32Bs165/25m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A*wegen § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG über die Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit sowie des Ausspruchs über die Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 4. April 2025, GZ **19.4, durch die Richterin Dr. Vetter als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Marchart und Dr. Bahr als weitere Senatsmitglieder gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO nichtöffentlich zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen Schuld wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem verurteilenden Teil aufgehoben und diesbezüglich die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen .
Mit seiner Berufung wegen Nichtigkeit und Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Text
Mit dem angefochtenen – auch in Rechtskraft erwachsene „Freisprüche“ (mit Blick auf die angenommene tatbestandlichen Handlungseinheit hätte es nicht des Freispruchs von einzelnen Akten bedurft; vgl RIS-Justiz RS0115553 [insb T14]) sowie ein unbekämpft gebliebenes Absehen vom Verfall enthaltenden - Urteil wurde A* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG schuldig erkannt und hiefür nach dem Strafsatz des § 28a Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe von zwölf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* in ** und anderen Orten im Bundesgebiet vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge, und zwar insgesamt zumindest 493 Gramm Cannabisblüten mit einem Wirkstoffgehalt von zumindest 12,63% THCA und 0,96% Delta 9 THC sowie zumindest fünf Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von zumindest 78,88% Cocain nachgenannten Abnehmern überlassen, und zwar
I./ im Zeitraum von zumindest Oktober 2020 bis Oktober 2024 der B* insgesamt zumindest 25 Gramm Cannabisblüten zum Grammpreis von sechs Euro bzw im Gegenzug gegen materielle Gegenleistungen wie zB Zigaretten;
II./ zumindest die letzten drei Jahre bis Oktober 2024 der C* in wöchentlichen Übergaben von jeweils drei Gramm insgesamt mindestens 468 Gramm Cannabisblüten zum Grammpreis von zehn Euro sowie zumindest fünf Gramm Kokain zum kostenlosen Konsum.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht augehend von einem Strafrahmen von einem bis zu fünf Jahren (richtig: bis zu fünf Jahren) Freiheitsstrafe den langen Deliktszeitraum von vier Jahren als erschwerend, als mildernd hingegen den ordentlichen Lebenswandel.
Gegen dieses Urteil richtet sich die unmittelbar nach Urteilsverkündung angemeldete (ON 19.3 S 13) Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld und Strafe, die in weiterer Folge in diesem Umfang fristgerecht zur Ausführung gelangte (ON 22).
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung wegen Schuld ist vorauszuschicken, dass die sogenannte freie Beweiswürdigung als kritisch–psychologischer Vorgang begriffen wird, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind (RIS-Justiz RS0098390). Demnach prüft das Gericht die im Verfahren vorgekommenen Beweismittel in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit (und Beweiskraft) und kommt aufgrund des Ergebnisses dieses Vorgangs zur Überzeugung vom Vorliegen oder Nicht vorliegen – entscheidender – Tatsachen, die es im Urteil feststellt (Lendl, WK-StPO § 258 Rz 25). Die Beweismittel sind dabei nicht nur einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit, auch in ihrem inneren Zusammenhang zu prüfen. Ihre Bewertung hat unter Beachtung der Gesetze folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungswissens zu erfolgen, wobei nicht nur logisch zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse das Gericht zu Tatsachenfeststellungen berechtigt (Lendl, WK-StPO § 258 Rz 26). Bei Würdigung von Angaben von Personen, die das Gericht selbst vernommen hat, ist auch der persönliche Eindruck des erkennenden Richters entscheidend, der sich nicht immer erschöpfend in Worte kleiden lässt und darum im Urteil auch nicht in allen Einzelheiten dargelegt und wiedergegeben werden muss (Lendl,WK-StPO § 258 Rz 27; RIS-Justiz RS0098413). Dass die vom Gericht aus den Verfahrensergebnissen gezogenen Schlussfolgerungen denkgesetzlich die einzig möglichen sind, wird vom Gesetz nicht gefordert, sie dürfen nur den Denkgesetzen nicht widersprechen ( Mayerhofer, StPO 6 § 258 E 38, 39).
Auch unter Heranziehung dieser Prämissen gelingt es dem Angeklagten mit seinem Rechtsmittel, erhebliche Bedenken an der erstrichterlichen Würdigung der Beweise zu wecken.
Das Erstgericht stützt sich in seiner Beweiswürdigung vorwiegend auf die belastenden Aussagen der Zeuginnen B* und C* in der Hauptverhandlung (US 5).
Wie vom Berufungswerber aufgezeigt, widerspricht sich die Zeugin B* insofern, als sie bei der Befragung durch die Polizei angab, dass „A*“ (Anm: Spitzname des Angeklagten, vgl ON 2.10 S 5) regelmäßig von „D*“ (Anm: Spitzname des D*, vgl ON 2.10 S 4) Kokain gekauft habe. Dies wisse sie, weil die beiden über ihr „Business“ gesprochen bzw verhandelt hätten und sie auch einmal bei einer solchen Übergabe dabei gewesen sei (ON 2.10 S 5). In der Hauptverhandlung bestätigte sie dies zunächst (ON 19.3 S 9 f), verneinte dann aber über Befragen des Verteidigers die Übergabe von Kokain beobachtet zu haben; sie habe nur (und zwar von C* [gemeint wohl: C*]) gehört, dass auch mit Kokain gehandelt worden sei (ON 19.3 S 11). Wenngleich zu Spruchpunkt I./ nur das Überlassen von Cannabisblüten abgeurteilt wurde (und sich auch der Strafantrag darauf beschränkte), hat sich das Erstgericht mit dieser erheblichen Abweichung in den Angaben der Zeugin nicht auseinandergesetzt, sondern deren Depositionen zur Menge des ihr überlassenen Suchtgifts – ohne jegliche weitere Begründung - Glaubwürdigkeit attestiert (US 5).
Die Feststellungen zu II./, wonach der Angeklagte C* zumindest von Anfang Oktober 2021 bis Oktober 2024 wöchentlich drei Gramm Cannabisblüten verkauft habe (US 3), gründete das Erstgericht auf deren Angaben in der Hauptverhandlung, die als schlüssig und vom persönlichen Eindruck als glaubwürdig eingestuft wurden (US 5). In Ansehung des Umstands, dass die Zeugin vom Angeklagten grundsätzlich Marihuanablüten bezogen und Kokain geschenkt bekommen hat, vermag dies noch nachvollziehbar sein. Allerdings bleibt die Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung, wonach sie den Angeklagten teilweise einen Monat nicht gesehen habe (ON 19.3 S 5), unerörtert, obwohl diese mit den Urteilsannahmen, dass sie im Tatzeitraum wöchentlich vom Angeklagten drei Gramm Marihuanablüten gekauft habe, nicht in Einklang gebracht werden kann. Darüber hinaus bleibt auch unbeachtet, dass sie in der Hauptverhandlung am 4. April 2025 auch angab (ON 19.3 S 5), „das letzte Jahr“ keinen Kontakt mehr mit dem Angeklagten gehabt zu haben, obwohl damit – unabhängig davon, ob damit die letzten zwölf Monate oder das Kalenderjahr 2024 gemeint ist – eine Einschränkung des Tatzeitraums einhergehen würde. In diesem Zusammenhang bleibt zudem auch unerörtert, dass auch der Angeklagte in der Hauptverhandlung angab (ON 19.3 S 8) im letzten Jahr nur kurz, „ein paar Monate“, mit C* Kontakt gehabt zu haben. Letztlich wird auch die Aussage der Zeugin C* „viele Sachen vergessen“ zu haben und es „nicht mehr so genau“ zu wissen (ON 19.3 S 5), nicht in die Erwägungen des Erstgerichts miteinbezogen, obwohl die Erfüllung des Tatbestands des § 28a Abs 1 fünfter SMG bei Annahme eines kürzeren Tatzeitraums oder längerer Verkaufsintervalle mit Blick auf die Grenzmenge des § 28b SMG in Frage steht.
Da somit bereits vor Durchführung der öffentlichen Verhandlung über die Berufung feststeht, dass das angefochtene Urteil in seinem verurteilenden Teil zu kassieren und die Verhandlung in erster Instanz unter zusätzlicher Aufnahme von Beweisen zu wiederholen ist, war nach §§ 489 Abs 1, 470 Z 3 StPO vorzugehen.
Im erneuerten Rechtsgang wird das Erstgericht nämlich nicht nur die Zeuginnen C* und B* neuerlich zu vernehmen und dabei mit den Ungereimtheiten in ihren Aussagen zu konfrontieren, sondern die Zeugin C* etwa auch zur Aussage der Zeugin B*, wonach sie von ihr gehört habe, dass auch mit Kokain gehandelt worden sei (ON 19.3 S 11), zu befragen haben. Weiters wird zur Wahrheitsforschung etwa auch der Zeuge D* zu befragen sein, zumal dieser nicht nur zum Inhalt der Telefonüberwachung unmittelbare Wahrnehmungen gemacht hat (vgl nur ON 19.3 S 8 f), sondern etwa auch zur Aufklärung der Behauptung der Zeugin B* (in ihrer Einvernahme vor der Polizei), wonach der Angeklagte von ihm Kokain und Cannabis gekauft habe, um dies selbst weiterzugeben, beitragen kann.