 Abs7 Z2 GütbefG idF BGBl I 18/2022. Fristsetzung: Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 30.06.2026.

Die - unmittelbar anwendbare - Kraftverkehrs-BerufszugangsVO legt unionsweit einheitliche Regelungen für den Zugang zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers im Güter- und Personenkraftverkehr fest. Der österreichische Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung des GütbefG 1995 - soweit ihm durch die Kraftverkehrs-BerufszugangsVO ein unionsrechtlicher Spielraum eingeräumt wurde ("unvollständige" bzw "hinkende"; Zulässigkeit von "Durchführungsmaßnahmen") - an die Vorgaben des Verfassungsrechtes gebunden (Grundsatz der doppelten Bindung).

§5 Abs7 GütbefG 1995 sieht für die Erteilung einer Konzession für die gewerbsmäßige Güterbeförderung - ergänzend zur Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen für die Ausübung eines reglementierten Gewerbes nach der GewO 1994 sowie der (unionsrechtlichen) Anforderungen des Art3 iVm Kapitel II sowie Art4 Abs1 Kraftverkehrs-BerufszugangsVO (vgl §5 Abs1 und §5a Abs1 GütbefG 1995) - unterschiedliche Anforderungen für natürliche Personen und juristische Personen bzw Personengesellschaften vor:

Bei natürlichen Personen sind sowohl EWR-Angehörige als auch langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige iSd DaueraufenthaltsRL (Richtlinie 2003/109/EG idF 2011/51/EU) zur Ausübung des Güterbeförderungsgewerbes berechtigt. Zudem müssen sie als Unternehmer einen Sitz oder eine nicht nur vorübergehende geschäftliche Niederlassung in Österreich haben.

Juristische Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechtes erhalten demgegenüber nur dann eine Konzession zur Ausübung des Güterbeförderungsgewerbes, wenn alle der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe oder geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Gesellschafter EWR-Angehörige sind. Darüber hinaus müssen sie ebenfalls ihren Sitz oder eine nicht nur vorübergehende geschäftliche Niederlassung in Österreich haben.

Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Gesetzgeber bei natürlichen Personen als Einzelunternehmen die Ausübung des Güterbeförderungsgewerbes sowohl für EWR-Angehörige als auch für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zulässt, während er demgegenüber bei juristischen Personen und Personengesellschaften des Handelsrechtes weiterhin an einem EWR-Vorbehalt im Hinblick auf die nach außen vertretungsbefugten bzw geschäftsführungsbefugten Personen festhält. Nach der Rsp des VfGH sind unterschiedliche Regelungen für natürliche und juristische Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes zwar grundsätzlich zulässig. Der VfGH kann jedoch keine im öffentlichen Interesse gelegenen Ziele erkennen, welche die vom Gesetzgeber in §5 Abs7 GütbefG 1995 vorgenommene Differenzierung sachlich zu rechtfertigen vermögen. Das vom Gesetzgeber ursprünglich mit dem in §5 Abs4 GütbefG 1952 geregelten "Inländervorbehalt" verfolgte Ziel der "Vermeidung einer übermäßigen Etablierung ausländischer Kapitalträger im Straßenverkehrssektor" ist jedenfalls nicht geeignet, die in §5 Abs7 Z1 und 2 GütbefG 1995 festgelegten unterschiedlichen Anforderungen an natürliche Personen einerseits und juristische Personen und Personengesellschaften andererseits im Hinblick auf die Eigenschaft als EWR-Angehöriger bzw Daueraufenthaltsberechtigter sachlich zu begründen.

(Anlassfall E813/2024, E v 18.06.2025, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).