V72/2023 (V72/2023-12) – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Aufhebung eines Bebauungsplans und eines ergänzenden Bebauungsplans der Gemeinde Westerndorf mangels Festlegung von Straßen- und Baufluchtlinien für einen Servitutsweg; keine Differenzierung zwischen öffentlichen und – dem öffentlichen Verkehr dienenden – privaten Straßen durch das Tir StraßenG; Mindesterfordernisse des Tir RaumOG 2016 nicht erfüllt
Gesetzwidrigkeit des Bebauungsplans und des ergänzenden Bebauungsplans Schulgasse, Z031-3/9/2019, des Gemeinderats der Gemeinde Westendorf vom 22.10.2019.
Der Teil des Grundstückes Nr 46/2, KG Westendorf, auf dem im Bebauungsplan und ergänzenden Bebauungsplan der Servitutsweg ausgewiesen ist, ist im Flächenwidmungsplan der Gemeinde Westendorf, Z2‑420/10069, als Freiland iSd §41 TROG 2016 gewidmet. Aus dem Erläuterungsbericht und der raumordnungsfachlichen Begründung zur Erlassung des Bebauungsplanes Schulgasse vom 26.06.2019, sowie aus einem verkehrstechnischen Gutachten vom November 2018 ergibt sich, dass der Servitutsweg als Aufschließungsstraße für die Wohnsiedlung, in der auch das – aus der Teilung des Grundstückes Nr 46/2 hervorgegangene – Grundstück Nr 46/20 gelegen ist, dient. Ferner folgt aus diesen Unterlagen, dass der Servitutsweg in seiner derzeitigen Ausführung als "befahrbarer Wohnweg" für alle zu erwartenden Verkehrsbelastungen, inklusive der durch das geplante Bauvorhaben entstehenden, ausreichend dimensioniert ist und die erforderlichen Anforderungen hinsichtlich einer leistungsfähigen und verkehrssicherheitstechnisch ausreichenden Abwicklung des künftigen Verkehrs erfüllt.
Bei "dem Verkehr dienenden Flächen von Straßen" iSd §58 Abs1 TROG 2016 sowie bei "Straßen" iSd §59 Abs1 leg cit handelt es sich – wie auch die Legaldefinition des §2 Abs21 TBO 2018 erweist – um Straßen, die den straßenrechtlichen Vorschriften unterliegen, und sohin insbesondere (auch) um Straßen im Geltungsbereich des Tiroler Straßengesetzes. Da der Geltungsbereich des Tiroler Straßengesetzes nicht bloß öffentliche, sondern auch private Straßen erfasst, wenn diese dem öffentlichen Verkehr iSd §1 Abs1 StVO 1960 dienen, unterliegt der Servitutsweg, der der Aufschließung ua des Wohngebäudes auf dem Grundstück Nr 46/20, KG Westendorf, mit 21 Wohneinheiten dient, den straßenrechtlichen Vorschriften dieses Gesetzes. Er ist demnach eine Straße iSd §§58 und 59 TROG 2016.
Diesen Bestimmungen kann schon ihrem Wortlaut nach, aber auch im Hinblick auf ihren – im Zusammenhang mit den raumordnungsrechtlichen Zielen insbesondere gemäß §27 Abs2 lita, e und f TROG 2016 stehenden – Zweck keine Differenzierung zwischen öffentlichen und privaten Straßen bzw zwischen solchen Straßen, für die eine Widmung als Verkehrsfläche gemäß §53 Abs1 TROG 2016 erforderlich ist, und sonstigen Straßen entnommen werden.
Die servitutsrechtliche Grundlage für die Benützung des Weges ist für diese Beurteilung ohne Relevanz. Nach der Rsp des VwGH kommt es für die Benützung einer Straße von jedermann unter den gleichen Bedingungen iSd §1 Abs1 StVO 1960 nicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund an. Es reicht vielmehr bereits, dass eine Straße nicht abgeschrankt und daher frei zugänglich und befahrbar ist, woran selbst eine Beschilderung als "Privatstraße" nichts ändert. Für die Qualifikation als Straße mit öffentlichem Verkehr iSd §1 Abs1 StVO 1960 sind auch weder ein Widmungsakt noch ein langer Gemeingebrauch entscheidend; entscheidend ist vielmehr, dass die Straße nach dem äußeren Anschein zur allgemeinen Benützung freisteht. Dass dies nicht der Fall sei, wurde im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht vorgebracht. Für das Vorliegen einer privaten Straße iSd Tiroler Straßengesetzes auch nicht erforderlich, dass diese dem Gemeingebrauch gewidmet ist.
(Anlassfall E77/2022, E v 14.12.2023; Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).