JudikaturVfGH

E77/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2023

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Tirol ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.640,80 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerdeführer sind Allein- bzw Miteigentümer der Grundstücke Nr 46/10, 46/17, 46/9 und 42/3, alle KG Westendorf, und Nachbarn des zu bebauenden Grundstückes Nr 46/20, KG Westendorf, in 6363 Westendorf.

2. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Westendorf vom 23. August 2021 wurde der beteiligten Partei die Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage, bestehend aus drei Baukörpern mit insgesamt 21 Wohnungen, 23 Tiefgaragenstellplätzen und fünf oberirdischen Abstellplätzen auf dem Grundstück Nr 46/20, KG Westendorf, erteilt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Tirol mit Erkenntnis vom 30. November 2021 als unbegründet ab.

2.1. Begründend führt das Landesverwaltungsgericht Tirol aus, dass mit dem Vorhaben keine unzumutbaren, weit über das zulässige Widmungsmaß hinausgehenden Emissionsbeeinträchtigungen einhergehen würden. Gemäß §38 Abs1 lita TROG 2016 sei die (verpflichtende) Errichtung der im Rahmen des vorliegenden Projektes geplanten 28 Abstellmöglichkeiten für Kraftfahrzeuge ohne Einholung eines immissionstechnischen und medizinischen Gutachtens zulässig. Die Immissionen eines verpflichtend zu errichtenden Kinderspielplatzes seien von den Nachbarn als "üblich" hinzunehmen, sofern nicht besondere Umstände das Gegenteil vermuten ließen. Ebenso sei die seit 22. März 1982 in Kraft stehende Garagen- und Stellplatzverordnung der Gemeinde Westendorf nicht gesetzwidrig. Eine Verletzung der Bestimmungen über den Brandschutz zulasten der Beschwerdeführer liege nicht vor.

2.2. Der Bebauungsplan enthalte sowohl eine Straßenfluchtlinie als auch eine Baufluchtlinie und entspreche daher den Mindestanforderungen des §56 Abs1 TROG 2016. Auch die gegen den Flächenwidmungsplan erklärten Bedenken seien nicht nachvollziehbar, zumal dieser den Bauplatz lediglich als Wohngebiet nach §38 Abs1 TROG 2016 inmitten eines knapp 30.000 m² großen, ebenfalls als Wohngebiet (teilweise nach §38 Abs2 TROG 2016) gewidmeten Bereiches südlich der Schulgasse ausweise.

2.3. Weder die teilweise vorab vorbereitete Niederschrift über die Bauverhandlung der Baubehörde vom 8. April 2021 noch der Umstand, dass einer Vertagungsbitte nicht entsprochen worden sei, würden einen Verfahrensmangel darstellen. Die Beiziehung eines nichtamtlichen Sachverständigen stelle keine Rechtsverletzung dar, zumal gemäß dem Schreiben des Landesamtsdirektors von Tirol keine hochbautechnischen Amtssachverständigen zur Verfügung gestanden seien.

2.4. Eine mündliche Verhandlung habe unterbleiben können, weil bereits auf Grundlage der Akten ersichtlich gewesen sei, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht habe erwarten lasse. Es seien bloß Rechtsfragen zu erörtern und keine zusätzlichen Sachverhaltsermittlungen erforderlich gewesen.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren sowie in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Konkret machen die Beschwerdeführer die Gesetzwidrigkeit des Bebauungsplanes und ergänzenden Bebauungsplanes Schulgasse, Z 031 3/9/2019, beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde Westendorf am 22. Oktober 2019, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde Westendorf vom 23. Dezember 2019 bis 8. Jänner 2020, geltend.

4. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 Z2 B VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Bebauungsplanes und ergänzende Bebauungsplanes Schulgasse, Z 031 3/9/2019, beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde Westendorf am 22. Oktober 2019, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde Westendorf vom 23. Dezember 2019 bis 8. Jänner 2020, ein. Mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2023, V72/2023, hob er den angeführten Bebauungsplan und ergänzenden Bebauungsplan Schulgasse, Z 031 3/9/2019, als gesetzwidrig auf.

5. Die Beschwerde ist begründet.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Die Beschwerdeführer wurden also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 654,–, Umsatzsteuer in der Höhe von € 566,80 sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten. Die als "ERV Gebühr" geltend gemachten Kosten in der Höhe von € 4,10 sind schon deshalb nicht zuzusprechen, weil diese bereits mit dem Pauschalsatz abgegolten sind (vgl zB VfGH 13.12.2017, E3939/2017).

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