JudikaturOLG Wien

30Bs155/25a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
04. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Dr. Hornich LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen §§ 15, 84 Abs 4 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. Mai 2025, GZ **-17, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Spruch

Die über A* verhängte Untersuchungshaft wird aus den Haftgründen der Flucht, Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit d StPO fortgesetzt.

Die Haftfrist endet am 4. August 2025.

Text

Begründung:

Bei der Staatsanwaltschaft Wien ist zu AZ ** gegen den am ** geborenen österreichischen Staatsbürger A* ein Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB anhängig.

Mit Beschluss vom 16. Mai 2025 (ON 10, 3; ON 11) wurde über den am 14. Mai 2025, 15.55 Uhr, festgenommenen und noch am selben Tag in die Justizanstalt Wien Josefstadt eingelieferten A* (ON 6) dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend (ON 1.4) die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht, Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit d StPO) verhängt, die nach Durchführung einer Haftprüfungsverhandlung mit Beschluss vom 28. Mai 2025 aus den bisherigen Haftgründen fortgesetzt wurde (ON 17; ON 18, 2).

Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerecht erhobene, unausgeführt gebliebene Beschwerde des Beschuldigten (ON 18, 2).

Rechtliche Beurteilung

Die Untersuchungshaft darf nur verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Tat dringend verdächtig ist, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Tatverdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als ein einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Ramiin WK StPO § 173 Rz 2f).

Das Beschwerdegericht geht im Rahmen seiner reformatorisch zu treffenden Entscheidung vom Vorliegen des dringenden Tatverdachts aus, A* habe am 14. Mai 2025 in ** seinen Vater B*

I./ schwer am Körper zu verletzen versucht, indem er mit einem abgebrochenen Holzstück in Armlänge wiederholt auf ihn eingeschlagen habe, welche dieser mit seinen Unterarmen abgewehrt und dadurch Schürf- und Schnittwunden am Unterarm und an der Hand erlitten habe;

II./ gefährlich mit dem Tode bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er während der Tathandlung zu I./ wiederholt geschrien habe „ich bringe dich um“, sowie im Anschluss gesagt habe, dass dies lediglich der Anfang gewesen sei und noch Weiteres passieren werde, und dass das Opfer eliminiert gehöre.

Die verdichtete Verdachtslage folgt in objektiver Hinsicht aus den Ermittlungsergebnissen der PI C* zu ** (ON 2 und ON 14), insbesondere den belastenden Angaben des Opfers (ON 2.5), wonach dieses von seinem psychisch kranken, äußerst aggressiv agierenden Sohn auf die im Spruch dargestellte Weise attackiert und bedroht worden sei, den in der Lichtbildbeilage ON 2.7 objektivierten Verletzungsfolgen sowie der am Tatort aufgefundenen Holzlatte und den Graffiti- Schriftzügen am Tatort („D* ist ein Verbrecher“ und „B* ist ein Verbrecher“ [ON 14.3, 3]). Hinsichtlich dieser Beschmierungen ist anzumerken, dass der Beschuldigte bei seiner informellen Befragung durch die Polizei seinen Vater wie auch dessen Bruder als Verbrecher bezeichnete (ON 2.8, 3). Der Beschuldigte wurde aufgrund seines psychischen Zustands in die psychiatrische Abteilung der Klinik D* verbracht (ON 2.8, 5; ON 6, 2)

Bei seiner Beschuldigteneinvernahme anlässlich der Verhängung der Untersuchungshaft gab er an, dass es sich bei dem Vorfall um einen Unfall gehandelt habe, er den Vater nicht absichtlich verletzt und ihm auch keine Angst habe machen wollen (ON 10, 3).

Aufgrund der Begehungsweise der zu I./ und II./ angelasteten Tathandlungen (Ausführen von wuchtigen Schlägen mit einer Holzlatte gegen den Körper) ist auch der dringende Tatverdacht in Bezug auf die subjektive Tatseite, A* habe es zumindest ernsthaft für möglich gehalten und sich damit abgefunden, seinen Vater B* schwer am Körper zu verletzen, indiziert. In Zusammenschau mit diesen Tatvorwürfen und dem Wortlaut der zu II./ getätigten Aussagen ist Genannter auch dringend verdächtig, es zumindest ernsthaft für möglich gehalten und sich damit abgefunden zu haben, bei dem Adressaten den Eindruck einer ernst gemeinten Ankündigung eines/einer bevorstehenden Anschlags auf sein Leben zu erwecken und dass es ihm darauf ankam, seinen Vater nachhaltig in einen angst und peinvollen Seelenzustand zu versetzen.

Aufgrund der dargelegten Tatmodalitäten kommt den angelasteten Drohungen auch die Eignung zu, dem Bedrohten begründete Besorgnis in Bezug auf die in Aussicht gestellte Tötung einzuflößen.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Belastungsmomente ist somit die im Sinne des § 173 Abs 1 StPO erforderliche qualifizierte Verdachtslage in Richtung eines Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB gegeben.

Nach einem im Jahr 2021 erstellten Sachverständigengutachten des Sachverständigen Univ. Doz. F* (ON 4) wies der Beschuldigte zum damaligen Zeitpunkt (konkret am 12. April 2021) das Vollbild einer paranoid-schiozphrenen Psychose auf (ON 4, 27), wobei aus medizinischer Sicht Zurechnungsunfähigkeit vorlag. Vor diesem Hintergrund sowie aufgrund der Angaben des Tatopfers und der einschreitenden Polizisten bezüglich des psychischen Zustandes des Beschuldigten zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt wurde seitens der Staatsanwaltschaft Wien umgehend nach Inhaftierung des Beschuldigten am 15. Mai 2025 neuerlich der Sachverständige Univ. Doz Dr. F* mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt (ON 7), um die Fragen, ob bei dem Beschuldigten A* (auch) zum Tatzeitpunkt am 14. Mai 2025 die Voraussetzungen der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) vorgelegen und bejahendenfalls die Voraussetzungen nach § 21 Abs 1 StGB oder § 21 Abs 2 StGB erfüllt seien, einer ehebaldigen Klärung zuzuführen. Dieses Gutachten ist derzeit noch ausständig.

Auch die von der Erstrichterin angezogenen Haftgründe liegen vor.

Unter Fluchtgefahr (§ 173 Abs 2 Z 1 StPO) ist die Gefahr zu verstehen, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren insgesamt oder zumindest der ihm allenfalls drohenden Strafe entziehen. In die Beurteilung hat auch die im Fall eines Schuldspruchs im Wege einer abstrakten Prognose auszumittelnde potentielle Sanktion Eingang zu finden ( Kirchbacher/Ramiin WK StPO § 173 Rz 31). Aufgrund der Tatsache, dass der nach der derzeitigen Aktenlage unterstandslose Beschuldigte im Inland ohne festen Wohnsitz (siehe Anhalteprotokoll vom 14. Mai 2025; ON 2.10, 1) und Beschäftigung ist (ON 2.3) und er anlässlich des Einschreitens der Polizei die Mitwirkung an seiner Identitätsfeststellung verweigerte, indem er weder seinen Ausweis herzeigen noch sein Geburtsdatum bekannt geben wollte, da ihm die Vorgehensweise maßlos übertrieben erschien (ON 2.8, 3), ist anzunehmen, dass er sich auf freiem Fuß belassen der Strafverfolgung entziehen werde. Die anlässlich der Untersuchungshaftverhängung erstmals unbelegt erwähnte Meldeadresse (ON 10, 3) vermag diese Befürchtung nicht zu entkräften.

Auch die Haftgründe der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit d StPO sind gegeben.

Die Untersuchungshaft wegen Tatbegehungsgefahr ist ihrem Wesen nach eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren (erheblichen) Straftaten (besonders) gefährlicher Straftäter (11 Os 9/14d mwN). Die Haft wegen Tatbegehungsgefahr ist danach zulässig, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, dass der Beschuldigte ohne Haftverhängung ungeachtet des Eindrucks des gegen ihn wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung begehen werde, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete Tat. Dabei muss aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr einer neuerlichen Delinquenz bestehen, wobei diese auch in den dem Beschuldigten angelasteten Handlungen liegen können.

Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO bedingt eine Anlasstat mit schweren Folgen und eine gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete strafbare Handlung mit schweren Folgen als Prognosetat. Die vom Gesetz verlangten schweren Folgen müssen aus einer einzigen Tat resultieren (13 Os 14/05s). Maßgeblich ist stets die konkrete Fallkonstellation und nicht das abstrakte Gewicht des im Tatbestand der betreffenden Strafnorm vertypten Erfolgs. Der Begriff der schweren Folgen umfasst nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, somit auch Art, Ausmaß und Wichtigkeit der effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen; auch der soziale Störwert ist zu berücksichtigen ( Kirchbacher, StPO 15 , § 173 Rz 10). Sowohl eine (wenn auch wie hier nur versuchte) schwere Körperverletzung als Tatfolge ist schon ex definitione eine Straftat mit schweren Folgen, ebenso wie auch eine gefährliche Drohung mit dem Tod ( Nimmervoll , Haftrecht 3Z 654, Z 655, Z 660; RIS-Justiz RS0116500).

A* ist demnach zweier Taten mit schweren Folgen, nämlich des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall dringend verdächtig, wobei aufgrund seines ausgesprochen aggressiven Verhaltens, der massiven Tathandlung gegenüber seinem Vater und der diesem gegenüber ausgesprochenen Drohungen mit dem Tode die nahe Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß gesetzt neuerlich massive Gewalt in Form von Schlägen gegen den Körper seines Vaters unter Verwendung zB von Gegenständen, die geeignet sind, die Abwehrfähigkeit des Opfers durch unmittelbare Einwirkung herabzusetzen, sohin einer Waffe im funktionellen Sinn (§ 39a Abs 1 Z 4 StGB; 11 Os 16/22w), ausüben, diesen solcherart schwer verletzen und/oder neuerlich gefährlich mit dem Tod bedrohen und somit wieder eine Tat mit schweren Folgen im Sinne des § 173 Abs 2 Z 3 lit a begehen.

Tatausführungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit d StPO ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat geführten Strafverfahrens die ihm angelastete versuchte oder angedrohte Tat ausführen ( Kirchbacher/Rami , aaO Rz 38). Dieser Haftgrund dient der Verhinderung einer konkreten Tat, wobei die Androhung dieser Tat Gegenstand eben des Verfahrens ist, in dem der Haftgrund Anwendung findet. Die Verletzung des Tatopfers unter Verwendung einer Holzlatte wegen eines nichtigen Anlasses sowie die Ankündigung gegenüber dem Tatopfer, er werde ihn umbringen und dies sei erst der Anfang gewesen, es werde noch Weiteres passieren, lässt in Zusammenschau mit der psychischen Verfassung des Beschuldigten konkret befürchten, er werde auf freiem Fuß belassen die gegenüber dem Vater angekündigte Tat auch ausführen. In den angelasteten Tathandlungen manifestiert sich ein hohes Aggressionspotential und eine beträchtliche Gewaltbereitschaft des Beschuldigten, die insbesondere im Hinblick auf seine weiterhin unmittelbar im Raum stehende psychische Erkrankung die Gefahr der neuerlichen Begehung von vergleichbaren Straftaten nahelegen.

Die vorliegenden Haftgründe sind – unter Bedachtnahme auf die obigen Ausführungen – als so gewichtig anzusehen, dass sie durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO nicht substituiert werden können, zumal auch keine Änderung der Verhältnisse, unter denen der Beschuldigte die angelasteten Taten begangen haben soll, auszumachen sind. Gelindere Mittel wie zB die Erteilung von Weisungen und die Anordnung von Bewährungshilfe sind aufgrund der Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, der nach den Angaben des Vaters des Beschuldigten mangelnden Compliance in Bezug auf die Einnahme von Medikamenten und damit einhergehend der fehlenden Krankheitseinsicht (ON 2.5, 4) nicht geeignet, das von ihm ausgehende Risiko einer neuerlichen einschlägigen Delinquenz hinreichend zu minimieren.

Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von drei Wochen steht weder zur Bedeutung der dem Beschuldigten angelasteten strafbaren Handlungen noch der im Fall eines Schuldspruchs angesichts des unter Anwendung des § 39a Abs 1 Z 4 und Abs 2 Z 3 StGB relevanten Strafrahmens von einem bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zu erwartenden Sanktion außer Verhältnis.

Der Ausspruch über die Dauer der Haftfrist gründet auf §§ 174 Abs 4 zweiter Satz, 175 Abs 2 Z 3 StPO.