JudikaturOLG Wien

32Bs37/22h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2022

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberst Turner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des T***** J****** wegen Nichtgewährung eines Strafvollzugs in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH) über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 10. Dezember 2021, GZ *****, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit dem bekämpften Beschluss gab das Vollzugsgericht einer Beschwerde des T***** J***** gegen den Bescheid des Leiters der Justizanstalt ***** vom 22. Oktober 2021, *****, mit welchem sein Antrag auf Vollzug des mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 13. Oktober 2020 zu AZ ***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3, Abs 4 zweiter Fall StGB über ihn verhängten unbedingten Teils der Freiheitsstrafe von ***** Monaten im eüH zurückgewiesen worden war, nicht Folge.

Begründend führte das Vollzugsgericht zusammengefasst aus, dass der Verurteilte am 30. August 2021 den Vollzug der über ihn verhängten Freiheitsstrafe in Form des eüH beantragt und dabei vorgebracht habe, über eine geeignete Wohnmöglichkeit zu verfügen und ab Mitte September 2021 einer Beschäftigung als Werkstatthelfer mit einer 40 Stunden Wochenarbeitszeit und einem monatlichen Einkommen von ***** Euro nachzugehen. Entsprechende Bestätigungen seien seinem Antrag nicht angeschlossen gewesen. Er habe aber ausgeführt, diese nachzureichen. Ein Verbesserungsauftrag zur Nachreichung von Bestätigungen sei ihm am 8. September 2021 zugestellt worden. Sodann habe er mehrmals am letzten Tag der Frist um Fristerstreckung ersucht, welche letztlich bis 20. Oktober 2021 gewährt worden sei. Er sei weder zum Tatzeitpunkt, zum Urteilszeitpunkt erster und zweiter Instanz, zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrags auf Gewährung des Vollzuges der über ihn verhängten Freiheitsstrafe in Form des eüH noch zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde vom 4. November 2021 einer Beschäftigung nachgegangen. Mangels Vorliegens einer Beschäftigung und des Fehlens eines Einkommens sowie eines Kranken- und Unfallversicherungsschutzes habe der Anstaltsleiter den Antrag mit Bescheid vom 22. Oktober 2021 unter Verweis auf das Fehlen von zwingend vorzulegenden Unterlagen gemäß § 13 Abs 3 AVG zurückgewiesen.

In seiner gegen diese Entscheidung eingebrachten Beschwerde habe der Verurteilte im Wesentlichen vorgebracht, dass die Behörde eine angemessene Frist für die Mängelbehebung zu setzen habe und der Verwaltungsgerichtshof eine achtwöchige Frist für die bloße Vorlage von Unterlagen als jedenfalls ausreichend angesehen habe. Im vorliegenden Fall handle es sich nicht um ein Formgebrechen, sondern lägen Umstände vor, die nicht seiner Sphäre zuzuordnen seien. Die Firma ***** habe ihm einen Praktikumsplatz per 18. Oktober 2021 zugesichert. Bei Entsprechen hätte es eines weiteren Zeitraums bedurft, um eine Entscheidung über eine fixe Arbeitsplatzzusage geben zu können.

Fallkonkret sei zu berücksichtigen, dass der Verurteilte bei Antragstellung am 30. August 2021 das Vorliegen einer Beschäftigung ab Mitte September 2021 angeführt habe; einer solchen sei er jedoch zu keinem Zeitpunkt nachgegangen. Auch habe er die entsprechenden Bestätigungen – trotz zuvor erfolgter Zusage – nicht vorgelegt. Ihm seien insgesamt mehrwöchige Fristen zur Vorlage einer Beschäftigungsbestätigung gewährt worden. Er gehe aktuell seit längerer Zeit keiner Beschäftigung nach, die für den Vollzug des eüH geeignet wäre. Die Gewährung von Fristverlängerungen, um erst eine für den eüH geeignete Beschäftigung zu finden, sei gesetzlich nicht vorgesehen und widerspreche völlig den Zwecken der §§ 156b ff StVG sowie des § 397 StPO, wonach jedes Strafurteil ungesäumt in Vollzug zu setzen sei, sobald feststehe, dass der Vollstreckung kein Hindernis und insbesondere kein rechtzeitig und von einem hierzu Berechtigten ergriffenes Rechtsmittel entgegenstehe, dem das Gesetz aufschiebende Wirkung beimesse. Das zu vollstreckende Urteil sei am 17. März 2021 in Rechtskraft erwachsen. Der Verurteilte – der bereits vor der Pandemie ohne Beschäftigung gewesen sei – habe bislang keine Bestätigung über eine Beschäftigung vorlegen können, was eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährung seines Antrags darstelle. Er wäre bereits ungeachtet der Covid-19-Pandemie bei Einbringung des Antrags zur Vorlage einer entsprechenden Bestätigung angehalten gewesen, jedoch sei er dieser Verpflichtung - trotz deren Kenntnis - bislang nicht nachgekommen. Er habe den gegenständlichen Antrag gestellt, obwohl er gewusst habe, dass er keiner Beschäftigung nachgehe, weshalb die Voraussetzungen des § 156c StVG nicht erfüllt seien.

Ein Verbesserungsverfahren nach § 13 Abs 3 AVG diene der Behebung von Mängeln des Anbringens und nicht der Verschaffung von Zeiträumen, um die für den Antrag notwendigen Voraussetzungen erst herzustellen und damit die Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen zu verzögern. Die Anwendbarkeit des § 13 Abs 3 AVG sei ausgeschlossen, wenn die Partei den Mangel bewusst herbeigeführt habe, indem sie durch Einbringung eines rechtsmissbräuchlich mangelhaft gestalteten Anbringens über den Umweg eines Verbesserungsverfahrens die Verlängerung einer Frist zur erlangen versuche.

Zufolge Fehlens auch nur einer geforderten Voraussetzungen nach § 156c Abs 1 StVG, sei der Beschwerde nicht Folge zu geben gewesen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des T***** J***** (ON 10), der moniert, dass es das Vollzugsgericht unterlassen habe, die schwierige – durch die Pandemie bedingte – Arbeitslage und Gesamtsituation zu berücksichtigen. Es sei bereits in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid darauf hingewiesen worden, dass ihm ein Praktikumsplatz zugesagt worden sei, wobei sich die Entscheidung über die fixe Arbeitsplatzzusage jedoch pandemiebedingt verzögert habe. Aus diesem Grund sei mit Schreiben vom 20. Oktober 2021 neuerlich um Fristerstreckung ersucht worden. Die schwierige Situation, die seit März 2020 am Arbeitsmarkt vorherrsche, sei bei der Ermessensentscheidung des Vollzugsgerichts nicht berücksichtigt worden, weshalb der Ermessensspielraum überschritten worden sei. Denn die pandemiebedingte Situation am Arbeitsmarkt habe für den bereits seit einiger Zeit beschäftigungslosen Beschwerdeführer gerade keine Berücksichtigung gefunden und würde ihm das Vollzugsgericht ohne Beachtung der Gesamtsituation (wie sich aus der Seite 5 des angefochtenen Beschlusses ergebe) zum Vorwurf machen, bereits seit längerer Zeit beschäftigungslos zu sein.

Im vorliegenden Fall fehle eine einheitliche Rechtsprechung, ob die schwierige pandemiebedingte Lage am Arbeitsmarkt in die Ermessensentscheidung einzufließen habe.

Gleiches gelte für die Frist zur Gewährung eines Verbesserungsauftrages, welche immer anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen sei. Die Vollzugsbehörde habe keine angemessene Frist für die Mängelbehebung eingeräumt. Der Verwaltungsgerichtshof habe eine achtwöchige Frist für die bloße Vorlage von Unterlagen jedenfalls als ausreichend angesehen. Das Vollzugsgericht gehe rechtsunrichtig davon aus, dass der Beschwerdeführer den Mangel bewusst herbeigeführt und das Anbringen mangelhaft gestaltet habe, um solcherart eine Verlängerung der Frist zu erreichen. Diese Ausführungen würden ebenso eine Rechtswidrigkeit begründen, weil das Ermessen in missbräuchlicher Weise zu seinen Lasten ausgeübt worden sei, indem ihm unterstellt werde, den Mangel in der Erbringung des Beschäftigungsnachweises bewusst herbeigeführt zu haben. Hierbei übersehe das Vollzugsgericht zudem, dass er sich wohl kaum selbst schaden wolle, weshalb die Entscheidung auch in diesem Punkt rechtswidrig sei.

Der Beschwerde kommt im Ergebnis keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 16a Abs 1 Z 1 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat (Abs 2). Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Wie das Vollzugsgericht zutreffend ausführt, ist wesentliches Element des elektronisch überwachten Hausarrests gemäß § 156c Abs 1 Z 2 lit b StVG das Ausüben einer geeigneten Beschäftigung (vgl ON 8 S 4). Den Feststellungen des Vollzugsgerichts, wonach der Verurteilte weder zum Tatzeitpunkt noch zum Urteilszeitpunkt erster und zweiter Instanz, zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrags auf Gewährung des Vollzugs der über ihn verhängten Freiheitsstrafe in Form des eüH noch zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters einer Beschäftigung nachgegangen sei (ON 8 S 3), begegnen vorliegend keine Bedenken. Denn aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer weder in seinem ursprünglichen Antrag auf Bewilligung des eüH vom 30. August 2021 (Beilagen ./1 und ./2 zu ON 1) noch nach schriftlicher Aufforderung zur Vorlage entsprechender Nachweise und zweimaliger gewährter Fristerstreckung für die Vervollständigung des Antrags zur Vorweisung einer geeigneten Beschäftigung bis 6. Oktober 2021 (Beilage ./11 zu ON 1) und 20. Oktober 2021 (Beilage ./12 zu ON 1) einen entsprechenden Beschäftigungsnachweis beibrachte, konnte das Vollzugsgericht nachvollziehbar auf das Fehlen einer gemäß § 156c Abs 1 Z 2 lit b StVG für die Bewilligung des eüH notwendigen Beschäftigung schließen (vgl ON 8 S 5 f und Oberlandesgericht Wien zu AZ 32 Bs 308/20h, 132 Bs 251/19k, wonach die Voraussetzungen des § 156c Abs 1 StVG bereits zum Zeitpunkt der Bewilligung des eüH kumulativ vorliegen müssen).

Mit Blick auf die vom Beschwerdeführer im Übrigen unbestritten gebliebenen weiteren Feststellungen des Vollzugsgerichts, wonach er bereits vor der Corona-Pandemie arbeitslos gewesen sei und dies auch bis zum Zeitpunkt des bekämpften Beschlusses war (ON 8 S 5), vermögen seine Ausführungen, die aufgrund der Corona-Pandemie bestehende schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt sei nicht entsprechend berücksichtigt worden, Mängel in der angefochtenen Entscheidung ebensowenig aufzuzeigen.

Die auf das Fehlen der Voraussetzung des § 156c Abs 1 Z 2 lit b StVG gestützte Entscheidung des Vollzugsgerichts ist daher nicht zu beanstanden, führt doch das Fehlen auch nur einer der geforderten Voraussetzungen zur Ablehnung des Antrags auf Bewilligung des eüH ( Drexler/Weger , StVG 5 § 156d Rz 5).

Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der sich auf § 13 Abs 3 AVG stützende erstinstanzliche Bescheid des Anstaltsleiters (der jedoch nicht den Bezugspunkt der vorliegenden Beschwerdeentscheidung des Vollzugssenats darstellt) nicht der Rechtslage entspricht. Denn in Ermangelung einer gesetzlichen Bestimmung, welche die Folgen unzureichend vorgelegter Unterlagen bei einem Antrag auf eüH regelt, kann die zur Entscheidung berufene Behörde, so sie infolge Fehlens von Urkunden der Auffassung ist, nicht in der Sache selbst entscheiden zu können, den Beschwerdeführer – ohne die an § 13 Abs 3 AVG geknüpften Konsequenzen der Zurückweisung des Antrags – im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zur Stellungnahme bzw Urkundenvorlage auffordern (vgl VwGH vom 23. Februar 2011 zu 2008/11/003 und im Ergebnis auch gleichlautend Drexler/Weger, StVG 5 § 156d Rz 7/1, die sich ebenso auf die Möglichkeit der Erteilung eines lediglich ganz allgemein gehaltenen Verbesserungsauftrages [nach § 13 Abs 3 AVG] beziehen, mit der Konsequenz, den Antrag widrigenfalls ab- und nicht zurückzuweisen). Unterlässt die Partei die gehörige Mitwirkung an der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, obwohl ihr dazu im Rahmen der Gewährung des Parteiengehörs Gelegenheit gegeben wurde und sie erforderlichenfalls über die Folgen ihrer Unterlassung gemäß § 13a AVG belehrt wurde, so kann ihr das – wie das Vollzugsgericht zutreffend ausführt (ON 8 S 5) - insofern zum Nachteil gereichen, als die Behörde befugt ist, daraus gemäß § 45 Abs 2 AVG im Rahmen der Beweiswürdigung auch für die Partei negative Schlüsse zu ziehen. Dies gilt etwa auch für die unterlassene Beibringung von Unterlagen, derer die Behörde zwar bedarf und die sie sich nicht selbst beschaffen kann, deren Anschluss an ein Anbringen das Gesetz aber nicht vorschreibt, sodass ihr Fehlen keinen gemäß § 13 Abs 3 AVG sanktionierbaren Mangel bedeutet ( Hengstschläger/Leeb, aaO Rz 16 mwN). Im vorliegenden Fall hätte die Vollzugsbehörde erster Instanz seine (zurückweisende) Entscheidung mangels Vorlage der geforderten Nachweise nach Einleitung eines Verbesserungsverfahrens (ON 10) nicht auf § 13 Abs 3 AVG stützen dürfen, sondern wäre es angehalten gewesen, sich - im Sinne obiger Ausführungen – inhaltlich mit dem Antragsbegehren auseinanderzusetzen.

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