JudikaturOLG Wien

6R283/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Wirtschaftsrecht
06. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Wieser und Mag. Kulka in der Rechtssache der Antragstellerin Österreichische Gesundheitskasse , 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, gegen die Antragsgegnerin A* KG , FN **, **, vertreten durch Dr. Wolfgang Langeder, Rechtsanwalt in Wien, wegen Insolvenzeröffnung, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 28.7.2025, **-6, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Am 16.6.2025 beantragte die Österreichische Gesundheitskasse ( ÖGK bzw. Antragstellerin ) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A* KG ( Antragsgegnerin), FN **, mit dem Vorbringen, diese schulde laut Rückstandsausweis vom selben Tag offene und fällige Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 7.042,97 s.A. für den Zeitraum von September 2024 bis April 2025. Hinzu käme laut Aufstellung vom 16.6.2025 eine weitere Forderung von EUR 3.383,42. Die Beitragsschuld sei trotz mehrmaliger Mahnung und trotz des beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu ** geführten Exekutionsverfahrens weiterhin zur Gänze ausständig. Die Zahlungsunfähigkeit iSd § 66 IO werde mit dem Zeitraum der rückständigen Beiträge glaubhaft gemacht.

Die Antragsgegnerin ist seit 7.12.2017 zu FN ** im Firmenbuch eingetragen, ihr Geschäftszweig ist das Taxi-Gewerbe. Unbeschränkt haftender Gesellschafter ist B* C*, geboren am **, Kommanditist mit einer Haftsumme von EUR 1.000,-- ist D* C*, geboren am **.

Das Erstgericht erhob ein Vorverfahren zu ** des Handelsgerichtes Wien. Diesem lag ebenfalls ein Insolvenzantrag der ÖGK zugrunde. Der Antrag wurde mit Beschluss des Erstgerichtes vom 6.5.2024 nach Zahlung bzw. Regelung aller aktenkundigen Forderungen mangels Zahlungsunfähigkeit abgewiesen.

Registerabfragen des Erstgerichtes im Grundbuch sowie wegen offenkundiger Zahlungsunfähigkeit verliefen negativ.

Die Abfrage im Verfahrensregister ergab neben der von der Antragstellerin genannten Exekution weitere drei aktuelle Exekutionsverfahren gegen die Antragsgegnerin aus dem Jahr 2024, betreibende Gläubiger waren das E*, die F* AG und die G*.

Die Abfrage im Pfändungsregister wies die Verfahren ** und ** je des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien aus. Den Vollzugsberichten zu diesen Verfahren ist zu entnehmen, dass Vollzugsversuche am 1.7.2024, am 18.11.2024 und am 25.11.2025 jeweils mangels pfändbarer Gegenstände ergebnislos verliefen. Am 1.7.2024 und am 25.2.2025 wurden vom Geschäftsführer der Antragsgegnerin Vermögensverzeichnisse abgelegt und diese vor dem Gerichtsvollzieher unterfertigt.

Mit Beschluss vom 17.6.2025 gab das Erstgericht bekannt, das Insolvenzeröffnungsverfahren werde ohne Verhandlung durchgeführt, rechtliches Gehör werde schriftlich gewährt. Es forderte die Antragsgegnerin zur Vorlage des ausgefüllten und unterfertigten Vermögensverzeichnisses sowie zum Erlag eines Kostenvorschusses von EUR 4.000,-- bis 27.7.2025 auf. Sollte die Zahlungsunfähigkeit bestritten werden, seien Belege über die Vollzahlung oder Ratenvereinbarungen samt einem Nachweis der Zahlung der ersten Rate hinsichtlich des Finanzamtes, der ÖGK, der SVS sowie der Exekution führenden Gläubiger vorzulegen.

Eine Reaktion erfolgte darauf nicht.

Über Ersuchen des Erstgerichtes gab das Finanzamt einen ungeregelten, bereits in Exekution gezogenen Rückstand der Antragsgegnerin in Höhe von EUR 2.142,33 bekannt (ON 4). Die Antragstellerin teilte mit Eingabe vom 30.6.2025 mit, dass nach der Antragstellung keine Zahlungen der Antragsgegnerin eingelangt seien, ein Kostenvorschuss werde nicht erlegt (ON 5).

Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Erstgericht die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin fest und sprach aus, das Insolvenzverfahren werde mangels kostendeckenden Vermögens nicht eröffnet. Es wies den Insolvenzeröffnungsantrag daher ab. Begründend führte es aus, die Forderung der Antragstellerin sei durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis vom 16.6.2025 mit dem Betrag von EUR 7.042,97 s.A. glaubhaft gemacht worden. Die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin ergebe sich aus dem Zurückreichen der Beitragsrückstände bis September 2024. Die Antragsgegnerin habe bereits vor dem gegenständlichen Antrag in einem Exekutionsverfahren bei Gericht ein Vermögensverzeichnis abgegeben. Es habe bisher nicht festgestellt werden können, dass die Antragsgegnerin über Vermögen verfüge, welches zumindest ausreiche, um die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei daher abzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, diesen aufzuheben und nach Erlag eines Kostenvorschusses durch sie im Sinne des Antrags der ÖGK den Konkurs zu eröffnen.

Eine Rekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt .

1.Die Rekurswerberin macht geltend, dass sie erst durch die öffentliche Bekanntmachung des angefochtenen Beschlusses von dem gegen sie anhängigen Insolvenzeröffnungsverfahren erfahren habe. Der Beschluss des Erstgerichtes vom 17.6.2025 sei gemäß dem im Akt erliegenden Zustellnachweis am 20.6.2025 elektronisch hinterlegt worden, die erste elektronische Verständigung sei am 18.6.2025 und die zweite Verständigung am 20.6.2025 erfolgt. Der vertretungsbefugte Geschäftsführer der Schuldnerin B* C* habe davon jedoch keine Kenntnis erlangt, weil sein Mobiltelefon defekt gewesen sei und darauf auch die für den Einstieg auf anderen Geräten erforderlichen Passwörter gespeichert seien. Damit sei der Tatbestand des § 35 Abs 7 Z 1 ZustG erfüllt und der Zustellvorgang als nicht rechtswirksam anzusehen. Hätte die Antragsgegnerin rechtzeitig vom Verfahren erfahren, hätte sie den aufgetragenen Kostenvorschuss von EUR 4.000,-- erlegt. Sie bestreite die Zahlungsunfähigkeit nicht, entgegen der Annahme des Erstgerichtes sei jedoch kostendeckendes Vermögen für die Konkurseröffnung vorhanden.

2. Ob die Zustellung, wie von der Rekurswerberin geltend gemacht wird, nicht rechtswirksam war und ob dieser Umstand einen Verfahrensmangel begründet, kann hier dahinstehen, weil der angefochtene Beschluss bereits aus anderen Gründen aufzuheben ist.

3.Jede Abweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags mangels kostendeckenden Vermögens setzt voraus, dass die Eröffnungsvoraussetzungen des § 70 IO bescheinigt sind.

4.Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn einSchuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich die dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald beschaffen kann (RS0064528).

5. Die Antragstellerin hat durch die Vorlage des vollstreckbaren Rückstandsausweises sowohl den Bestand ihrer Forderung als auch auf Grund der Dauer des Rückstandes die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin ausreichend bescheinigt. Die Nichtzahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen um Betriebsführungskosten handelt. Sie werden von den zuständigen Behörden und Institutionen bekanntlich so rasch in Exekution gezogen, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftigem wirtschaftlichem Vorgehen verbietet und im Allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 66 KO Rz 69; Mohr, IO 11 § 70 E 70, E 74).

Das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit wird von der Rekurswerberin auch nicht in Zweifel gezogen.

6.1.Die weitere Konkursvoraussetzung des § 71 IO, das Vorhandensein von kostendeckendem Vermögen, ist von Amts wegen zu prüfen. Solches liegt nach § 71 Abs 2 IO vor, wenn das Vermögen des Schuldners zumindest ausreicht, um die im Gerichtshofverfahren üblicherweise mit EUR 4.000,-- veranschlagten Anlaufkosten des Verfahrens bis zur Berichtstagsatzung zu decken. Dieses Vermögen muss weder sofort noch ohne Aufwand verwertbar sein; dabei sind auch Anfechtungsansprüche zu berücksichtigen.

6.2.Eine wesentliche Grundlage für die Erhebungen zum kostendeckenden Vermögen bildet das vom Schuldner zu unterfertigende Vermögensverzeichnis, zu dessen Vorlage er nach den §§ 71 Abs 4, 100, 100a und 101 IO vom Gericht anzuhalten ist.

6.3.Vor Fassung des angefochtenen Beschlusses wurde ein Vermögensverzeichnis der Antragsgegnerin nicht eingeholt. Angesichts der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Sanktionsmöglichkeiten (§§ 100, 101 IO) kann zur Erfüllung der amtswegigen Erhebungspflicht mit der Übermittlung des Formulars an die Antragsgegnerin samt der Aufforderung, dieses binnen fünf Wochen ausgefüllt vorzulegen, nicht das Auslangen gefunden werden.Das Erstgericht wäre daher nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates befugt und verpflichtet gewesen, nach einmaligem Nichterscheinen der Antragsgegnerin bzw. einer für sie vertretungsbefugten Person trotz ordnungsgemäßer Ladung zu einer Einvernahmetagsatzung deren zwangsweise Vorführung anzuordnen (§ 101 IO; OLG Wien 6 R 331/24a uva; vgl Mohr, IO 11 § 71 E 48 ff).

6.4.Das Unterbleiben der Ladung sowie eines allfälligen Vorführversuchs begründen einen Verfahrensmangel, der, weil er gegen zwingende Verfahrensvorschriften der IO verstößt, auch ohne Geltendmachung im Rekurs von Amts wegen wahrgenommen werden muss ( Mohr, IO 11 § 71 E 75).

7. In Stattgebung des Rekurses war der angefochtene Beschluss daher aufzuheben. Das Erstgericht wird das Insolvenzeröffnungsverfahren fortzusetzen und das Vorliegen von kostendeckendem Vermögen neuerlich zu prüfen haben. Im Zweifel wird von dessen Vorliegen auszugehen und der Konkurs unverzüglich zu eröffnen sein.