18Bs145/25t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache des Privatanklägers Ing. A* gegen den Angeklagten B*wegen § 113 StGB über die Berufung des Privatanklägers wegen Nichtigkeit und Schuld gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Dezember 2024, GZ ** 7.2, nach der am 24. Juli 2025 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Frohner, im Beisein der Richterinnen Mag. Heindl und Mag. Lehr als weitere Senatsmitglieder, in Abwesenheit des Privatanklägers jedoch in Gegenwart seines Vertreters Mag. Roman Sackmaier sowie in Anwesenheit des Angeklagten B* und seines Verteidigers Mag. Harald Günther durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG hat der Privatankläger auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen, jedoch gemäß § 393 Abs 4a StPO lediglich die im Rechtsmittelverfahren angefallenen Kosten der Verteidigung des Angeklagten.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte B* von dem wider ihn mit Privatanklage vom 1. Oktober 2024 erhobenen Vorwurf, er habe am 4. September 2024 unter einem Facebook Beitrag der „C*“ folgende Kommentare veröffentlicht, und zwar
a./ „ Ein mehrfach Verurteilter Straftäter bekommt hier und in der D* eine Bühne, irgendwie schwer zu verstehen “ mit drei Übelkeit-Emojis und
b./ „ Wie kann ein wiederholt verurteilter Straftäter (A*) hier und bei der D* eine solche Bühne bekommen “ mit drei vor-Angst-schreienden-Emojis und „ für mich absolut unverständlich “ mit einem Übelkeit-Emoji,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen sowie der Privatankläger gemäß § 390 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verpflichtet, wobei das dem Privatankläger in casu zustehende Kostenprivileg nach § 393a Abs 4a StPO nicht berücksichtigt wurde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig mit umfassendem Anfechtungsziel angemeldete (ON 7.1, 12) und fristgerecht ausgeführte Berufung des Privatanklägers wegen Nichtigkeit und Schuld (ON 8), mit der eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Vergehens des Vorwurfs einer schon abgetanen gerichtlichen strafbaren Handlung nach § 113 StGB angestrebt wird.
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Voranzustellen ist:
Das Vergehen nach § 113 StGB hat zu verantworten, wer einem anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eine strafbare Handlung vorwirft, für die die Strafe schon vollzogen oder wenn auch nur bedingt nachgesehen oder nachgelassen oder für die der Ausspruch der Strafe vorläufig aufgeschoben worden ist. Der Tatbestand setzt den Vorwurf einer (ohne Konkretisierung des zugrunde liegenden strafbaren Verhaltens, siehe OGH 14 Os 26/91) gerichtlich strafbaren Handlungen voraus und ist daher nicht bereits bei einer bloßen Erwähnung, sondern erst bei einem tadelnden Vorhalt derselben verwirklicht (RISJustiz RS0130182; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB 4 § 113 Rz 7; aM Rami , WK 2StGB § 113 Rz 4). Zudem ist eine Interessenabwägung nach Art 10 EMRK vorzunehmen (RISJustiz RS0114460). Nach dieser Bestimmung darf das Recht der freien Meinungsäußerung nur jenen Einschränkungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufs oder der Rechte anderer unentbehrlich sind. Die Freiheit der Meinungsäußerung beinhaltet keineswegs bloß das Recht, Nachrichten und Informationen zu verbreiten, sondern vielmehr auch das Recht der Beurteilung und Wertung eines Sachverhalts. Solche Kritik darf wegen der für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlichen Erfordernisse des Widerstreits pluralistischer Auffassungen und Ideen auch provozieren, schockieren und stören. Das Recht auf Kritik ist im Übrigen nicht an einen besonderen Sachverstand in Bezug auf das kritisierte Verhalten geknüpft, sondern steht als Grundrecht jedermann zu. Im Zuge der bei § 113 StGB vorzunehmenden Interessenabwägung sind insbesondere die Gewichtigkeit des Themas (leistet die Veröffentlichung einen Beitrag zu einer Diskussion über eine Frage von allgemeinen Interesse), die Stellung, der Bekanntheitsgrad und das (Vor)Verhalten des Betroffenen in der Öffentlichkeit sowie ein möglicherweise durch ihn herbeigeführter „Anlassfall“, der den Bericht mehr oder weniger „provoziert“ hat, zu berücksichtigen (vgl 6 Ob 109/00y = MR 2001, 26 ff; EGMR 7.2.2012, 39954/08, Axel Springer AG/Deutschland = NL 2012 , 42) .
Bei der Behandlung der Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe ist eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis 10a des § 281 Abs 1 (§ 468 Abs 1 Z 4) StPO vorzuziehen, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nachzureihen ( Ratz , WKStPO § 476 Rz 9).
Mit seiner Schuldberufung rügt der Privatankläger die Feststellungen des Erstgerichts zum Sinngehalt der inkriminierten Kommentare und bringt dazu vor, das Erstgericht habe bei der Auslotung des Bedeutungsinhalts die jeweils beigesetzten Bildzeichen (Emojis) und sohin den Gesamtzusammenhang der inkriminierten Äußerung außer Acht gelassen, indem es sich auf eine Interpretation der bloßen Wortäußerungen beschränkte. Unter Berücksichtigung der beigesetzten Emojis („Übelkeitsemoji“ „zum Kotzen“ sowie “Angstemoji“ „vor Angst schreiend“), hätte die Erstrichterin den Bedeutungsinhalt dahingehend festlegen müssen, dass der Privatangeklagte es für empörend („zum Kotzen“) halte bzw bezüglich des zweiten Kommentars als erschreckend („vor-Angst-schreiend“) empfinde, dass dem Privatankläger trotz mehrfacher strafrechtlicher Verurteilungen weiterhin mediale und parteipolitische Aufmerksamkeit zuteil wird. Rechtlich hätte das Erstgericht sodann daraus folgern müssen, das der Angeklagte durch die Kommentare die Grenze einer sachlichen Auseinandersetzung überschritten habe, zumal diese keine Debatte eröffnet hätten, die von öffentlichem Interesse sei, sondern vielmehr darauf abgezielt hätten, den Privatankläger in der öffentlichen Wahrnehmung herabzusetzen. In den inkriminierten Kommentaren sei dem Privatankläger schlichtweg das Recht abgesprochen worden, weiterhin in der Öffentlichkeit aufzutreten und sich zu politischen Themen zu äußern.
Diese Berufungsargumentation vermochte keine Zweifel an den vom Erstgericht aufgrund überzeugend dargelegter Würdigung der Beweise mängelfrei getroffenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt zu wecken. Die Erstrichterin hat nicht nur im Tenor und auf US 5 die inkriminierten Kommentare unter Berücksichtigung der dabei verwendeten Emojis dargestellt, sondern diese auch bei der Interpretation des Aussagegehalts berücksichtigt, indem sie in ihrer Beweiswürdigung explizit auf die in der Privatanklage (ON 2/AS 3) und in der Beilage ./37 dargestellten Veröffentlichungen Bezug nahm. Darin sind aber die Kommentare in ihrer Gesamtheit unter Darstellung auch der Emojis abgebildet. Bei der Feststellung des Bedeutungsinhalts wurden daher die beigesetzten Bildzeichen auch wenn sie in der Feststellung des Bedeutungsinhalts nicht explizit angeführt sind berücksichtigt. Die Berufung wegen Schuld ist daher als unbegründet zu verwerfen.
Mit der Berufung wegen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO kritisiert der Berufungswerber die Auffassung des Erstgerichts, dass der objektive Tatbestand des § 113 StGB bereits deshalb nicht erfüllt sei, weil der Angeklagte zwar auf die strafgerichtliche Verurteilung, nicht jedoch auf die zugrunde liegende Tat Bezug genommen habe.
Wie bereits oben ausgeführt wird der Tatbestand des § 113 StGB nicht bereits bei einer bloßen Erwähnung, sondern erst bei einem tadelnden Vorhalt der Verurteilung verwirklicht (RISJustiz RS0130182). Im vorliegenden Fall wurden die Verurteilungen des Privatanklägers lediglich erwähnt, indem er in beiden inkriminierten Kommentaren als „verurteilter Straftäter“ bezeichnet wurde. Nähere Details zu den Verurteilungen werden nicht genannt, sodass - wie die Erstrichterin zutreffend konstatierte – der Leser den Beiträgen lediglich entnehmen konnte, dass der Privatankläger bereits wiederholt strafrechtlich verurteilt worden ist. Nach dem vom Erstgericht festgestellten Bedeutungsinhalt wurden überdies die strafgerichtlichen Verurteilungen dem Privatankläger nicht abschätzig oder tadelnd vorgehalten, sondern diese lediglich erwähnt und der Leser damit an die Verurteilungen des Privatanklägers erinnert, während sich der Tadel explizit gegen die D* und den Fernsehsender E* richtet, die dem Privatankläger - ungeachtet seiner Verurteilungen durch die Strafgerichte - weiterhin Gelegenheit bieten, prominent öffentlich aufzutreten und zu (politschen) Themen medial Stellung zu nehmen. Die Berufungsausführungen, wonach der Privatankläger in den inkriminierten Kommentaren erneut mit seinen lang zurückliegenden strafgerichtlichen Verurteilungen abschätzig und tadelnd konfrontiert worden sei, entfernen sich von den diesbezüglichen Feststellungen des Erstgerichts weshalb die Rechtsrüge in diesem Punkt nicht prozessordnungskonform ausgeführt wurde.
Zutreffend leitete das Erstgericht daraus ab, das bereits der objektive Tatbestand des § 113 StGB in casu nicht verwirklicht wurde.
Schließlich teilt das Berufungsgericht auch die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass im Zuge der anzustellenden Interessensabwägung im vorliegenden Fall die Äußerungen des Angeklagten durch Art 10 EMRK gedeckt waren.
Mag auch das behandelte Thema – eine bloße Ankündigung eines Fernsehauftritts des Privatanklägers im Rahmen einer politischen Debatte – für die Allgemeinheit nicht besonders wichtig sein, ist doch der in der Kritik angesprochene Aspekt, dass jemandem im Rahmen einer politischen Fernsehsendung ein Forum geboten wird, obwohl er bereits mehrfach strafgerichtlich verurteilt wurde, diskussionswürdig. Dazu kommt, dass es sich beim Privatankläger nicht um eine reine Privatperson handelt, sondern nach den Urteilskonstatierungen um einen prominenten Vertreter einer politischen Partei, die sich zum Zeitpunkt der inkriminierten Veröffentlichungen überdies im Wahlkampf für die Nationalratswahl befand. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Privatankläger sich selbst wöchentlich im Rahmen eines TV-Diskussionsformats des Privatsenders E* zu verschiedensten Themen äußert, er eine wöchentliche Kolumne in der Tageszeitung „E*“ verfasst und auch in den sozialen Medien regelmäßig zum politischen Tagesgeschehen Stellung nimmt. Überdies war der Privatankläger zum Zeitpunkt der Veröffentlichung das von der D* entsandte Mitglied des F* Stiftungsrats. Schließlich thematisierte der Privatankläger den Konstatierungen des Erstgerichts zufolge (ON 7.2, 4 f) wiederholt, zuletzt 2023, seine eigenen strafgerichtlichen Verurteilungen, äußerte sich dazu kritisch, bezeichnete sie als ungerecht und verfehlt und warf der Justiz vor, hinter der Verfolgung hätten politische Motive gestanden. Solcherart zeigte der Privatankläger ein Vorverhalten in der Öffentlichkeit, durch welches er die Thematisierung seiner gerichtlichen Verurteilungen geradezu provozierte.
Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, dass in der konkreten Fallkonstellation die Kritik des Angeklagten, der persönlich die Meinung vertrat, dem Privatankläger, der mehrmals strafrechtlich verurteilt wurde, sollte kein mediales Forum bei politischen Fernsehdiskussionen geboten werden und er solle auch nicht als Aushängeschild seiner politischen Partei dienen, im Sinne des Art 10 EMRK zulässig ist, ist daher überzeugend, weshalb auch der Nichtigkeitsberufung kein Erfolg beschieden ist.
Zur Kostenentscheidung:
Nach dem am 1. Jänner 2021 in Kraft getretenen Hass- im-Netz-Bekämpfungsgesetz (HiNBG, BGBl I Nr 148/220) wurde in § 390 Abs 1a StPO als Ausnahmebestimmung zu den allgemeinen Kostenersatzregeln statuiert, dass in einem Strafverfahren wegen (hier relevant:) des Vorwurfs einer schon abgetanen gerichtlichen strafbaren Handlung (§ 113 StGB), die im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems begangen wurde, der Privatankläger oder Antragsteller (§ 71 Abs 1 StPO) nur zum Kostenersatz verpflichtet ist, wenn er den Vorwurf wissentlich falsch erhoben hat. Als Ausnahme hiezu schreibt § 393 Abs 4a StPO fest, dass stets dann, wenn ein Strafverfahren wegen (hier:) des Vorwurfs einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung (§ 113 StGB), die im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems begangen wurde, auf andere Weise als durch einen Schuldspruch beendet wird, im Hauptund Rechtsmittelverfahren der Privatankläger dem Angeklagten alle Kosten der Verteidigung zu ersetzen hat, sofern nicht ohnedies eine Ersatzpflicht nach § 393 Abs 4 StPO (wissentlich falsche Anzeige) vorliegt (vgl Rami , Privatanklage und Prozesskosten nach Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz, ÖJZ 2022/2, 3, 5).
Fallbezogen liegt ein sogenannter Hass-im-Netz-Tatbestand (§ 113 StGB) vor, dessen Verfolgung nach dem Willen des Gesetzgebers kostenprivilegiert sein soll. Der Privatankläger ist daher nach § 390a Abs 1 zweiter Satz StPO zwar auch zum Ersatz der Kosten des Rechtsmittelverfahrens verpflichtet, nach § 393 Abs 4a StPO jedoch nur im Umfang der Kosten der Verteidigung des Angeklagten im Rechtsmittelverfahren. Die Nichtgewährung des dem Privatankläger zustehenden Kostenprivilegs durch das Erstgericht wurde vom Privatankläger nicht bekämpft und ist daher nicht korrigierbar, weshalb sich der Kostenausspruch auf die Verteidigungskosten im Rechtsmittelverfahren beschränkt.