JudikaturVfGH

V77/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
05. Oktober 2016

Abweisung des - zulässigen - Antrags des Bundesverwaltungsgerichtes auf Aufhebung der Verordnungsbestimmung "Arzneimittelkategorie 11, (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch)" in der Anlage gemäß §1 Abs2 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß §351c Abs2 ASVG.

Die in Rede stehende "Liste jener Arzneimittelkategorien, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des §133 Abs2 ASVG geeignet sind" ist vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger als Körperschaft öffentlichen Rechts, sohin von einem Verwaltungsorgan zu erlassen, das - wie §31 ASVG zeigt - ua auch mit der Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben betraut ist. Darüber hinaus hat die Liste durch ihre Veröffentlichung in der amtlichen Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet auch ein solches Maß an Publizität erlangt, dass sie damit in die Rechtsordnung Eingang gefunden hat.

Die Vorschriften enthalten auch normative Festlegungen: Durch die in Prüfung gezogene Anordnung wird der Entscheidungsspielraum der Behörde bei einem auf §351c Abs1 ASVG gestützten Antrag insoweit erheblich eingeschränkt, als die unter die Kategorie 11 der Liste fallenden Arzneimittel "im Allgemeinen" nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des §133 Abs2 ASVG geeignet sind und daher nicht in den Erstattungskodex aufgenommen werden dürfen. Indem die in Prüfung gezogenen Bestimmungen eine Erstattungsfähigkeit auf Kosten der Sozialversicherung, wie sie sich aus der Aufnahme in den Erstattungskodex ergeben würde, von vornherein verbindlich verneinen und Ausnahmen davon nur in einem sehr eingeschränkten Ausmaß (vgl §20 Abs4 VO-EKO) zulassen, sich aber auch die zulässige Verfahrensdauer vor der Behörde in Abhängigkeit von der Einstufung in diese Kategorie verändert (vgl §351c Abs1 dritter Satz ASVG und §20 Abs3 VO-EKO), wird in Wahrheit durch die Aufnahme einer bestimmten Gattung von Arzneimitteln in die Verordnung insoweit eine "neue Gestaltung der Rechtslage" vorgenommen.

Die Vorschriften sind daher als Verordnung einer Prüfung nach Art139 B-VG zugänglich.

Soweit das antragstellende Gericht beantragt, die Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß §351c Abs2 ASVG aufzuheben, weil der "kategorische Ausschluss" von Arzneimitteln zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch, ohne eine Differenzierung zwischen dem noch nicht schädigenden Tabakkonsum einerseits und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit andererseits vorzunehmen, mit den Anforderungen des §351c Abs2 ASVG an eine solche Liste nicht vereinbar sei, so werden Bedenken gegen die Übereinstimmung der Verordnung mit ihrer gesetzlichen Grundlage erhoben. Diese Bedenken treffen aber nicht zu, denn Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch sind jedenfalls "im Allgemeinen" nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des §133 Abs2 ASVG geeignet.

Eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn liegt dann vor, wenn das Krankenversicherungsrecht eine entsprechende Leistung zur Behebung dieses Zustandes vorsieht und der Zustand unter Bedachtnahme auf die Ziele der Krankenbehandlung und im Hinblick auf ihre Notwendigkeit nach einem sozialen Konsens auch behandelt werden soll.

Maßnahmen wie die Regulierung des Körpergewichts, die Verbesserung des Haarwuchses, aber auch die Raucherentwöhnung werden dem Bereich der Eigenverantwortung der sozialversicherten Personen und nicht der Verantwortung der Versichertengemeinschaft zugerechnet.

Die Zugehörigkeit eines Arzneimittels zu einer nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorie steht jedoch der Abgabe eines in eine solche Kategorie fallenden Arzneimittels auf Kosten des Krankenversicherungsträgers in jenen Fällen nicht entgegen, in denen (ausnahmsweise) die Voraussetzungen der §§120 und 133 ASVG vorliegen. Denn diese Liste von Kategorien hat keine weiterreichende Wirkung als der Erstattungskodex (bzw die Nichtaufnahme in diesen) selbst: Sie enthält bloß die Vermutung, dass die darin genannten Kategorien von Arzneimitteln zur Krankenbehandlung nicht geeignet sind; diese Vermutung ist im Einzelfall widerlegbar, worüber im Streitfall die ordentlichen Gerichte als Arbeits- und Sozialgerichte im krankenversicherungsrechtlichen Leistungsstreitverfahren zu entscheiden haben. Erreicht also die Nikotingewöhnung in einem Einzelfall einen solchen Schweregrad, dass das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung iSd § 120 iVm §133 Abs2 ASVG erwiesen ist, so kann das Arzneimittel (gegebenenfalls mit chef- bzw kontrollärztlicher Bewilligung, vgl §31 Abs3 Z12 ASVG) auf Kosten des Krankenversicherungsträgers abgegeben werden.

Vereinbarkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmungen mit Unionsrecht (Art7 Abs1 Z1 der Transparenz-RL 89/105/EWG; Gebot einer objektiven und überprüfbaren Begründung) vom vorlegenden Gericht im Rahmen seiner Sachentscheidung selbst zu beurteilen.

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