16R77/25y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Elhenicky und Dr. Rieder in der Rechtssache der klagenden Partei A* , Pensionistin, geb. am **, **, vertreten durch den Verfahrenshelfer Dr. Bernd Brunner, Rechtsanwalt in Tulln, wider die beklagte Partei B * , Techniker, geb. am **, **, vertreten durch Mag. Franz Müller, Rechtsanwalt in Kirchberg am Wagram, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 31.000,--), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 21. März 2025, **-69, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rekurses selbst zu tragen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Mit Schenkungsvertrag vom 13.1.2006 schenkte die Klägerin dem Beklagten die Liegenschaft EZ **, KG ** in ** (in der Folge: Liegenschaft). Zu dessen Punkt Drittens 2. wurde zugunsten der Klägerin „die Dienstbarkeit des gebrauchsweisen Wohnungsrechtes an der laut der diesem Vertrag unter Beilage ./1 integrierten Plan rosa lasierten gesonderten Wohneinheit im Haus **, […] samt Mitbenützung des Gartens, des straßenseitigen Durchganges, beider Keller, des Dachbodens, des Gartenhauses mit Veranda und dem Schuppen, verbunden mit dem Recht, Besuche bei sich zu empfangen und vorübergehend auch zu beherbergen“ vereinbart und eingetragen.
Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Unterlassung aller Handlungen, die ihr Wohnungsgebrauchsrecht an den näher bezeichneten Wohneinheiten innerhalb des sich auf der Liegenschaft befindlichen Hauses sowie ihr Recht an der Mitbenützung des Gartens, des straßenseitigen Durchgangs, beider Keller, insbesondere der dort befindlichen Waschküche, des Heizraums, des Technikraums, des Werkzeugraums, des Dachbodens, des Gartenhauses mit Veranda und des Schuppens sowie das Recht, sich auf der gesamten Liegenschaft frei zu bewegen und jederzeit Besuche zu empfangen und auch vorübergehend zu beherbergen, beeinträchtigen.
Der Beklagte bestritt und wendete im Wesentlichen ein, keinerlei Handlungen gesetzt zu haben, die in die Rechte der Klägerin eingegriffen hätten. Die Klägerin sei auch nicht berechtigt, sich auf der gesamten Liegenschaft frei zu bewegen und die Waschküche sowie die Heiz-, Technik- und Werkzeugräume mitzubenützen. Ein „uneingeschränites“ Mitbenützungsrecht an sämtlichen Nebenanlagen stehe ihr nach dem Inhalt des Schenkungsvertrags nicht zu.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 6.11.2024, **, wurde über das Vermögen der Klägerin das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet.
Mit Beschluss vom 9.12.2024 sprach das Erstgericht aus, dass das Verfahren infolge dessen gem. § 7 Abs 1 IO unterbrochen sei.
Mit Fortsetzungsantrag vom 19.3.2025 beantragte die Klägerin , das Verfahren fortzusetzen. Zur Begründung führte sie aus, dass ihr Wohnungsgebrauchsrecht gem. Punkt Drittens 2. des Schenkungsvertrags vom 13.1.2016 mit Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 22.1.2025 zu ** aus der Insolvenzmasse ausgeschieden worden sei.
Mit dem angefochtenen Beschlusssetzte das Erstgericht das Verfahren fort. Es stellte fest, dass das strittige Wohnungsgebrauchsrecht gemäß Punkt 3.2. des Schenkungsvertrags vom 13.1.2006 bei der Prüfungs- und Berichtstagsatzung vor dem Bezirksgericht Tulln am 22.1.2025 gemäß § 5 Abs 4 IO aus der Insolvenzmasse ausgeschieden worden sei. Da der Schuldner über die aus der Insolvenzmasse nach § 5 Abs 4 IO ausgeschiedenen Miet- und Nutzungsrechte frei verfügungsberechtigt sei, sei das Wohnungsgebrauchsrecht der Klägerin zur freien Verfügung überlassen worden. Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen, könnten gemäß § 6 Abs 3 IO auch während des Insolvenzverfahrens vom oder gegen den Schuldner anhängig gemacht und fortgesetzt werden. Der Schuldner sei somit zur Führung von Prozessen befugt, die Aktiven oder Passiven seines insolvenzfreien Vermögens betreffen (Schuldnerprozesse). Dem Antrag der Klägerin auf Fortsetzung des Verfahrens über das nach § 5 Abs 4 IO ausgeschiedene Wohnungsgebrauchsrecht sei daher stattzugeben.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine Abweisung des Fortsetzungsantrags, hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Klägerin beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1. Der Rekurswerber beanstandet, das Erstgericht habe übersehen, dass sich die Möglichkeit des Konkursgerichts, dem Schuldner die Miet- und sonstigen Nutzungsrechte an Wohnungen zur freien Verfügung zu überlassen, schon nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich nur auf unentbehrliche Wohnräume beziehe. Sonstige Nutzungsrechte, die sich nicht auf Wohnräume bezögen, seien daher von der Möglichkeit der Ausscheidung aus der Masse ausdrücklich ausgenommen. Darüber hinaus sei Rechtsfolge einer Überlassung nach § 5 Abs 4 IO nicht die Überlassung der gesamten, sich aus dem Bestand- oder sonstigen Nutzungsvertrag ergebenden Rechtsstellung, sondern nur die Befugnis zur Ausübung des Wohnrechts, während das Bestand- oder Nutzungsrecht selbst weiter in die Masse falle. Das der Klägerin im Schenkungsvertrag eingeräumte Wohnungsgebrauchsrecht beziehe sich nicht auf Waschküche sowie den Heiz- und Trockenraum, den Technikraum und den Werkzeugraum und auch nicht auf den straßenseitigen Durchgang; daran sei ihr lediglich ein Mitbenützungsrecht ohne nähere Ausgestaltung eingeräumt. Daher könne sich die Ausscheidung aus der Konkursmasse auf diese Räumlichkeiten nicht beziehen; gleiches gelte für das der Klägerin am Garten eingeräumte Mitbenützungsrecht. Störungshandlungen des Beklagten an der der Klägerin zum Gebrauch überlassenen Wohneinheit habe sie nicht behauptet. Verfahrensgegenständlich seien daher nur die nach wie vor masseverfangenen Mitbenützungsrechte der Klägerin, sodass diesbezüglich weiterhin die Prozesssperre nach § 6 Abs 1 IO gelte und der Fortsetzungsantrag unzulässig sei.
2. Wie der Beklagte in seiner Argumentation selbst erkennt, ist für die Frage, ob eine Rechtsstreitigkeit unter § 6 Abs 1 oder Abs 3 IO fällt und damit von den (Unterbrechungs)Wirkungen des § 7 Abs 1 KO erfasst wird, allein entscheidend, welcher Anspruch von der Klägerin geltend gemacht wird und nicht, welche Einwendungen der Beklagte gegen den Anspruch erhebt (RS0064050).
Nach dem allein maßgeblichen Klagsvorbringen ist Gegenstand des Unterlassungsanspruchs der Klägerin aber eine Störung des ihr mit dem Schenkungsvertrag eingeräumten Wohnungsgebrauchsrechts durch den Beklagten, das ihrer Auffassung nach nicht nur das Recht auf Alleinbenützung der ihr vertraglich zugeteilten und von ihr bewohnten Räumlichkeiten beinhalten, sondern auch das Recht auf die Mitbenützung sonstiger Teile der Liegenschaft (Keller, Garten etc.) umfassen soll.
3. Gemäß § 5 Abs 4 IO hat das Insolvenzgericht dem Schuldner die Miet- und sonstigen Nutzungsrechte an Wohnungen zur freien Verfügung zu überlassen, wenn sie Wohnräume betreffen, die für den Schuldner und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen unentbehrlich sind. Das Insolvenzgericht hat in Anwendung dieser Bestimmung mit rechtskräftigem Beschluss vom 22.1.2025 das „Wohnungsgebrauchsrecht gem. Punkt Drittens 2. des Schenkungsvertrags vom 13.1.2006“ und damit das Wohnungsgebrauchsrecht der Klägerin, so wie es ihr vertraglich eingeräumt wurde, aus der Insolvenzmasse ausgeschieden. Die Mitbenützungsrechte am Garten und bestimmten sonstigen Flächen oder Räumlichkeiten wurden davon nicht ausgenommen. Mit der Ausscheidung des Wohnungsgebrauchsrechts erlangte die Klägerin als Schuldnerin daher die freie Verfügungsberechtigung über das gesamte Wohnungsgebrauchsrecht samt allen Mitbenützungsrechten; jedenfalls wurde ihr vom Insolvenzgericht die Befugnis zur (ungestörten) Ausübung des gesamten Wohnungsgebrauchsrechts übertragen (vgl Kodek, Handbuch Privatkonkurs 3 Rz 8.54), wovon der von ihr mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung von Handlungen zur Störung ihres Wohnungsgebrauchsrechts einschließlich der Mitbenützungsrechte umfasst ist. An den rechtskräftigen Beschluss des Insolvenzgerichts ist auch das erkennende Gericht im Schuldnerprozess gebunden, sodass die vom Beklagten angestrebte Einschränkung der Ausscheidung auf unentbehrliche Wohnräume nicht in Betracht kommt. Abgesehen davon wird in der Literatur für die Abgrenzungsfrage, wann ein Wohnraum tatsächlich unentbehrlich ist, ohnehin ein großzügiger Maßstab empfohlen, sodass zwar Wohnräume, die hauptsächlich geschäftlich genutzt werden, als entbehrlich angesehen werden, nicht aber sonstige Räume oder Flächen, deren Verwertung (etwa durch Untervermietung) in der Regel ohnehin nicht möglich ist (vgl Kodek aaO Rz 8.46; Zoppel in Koller/Lovrek/Spitzer, IO 2§ 5 IO Rz 14).
4. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Klägerin die gegenständliche Unterlassungsklage in Ausübung des ihr mit Schenkungsvertrag eingeräumten Wohnungsgebrauchsrechts eingebracht hat und daher nach dessen Ausscheidung aus der Insolvenzmasse berechtigt ist, das Verfahren als Schuldnerprozess iSd § 6 Abs 3 IO fortzusetzen.
Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
Der Beklagte hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen (§§ 41, 50 ZPO).
Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes beruht auf den §§ 526 Abs 3 und 500 Abs 2 ZPO, wobei von der unbedenklichen Bewertung der Klägerin auszugehen war.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet sich auf § 528 Abs 2 Z 2 ZPO.