32Bs104/25s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und die fachkundige Laienrichterin Hofrätin Mag. Killinger, BA MA als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des A* über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 13. Februar 2025, GZ *4, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und in der Sache selbst erkannt :
A* wurde in den Kalenderwochen 38 und 39 des Jahres 2024 in seinem subjektivöffentlichen Recht auf Bezug von Bedarfsgegenständen (§ 34 Abs 1 und Abs 2 StVG) verletzt.
Text
Begründung
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht eine Beschwerde des A* vom 31. Oktober 2024 (ON 1.7 S 1 ff) gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters vom 28. Oktober 2024 (ON 1.5 S 4) als unzulässig zurück.
Das Erstgericht ging wortwörtlich von folgendem Sachverhalt aus:
A* verbüßt derzeit eine zeitliche Freiheitsstrafe in der Justizanstalt * mit errechnetem Strafende am 2. Juni 2026.
Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist die an den Anstaltsleiter der Justizanstalt * gerichtete Eingabe Nr. 6 vom 23. September 2024 (Einlaufdatum 26. September 2024) und gleichlautend Nr. 9 vom 27. September 2024, (Einlaufdatum unbekannt).
Darin kritisierte A*, dass er in der Kalenderwoche 38/39 nicht am Einkauf (ZNG) habe teilnehmen können.
Die anstaltsinternen Erhebungen ergaben, dass A* in der Justizanstalt * (Kalenderwoche 38) aufgrund des Transportes am Donnerstag nicht am Einkauf habe teilnehmen können, weil die Waren erst am Donnerstag zugestellt werden. In der Kalenderwoche 39 war er in der Justizanstalt * aufgrund einer Belagsverweigerung über das Wochenende in der besonders gesicherten Zelle und wurde am Montag in einen anderen Trakt verlegt wodurch er bei der Erstellung der Vorführlisten für die Trakte schlicht und ergreifend übersehen wurde.
Am 28. Oktober 2024 (siehe dazu ON 1.5, Seite 4) wurde A* kundgemacht, dass der Einkauf nachgeholt werden könne, ein Ansuchen um Aufstockung des Betrages für den Einkauf sei jedoch für den Informationsfluss notwendig. Soweit die Beschwerde nicht namentlich genannte Justizwachebeamte betrifft wurde diese zur Verbesserung zurückgestellt.
Inhaltlich wurde der Beschwerde durch die Mitteilung, der Einkauf könne nachgeholt werden teilweise stattgegeben, worunter nichts anderes zu verstehen ist, als dass der Anstaltsleiter im eigenen Wirkungsbereich Abhilfe geschaffen hat.
Gegen diese Kundmachung richtet sich die Beschwerde des A* vom 31. Oktober 2024 (ON 1.7), darin führt er auf das Wesentliche reduziert aus, ein nicht näher genannter Justizwachbeamte habe ihm betreffend die Einkaufsmöglichkeit mitgeteilt, der Einkauf sei für diese Woche vorbei und ein Bezug nicht mehr möglich.
Rechtlich erwog das Erstgericht zusammengefasst, dass sich die Beschwerde bereits deswegen als unzulässig erweise, weil A* das Verhalten eines namentlich nicht genannten Justizwachebeamten kritisiere und damit kein dem Anstaltsleiter zurechenbares Verhalten aufzeige. Im Übrigen habe der Anstaltsleiter mit der Verkündung, dass der Bezug von Bedarfsgütern nachgeholt werden könne, wenn ein entsprechendes Ansuchen gestellt werde, im eigenen Wirkungsbereich Abhilfe geschaffen. Soweit der Anstaltsleiter die der Beschwerde zugrundeliegende Eingabe Nr 6, teils zur Verbesserung betreffend namentlich nicht genannter Justizwachebeamten zurückgewiesen habe, stehe A* kein Beschwerderecht zu, da ein Verbesserungsauftrag als nicht selbstständig anfechtbare Verfahrensanordnung zu qualifizieren sei.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A*.
Er habe beim Anstaltsleiter die Feststellung, im subjektiv öffentlichen Recht auf wöchentlichen Bezug von Bedarfsgegenständen (§ 34 Abs 1 und 2 StVG) verletzt worden zu sein, moniert. Der Anstaltsleiter habe am 28. Oktober 2024 seine Entscheidung verkündet. Ein Bescheid sei nicht ausgestellt worden, jedoch eine schriftliche Entscheidung, in der nicht bestritten werde, dass er im Recht auf Bezug von Bedarfsgegenständen verletzt worden sei. Im Übrigen solle er dem Anstaltsleiter den Namen des Justizwachebeamten mitteilen, der in den Kalenderwochen 38 und 39/2024 für den Bezug von Bedarfsgegenständen zuständig gewesen sei. Diese Information könne der Anstaltsleiter dem Dienstplan entnehmen.
Die Entscheidung des Anstaltsleiters sei floskelhaft und unsubstanziert. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes seien Strafgefangene berechtigt, einmal in der Woche auf eigene Kosten Gegenstände des täglichen Bedarfs zu beziehen. Würde dieses subjektive Recht in einer Kalenderwoche nicht gewahrt, so sei es verletzt. Die Rechtsverletzung habe stattgefunden und könne im Nachhinein nicht mehr saniert werden. Es nütze nichts, Wochen später eine größere Menge zu beziehen. Weiters sei auch ein zweites subjektives Recht verletzt worden, nämlich jenes nach § 34 Abs 2 StVG. Demnach sei jedem Strafgefangenen nach einer Vollzugsortsänderung alsbald ein Erstbezug solcher Bedarfsgegenstände in angemessenem Umfang auch unter Verwendung seines Eigengeldes zu ermöglichen. Alsbald bedeute beim nächstmöglichen Bezug von Bedarfsgegenständen und nicht Wochen später. Der Anstaltsleiter sei verpflichtet, die Feststellung der Rechtsverletzung zu treffen.
Es liege gegenständlich – entgegen der Ansicht des Vollzugsgerichts – auch keine Beschwerde gegen ein Verhalten des Anstaltsleiters vor, sondern eine Beschwerde wegen dem Verhalten von Justizwachebeamten nach § 120 Abs 1, 121 ff StVG und sei die diesbezügliche Beschwerde am 27. November 2024 ordnungsgemäß beim Anstaltsleiter eingebracht worden. Gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters sei dann nach § 16 Abs 3 Z 1 StVG beim Erstgericht Beschwerde erhoben worden. Diese sei zulässig, weil das Gesetz unrichtig angewendet worden sei und ein Verstoß gegen die höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Das Oberlandesgericht Wien möge daher der Beschwerde Folge geben, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit aufheben und in der Sache selbst entscheiden (ON 5).
Rechtliche Beurteilung
Nach § 16a Abs 1 Z 1 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat (Abs 2).
Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.
Gemäß § 16 Abs 3 StVG entscheidet das Vollzugsgericht über Beschwerden (1.) gegen eine Entscheidung oder Anordnung des Anstaltsleiters, (2.) wegen Verletzung eines subjektiven Rechts durch ein Verhalten des Anstaltsleiters und (3.) wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Anstaltsleiter.
Unter Entscheidungen sind inhaltliche Erledigungen von Ansuchen oder Beschwerden sowie Ordnungsstraferkenntnisse zu verstehen. Unter einer Anordnung ist die Geltendmachung der Befehlsgewalt durch den Anstaltsleiter gegenüber einem Strafgefangenen im Sinne des § 26 Abs 1 StVG zu verstehen ( Pieber in WK 2StVG § 16 Rz 11/3). Unter Verhalten sind alle Handlungen, Duldungen und Unterlassungen zu verstehen, die keine Entscheidungen oder Anordnungen sind ( Pieber in WK 2StVG § 16 Rz 11/6).
Das Erstgericht ging einerseits davon aus, dass sich die Beschwerde des A* vom 31. Oktober 2024 (ON 1.7) gegen die Kundmachung vom 28. Oktober 2024 richte (BS 2). Andererseits wurde ausgeführt, dass die Beschwerde bereits deswegen unzulässig sei, weil A* das Verhalten eines Justizwachebeamten kritisiere, und damit kein dem Anstaltsleiter zuzurechnendes Verhalten aufzeige (BS 3).
Wie von A* zutreffend moniert und oben ausgeführt sind unter Entscheidungen inhaltliche Erledigungen von Ansuchen oder Beschwerden sowie Ordnungsstraferkenntnisse zu verstehen. Entscheidungen sind immer dem Anstaltsleiter als Vollzugsbehörde zuzurechnen ( Drexler/Weger, StVG 5 § 120 Rz 4). Indem der Anstaltsleiter am 28. Oktober 2024 über die Eingabe vom 27. September 2024 (ON 1.7 S 11 ff) absprach (vgl zur Begründung ON 1.5 S 4 f, Entscheidung über Eingabe 6 im Zusammenhang mit Eingabe 9; mit Eingabe Nr. 6 wurde im Übrigen ausdrücklich keine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte geltend gemacht [ON 1.7, S 7 ff]), wurde über die Beschwerde des A*, der das Verhalten der Justizwachebeamten, die in der Kalenderwoche 38 und 39/2024 für den Bezug von Bedarfsgegenständen verantwortlich waren, kritisiert hatte, abgesprochen.
Wie von A* zutreffend angemerkt, richtete sich seine Beschwerde auch keineswegs - wie vom Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung ausgeführt - gegen ein Verhalten des Anstaltsleiters, sondern gegen dessen Entscheidung vom 28. Oktober 2024.
Soweit sich das Beschwerdevorbringen auf die Entscheidung des Anstaltsleiters bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass Bezugspunkt der nunmehrigen Beschwerde nur die Entscheidung des Vollzugsgerichts sein kann (vgl § 16a Abs 1 Z 1 StVG; OLG Wien AZ 132 Bs 413/19h, AZ 32 Bs 164/21h, AZ 32 Bs 37/22h, AZ 32 Bs 280/22v, AZ 32 Bs 72/24h uva), nicht aber eine Entscheidung des Anstaltsleiters.
Darüber hinaus führt der Beschwerdeführer aber zutreffend aus, dass nach § 34 Abs 1 StVG alle Insassen der Justizanstalten das subjektiv-öffentliche Recht haben, einmal in der Woche aus den Mitteln des Hausgeldes die in Abs 1 leg cit bezeichneten Gegenstände zu erwerben. Der Ausdruck „einmal in der Woche“ bezieht sich dabei im Übrigen auf die Kalenderwoche und nicht auf den zeitlichen Abstand (7 Tage) zwischen den Einkaufsterminen ( Drexler/Weger, StVG 5§ 34 Rz 1). Nach § 34 Abs 2 erster Satz StVG ist jedem Strafgefangenen nach der Aufnahme oder einer Strafvollzugsortsänderung alsbald ein Erstbezug solcher Bedarfsgegenstände in angemessenem Umfang, auch unter Verwendung seines Eigengeldes, zu ermöglichen.
Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Erstgerichts wurde A*, der am Donnerstag der Kalenderwoche 38 von der Justizanstalt * in die Justizanstalt * überstellt worden war, in den Kalenderwochen 38 und 39 des Jahres 2024 kein Bezug von Bedarfsgegenständen ermöglicht.
Ausgehend von diesen Feststellungen wurde A* tatsächlich in seinem subjektiv-öffentlichen Recht nach § 34 Abs 1 und Abs 2 StVG verletzt.
Das hilfsweise vom Erstgericht verwendete Argument, wonach der Anstaltsleiter durch die Kundmachung, wonach der Einkauf nachgeholt werden könne, im eigenen Wirkungsbereich Abhilfe geschaffen habe, vermag daran nichts zu ändern. Das StVG lässt zwar offen, in welcher Zeitspanne der Anstaltsleiter befugt ist, Abhilfe zu schaffen ( Zagler, Strafvollzugsrecht 2S 67; OLG Wien, AZ 132 Bs 85/18x). Dem StVG lässt sich aber auch nicht entnehmen, dass das letztliche Abstellen eines monierten - subjektiv-öffentliche Rechte verletzenden - Zustandes in Form der Abhilfe durch den Anstaltsleiter für den Zeitraum bisAbhilfe geschaffen wird, die Verletzung eines subjektiv-öffentliches Recht ausschließen würde (OLG Wien, AZ 132 Bs 85/18x). Dies zumal die – Wochen später - eingeräumte Möglichkeit, den versäumten Bezug der Bedarfsgegenstände für die genannten Kalenderwochen nachzuholen, nicht ungeschehen machen kann, dass die in § 34 Abs 1 StVG angeführten Nahrungs- und Genußmittel sowie Körperpflegemittel in den Kalenderwochen 38 und 39 des Jahres 2024 nicht bezogen und damit auch nicht konsumiert/verbraucht werden konnten.
Sohin war die Entscheidung des Vollzugsgerichts wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben und die aus dem Spruch ersichtliche Rechtsverletzung festzustellen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.