E1757/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Keine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm betreffend die Festsetzung der Abgabe für die Veräußerung von Strom aus bestimmten Quellen nach dem Energiekrisenbeitrag-StromG (EKBSG); kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch die – in Umsetzung einer EU-Notfallmaßnahmenverordnung ergangene – befristete Begrenzung von Markterlösen nach dem EKBSG sowie die rückwirkende Inkraftsetzung; verwaltungsökonomische Anknüpfung an Überschusserlöse und Höhe der Obergrenze angesichts der massiven Störung des Strommarktes im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; keine Unsachlichkeit der Festlegung des Kreises der Beitragsschuldner im Hinblick auf den Ausschluss von der Abgabepflicht von zB Stromhändlern und Fernwärmeversorgern
Abweisung einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts (BFG).
Allfällige Bedenken ob der Vereinbarkeit der Notfallmaßnahmen-VO mit primärrechtlichen Vorgaben sind hinsichtlich der Beitragspflicht für den zeitlichen Geltungsbereich von Art6—8 Notfallmaßnahmen-VO vom 01.12.2022 bis 30.06.2023 nicht entstanden. Der VfGH hegt auch keine Zweifel, dass sich die Regelungen des EKBSG innerhalb des den Mitgliedstaaten durch die Verordnung eröffneten Regelungsspielraumes bewegen. Innerhalb dieses Spielraumes hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung gemäß dem Grundsatz der doppelten Bindung neben den Vorgaben des Unionsrechtes auch die Vorgaben des Verfassungsrechtes und damit insbesondere des Gleichheitsgrundsatzes zu beachten. Vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens sind beim VfGH hinsichtlich des EKBSG keine Bedenken entstanden.
Sachlichkeit der vom Gesetzgeber getroffene Belastungsentscheidung durch die Beitragspflicht nach dem EKBSG während des Geltungszeitraumes von Art6—8 Notfallmaßnahmen-VO:
Die beschwerdeführende Partei, die sich gegen die Beitragspflicht während des Geltungszeitraumes von Art6—8 Notfallmaßnahmen-VO wendet, behauptet zunächst, dass die Abgabe deshalb sachlich nicht gerechtfertigt sei, weil sie die Zielsetzungen der Notfallmaßnahmen-VO nicht umsetze.
Der Gesetzgeber hat den Gleichheitsgrundsatz auch bei der Auswahl von Besteuerungsgegenständen und der Abgrenzung des Steuergegenstandes zu beachten. Dabei kann die sachliche Rechtfertigung in einer besonderen Leistungsfähigkeit, in Äquivalenzüberlegungen oder auch in einer nichtfiskalische Zielsetzungen verfolgenden Einnahmenerzielung bestehen. Entscheidet sich der Gesetzgeber, einen bestimmten Lebenssachverhalt mit einer Abgabe zu belasten, kann eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vorliegen, wenn im wesentlichen vergleichbare Sachverhalte unbelastet bleiben und hiefür keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen ist. Dabei hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund eines weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes ausgehend von der Belastungskonzeption der Abgabe auch die mit der Abgabe verfolgten öffentlichen Interessen zu berücksichtigen.
Vor dem Hintergrund der besonderen Situation einer massiven Störung des Strommarktes kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er zur Bewältigung der krisenbedingten Entwicklungen am Strommarkt für einen angemessenen, begrenzten Zeitraum eine Abgabe auf Überschusserlöse der Stromerzeuger vorsieht. In diesem Zusammenhang soll die Abgabe Mehrerlöse belasten, die – typisierend betrachtet – über einer an den begründeten Investitionserwartungen vor der Krise ausgerichteten Obergrenze liegen, ohne Erzeuger insbesondere erneuerbarer Energien daran zu hindern, aus den verbleibenden Erlösen ihre notwendigen Investitions- und Betriebskosten zu decken. Zugleich soll die Abgabe Mittel zur Finanzierung von Unterstützungsleistungen an Stromendkunden generieren und damit die Sicherung einer bezahlbaren Versorgung für ein existenzielles Verbrauchsgut gewährleisten.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Anwendung einer festgelegten Obergrenze bemessungsrechtlich einfach zu vollziehen ist und der Gesetzgeber die Abgabe nur für einen begrenzten Zeitraum vorgesehen hat. In dieser besonderen Konstellation kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit die Abgabe an sich eine dämpfende Wirkung auf die Strompreise der Endkunden hat, sondern es genügt, wenn die auf diese Art erhobenen Mittel im Ergebnis der Finanzierung von entlastenden Zuschüssen an Stromendkunden dienen.
Der sachlichen Rechtfertigung des EKB-S steht nicht entgegen, dass das EKBSG keine Vorschriften enthält, die die Verwendung des Abgabenertrages zur Unterstützung von Stromendkunden anordnen. Weder der Bundesverfassung noch der Notfallmaßnahmen-VO ist zu entnehmen, dass ein Abgabengesetz, mit dem die unionsrechtliche Verpflichtung zur Anwendung der Obergrenze umgesetzt wird, zugleich eine Zweckbindung der Abgabenerträge zur Unterstützung von Stromendkunden vorsehen muss.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass Österreich der Verpflichtung zur finanziellen Unterstützung von Stromendkunden nicht nachgekommen wäre, stehen den Einnahmen aus dem EKB-S und dem EKB-F im Jahr 2023 in Höhe von insgesamt € 255.000.000,– doch Entlastungen der Verbraucher im Rahmen des Stromkostenzuschussgesetzes in Höhe von ca. € 900.000.000,– gegenüber. Damit ist jedenfalls gesichert, dass im Ergebnis mehr an Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zur Entlastung an Verbraucher geflossen ist, als durch die Abgabe eingenommen worden ist. Dass das Stromkostenzuschussgesetz bereits vor Inkrafttreten des EKBSG beschlossen wurde, vermag die Einhaltung der Verpflichtung gemäß Art10 Abs1 Notfallmaßnahmen-VO nicht in Frage zu stellen (Zulässigkeit der Vorfinanzierung von Unterstützungsmaßnahmen für Stromendkunden).
Keine Unsachlichkeit der Abgabe mangels Vereinbarkeit mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und der – (laut Beschwerde gebotenen) – Belastung der erzielte Übergewinne anstelle der Belastung der Überschusserlöse:
Durch die Anwendung einer gesetzlich festgelegten Obergrenze soll unabhängig von den jeweiligen Produktionskosten der Zuwachs an Leistungsfähigkeit erfasst werden, der entsteht, wenn und insoweit der erzielte Verkaufserlös einen typisierend für reguläre Marktverhältnisse angenommenen Markterlös übersteigt.
In Anbetracht der Belastungskonzeption der Abgabe und der damit einhergehenden verwaltungsökonomischen Vereinfachungen hegt der VfGH auch mit Blick auf die zeitliche Begrenztheit der Regelung keine gleichheitsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber eine für alle Produktionstechnologien einheitliche Obergrenze vorgesehen und nicht nach den Kostenstrukturen der jeweiligen Technologien differenzierende Obergrenzen eingeführt hat.
Aus dem Umstand, dass der EKB-F auf Grundlage von Übergewinnen ermittelt wird, folgt auch nicht, dass die Bemessungsgrundlage des EKB-S gleichheitswidrig wäre. Abgesehen davon, dass diese Differenzierung bereits der Notfallmaßnahmen-VO zugrunde liegt, überschreitet der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht, wenn er für Zwecke der Bemessung der Abgabe für ein Produkt, das einem Mechanismus der einheitlichen Preisbildung ("Merit Order") unterliegt, auf eine leicht handhabbare Obergrenze abstellt.
Es bestehen auch keine gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen die Festlegung der Höhe der Obergrenze. Dass die in §3 Abs2 EKBSG festgelegte Obergrenze Stromproduzenten regelmäßig daran hinderte, ihre notwendigen Betriebs- und Investitionskosten einschließlich einer Marge aus den ihnen verbleibenden Erlösen zu decken, ist nicht zu erkennen. Da die Obergrenze insofern die Investitionserwartungen vor Eintritt der Krise berücksichtigt, erscheint es auch sachgerecht, dass sie durch Investitionen erhöht werden kann, die nach Beginn der Krise vorgenommen wurden. Im Übrigen wird in der Beschwerde auch nicht behauptet, dass die innerhalb des Rahmens der Notfallmaßnahmen-VO einheitlich festgelegte Obergrenze regelmäßig dazu geführt hätte, dass Investitionserwartungen der Beitragspflichtigen enttäuscht worden wären.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in §3 Abs3 EKBSG eine Anpassung der Obergrenze in Höhe der direkten Kosten der Energieerzeugung einschließlich eines Aufschlages iHv 20 % für jene Fälle vorsieht, in denen die gesetzlich festgelegte Obergrenze für die Deckung dieser Kosten nicht ausreicht. Vor diesem Hintergrund liegt es auch im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob er Stromerzeuger mit hohen Grenzkosten – wie etwa Steinkohlekraftwerke oder Pumpspeicherkraftwerke – in die Beitragspflicht einbezieht oder nicht.
Keine Unsachlichkeit des EKB-S, weil Stromhändler und andere Akteure am Energiemarkt, die in der Energiekrise ebenfalls von gestiegenen Strompreisen profitiert hätten (zB Fernwärmeversorger), nicht in die Abgabepflicht einbezogen würden:
Nach §1 Abs3 EKBSG unterliegt der Abgabe die Veräußerung von im Inland erzeugtem Strom durch den Stromerzeuger einschließlich der Realisierung von Veräußerungsrechten auf Strom. Beitragsschuldner ist der Betreiber einer Anlage zur Erzeugung von Strom gemäß §1 Abs3 EKBSG mit einer installierten Kapazität von mehr als 1 Megawatt sowie der Begünstigte eines Strombezugsrechtes aus einer solchen Erzeugungsanlage. Die Veräußerung von Strom durch Stromhändler unterliegt somit nicht der Abgabepflicht.
Abgesehen davon, dass sich das Geschäftsmodell der Stromhändler wesentlich von jenem der Stromproduzenten unterscheidet, kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er angesichts der kurzfristig notwendig gewordenen Umsetzung der Notfallmaßnahmen-VO im Rahmen einer zeitlich begrenzten, leicht handhabbaren Regelung Stromhändler und andere Energielieferanten (zB Fernwärmeversorger) nicht in die Abgabepflicht einbezieht.
Keine Unsachlichkeit der Regelungen des EKBSG betreffend die Behandlung verbundener Unternehmen:
§3 Abs4 EKBSG sieht vor, dass der Beitragsschuldner bei der Veräußerung von Strom an ein verbundenes Unternehmen als realisierte Markterlöse jene Beträge anzusetzen hat, die marktüblichen Konditionen mit fremden Dritten auf derselben Stufe der Lieferkette entsprechen.
Gemäß §4 Abs1 EKBSG kann dem Beitragsschuldner ein Absetzbetrag für begünstigte Investitionen eines verbundenen Unternehmens, das selbst nicht Beitragsschuldner ist, zugerechnet werden. Hieraus ergibt sich, dass Investitionen eines verbundenen Unternehmens dann nicht abgesetzt werden können, wenn dieses selbst Beitragsschuldner ist. Dies gilt auch insoweit, als sich auf Ebene des verbundenen Unternehmens auf Grund der Höhe der Investitionen ein Absetzbetrag ergäbe, der den Höchstbetrag von € 36,–/MWh übersteigt und dem Beitragsschuldner somit verloren geht.
Es ist nicht zu erkennen, dass der Gleichheitsgrundsatz gebieten würde, derart "überhängende" Absetzbeträge eines verbundenen Unternehmens, das Beitragsschuldner ist, einem anderen verbundenen Unternehmen, das den Absetzbetrag selbst nicht voll ausschöpfen kann, zuzurechnen. Der Gesetzgeber hat im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes in §3 Abs4 EKBSG von einer konsolidierten Betrachtung von Beitragsschuldnern im Konzern Abstand genommen. Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass er die gesonderte Betrachtung einzelner verbundener Unternehmen, die Beitragsschuldner sind, auch für Zwecke der Ermittlung des Absetzbetrages für begünstigte Investitionen – sei es, um Doppelerfassungen zu vermeiden, oder auch nur aus Gründen der Vereinfachung – aufrecht hält.
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch die rückwirkende Inkraftsetzung des EKBSG:
Wie die beschwerdeführende Partei zutreffend ausführt, wurde das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom am 29.12.2022 in BGBl I 220/2022 kundgemacht, ist gemäß §11 EKBSG idF BGBl I 220/2022 aber bereits am 01.12.2022 in Kraft getreten. Die beschwerdeführende Partei erachtet sich durch diese Rückwirkung in ihrem berechtigten Vertrauen auf die vom 01.12.2022 bis 29.12.2022 geltende Rechtslage verletzt und bringt vor, dass sie in diesem Zeitraum nicht mit einer Obergrenze für Markterlöse unterhalb des unionsrechtlich vorgesehenen Höchstausmaßes habe rechnen müssen.
Die Bundesverfassung verbietet dem Gesetzgeber nicht, Abgabenvorschriften mit rückwirkender Kraft auszustatten, soweit diese Rückwirkung mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist. Knüpft eine gesetzliche Vorschrift nachträglich an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen und wird dadurch die Rechtsposition der Steuerpflichtigen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtert, liegt ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor, wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und nicht besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen. Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Gesetzesänderungen sind die Gravität des Eingriffs sowie das Gewicht der für diesen Eingriff sprechenden Gründe maßgeblich.
Die Notfallmaßnahmen-VO (EU) 2022/1854 vom 06.10.2022 wurde am 07.10.2022 im Amtsblatt kundgemacht und sieht in §22 Abs2 litc vor, dass Art6, 7 und 8 am 01.12.2022 in Kraft treten. Der Nationalrat hat die zur Umsetzung erforderlichen Regelungen am 13.12.2022 beschlossen; der Beschluss des Bundesrates, keinen Einspruch zu erheben (Art42 Abs4 2. Fall B‑VG), erfolgte am 21.12.2022. Am 29.12.2022 wurde das EKBSG mit BGBl I 220/2022 kundgemacht. Anders als in dem dem Erkenntnis VfSlg 20.187/2017 zugrunde liegenden Fall lagen in Anbetracht der kurzen Frist für die unionsrechtlich gebotene Umsetzung, die der Gesetzgeber auch unverzüglich vorgenommen hat, somit besondere Umstände vor, die ein Inkrafttreten der nationalen Rechtslage gemäß §11 EKBSG idF BGBl I 220/2022 mit 01.12.2022 rechtfertigten.
Im Zusammenhang mit ihrer Beschwerdebehauptung, durch die denkunmögliche Anwendung des EKBSG durch das Bundesfinanzgericht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein, wiederholt die beschwerdeführende Partei ihre Bedenken gegen die Umsetzung der Notfallmaßnahmen-VO durch den Bundesgesetzgeber und bringt vor, dass §§1–3 EKBSG auf Grund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechtes gar nicht hätten angewendet werden dürfen.
Nach der Rsp des EuGH bewirkt der Vorrang des Unionsrechts, dass entgegenstehendes innerstaatliches Recht "ohne weiters unanwendbar wird". Der VfGH geht jedoch nicht davon aus, dass es sich bei den Bestimmungen des EKBSG um dem Unionsrecht entgegenstehendes nationales Recht handelt. Das angefochtene Erkenntnis beruht vielmehr auf Bestimmungen, die innerhalb des den Mitgliedstaaten durch die Notfallmaßnahmen-VO eingeräumten Umsetzungsspielraumes erlassen wurden. Daher ist weder die in der Beschwerde geltend gemachte denkunmögliche Missachtung des Anwendungsvorranges des Unionsrechtes ersichtlich, noch bestehen aus verfassungsrechtlicher Perspektive darüberhinausgehende Bedenken gegen die Gesetzesanwendung durch das BFG.