JudikaturOLG Wien

13R169/24d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
04. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Häckel als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Reden und den Richter Mag. Wessely in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Mag. Dr. B* , **, vertreten durch Mag. Dr. Anton-Alexander Havlik, Rechtsanwalt Wien, wegen EUR 74.910,27 s.A., über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23.9.2024, ** 42, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen vierzehn Tagen die mit EUR 3.807,12 (darin EUR 634,52 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig .

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Rechtsanwältin. Sie vertrat die Klägerin, eine serbische Staatsangehörige, in einem Verfahren vor der Wiener MA 35 über die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels für Österreich. Mit Bescheid vom 12.3.2019 wies die MA 35 den Verlängerungsantrag der Klägerin zurück.

Mit am 18.10.2022 eingebrachter Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadenersatz von EUR 74.910,27 samt Zinsen (Verdienstentgang, Behandlungskosten, Schmerzengeld, Rechtsvertretungskosten).

Soweit für das Verständnis im Berufungsverfahren von Bedeutung, brachte die Klägerin vor, die Beklagte habe im Verfahren über die Verlängerung des Aufenthaltstitels unrichtig behauptet, von ihr bevollmächtigt worden zu sein; eine Bevollmächtigung sei jedoch nie erfolgt. In der Folge habe die Beklagte die Klägerin nicht über die Zustellung eines Mängelbehebungsauftrags und des Zurückweisungsbescheids der MA 35 vom 12.3.2019 informiert. Die Beklagte habe den Zurückweisungsbescheid mit der Behauptung an die Behörde zurückgestellt, die Klägerin sei für sie nicht erreichbar.

Nachdem die Klägerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zur Ausreise verhalten worden sei und das Bundesgebiet der Republik Österreich für drei Monate habe verlassen müssen, habe sie, vertreten durch den nunmehrigen Klagevertreter, gegen den Zurückweisungsbescheid Beschwerde beim Verwaltungsgericht Wien erhoben. Die Beschwerde sei mangels Rechtswirksamkeit des angefochtenen Bescheids – dies mit der Begründung, eine interne Bevollmächtigung der Beklagten durch die Klägerin für das Verlängerungsverfahren sei nie erfolgt – als unzulässig zurückgewiesen worden.

Nachdem die Klägerin sodann dem Verbesserungsauftrag der MA 35 entsprochen habe, habe sie den am 6.10.2016 beantragten Aufenthaltstitel erhalten.

Hätte die Beklagte den Mängelbehebungsauftrag vom 12.3.2019 [richtig: 12.2.2019] entweder mit dem Hinweis auf die nicht erteilte Bevollmächtigung an die Behörde rück- oder an die Klägerin weitergeleitet, hätte diese den beantragten Aufenthaltstitel im April 2019 erhalten.

Hätte tatsächlich ein aufrechtes Vertretungsverhältnis bestanden, hätte die Beklagte der Klägerin den Zurückweisungsbescheid rekommandiert zur Kenntnis bringen müssen. Hätte die Klägerin darauf nicht reagiert, hätte die Beklagte als Rechtsanwältin eine „leere“ Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien erheben müssen.

Die Klägerin hätte im Zeitraum Mai 2019 bis Oktober 2022 EUR 58.800,- verdienen können. Sie sei schwer traumatisiert worden und befinde sich seit 6.7.2021 in psychiatrischer Behandlung. Bis dato seien Behandlungskosten von EUR 293,15 angefallen. An Schmerzengeld fordere die Klägerin vorerst EUR 10.000,-. An Vertretungskosten im Verfahren vor dem BFA seien EUR 5.817,12 angefallen.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Soweit für das Verständnis im Berufungsverfahren von Bedeutung, wendete sie ein, die Klägerin habe ihr sehr wohl Vollmacht zur Vertretung im Verfahren vor der MA 35 erteilt. Sie habe die Klägerin über die Notwendigkeit, im Verfahren eine Kopie des aktuellen Reisepasses und ein Lichtbild vorzulegen, am 4.12.2018 in Kenntnis gesetzt. Diese Unterlagen habe die Behörde in weiterer Folge mit Mängelbehebungsauftrag vom 14.2.2019 auch angefordert. Die Klägerin habe diese Unterlagen jedoch nicht vorgelegt und sei sodann für die Beklagte nicht mehr erreichbar gewesen.

Selbst wenn eine Verständigung der Klägerin vom Mängelbehebungsauftrag und Zurückweisungsbescheid möglich gewesen wäre, hätte dies nichts am negativen Ausgang des Verfahrens geändert, weil die Klägerin damals nicht in der Lage bzw nicht bereit gewesen sei, die fehlenden Unterlagen vorzulegen.

Der angebliche Schaden der Klägerin wäre bereits am 22.3.2019 durch die Zustellung des Zurückweisungsbescheids an die Beklagte – vorausgesetzt diese wäre wirksam gewesen – entstanden, es werde der Einwand der Verjährung erhoben. Bei Einhaltung der sie treffenden Erkundigungsobliegenheit hätte die Klägerin schon vor dem 21.10.2019 Kenntnis vom schadenstiftenden Ereignis (Zurückweisungsbescheid) erlangt.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Es ging dabei von dem auf den Seiten 2 bis 6 des Ersturteils festgestellten Sachverhalt aus, auf den verwiesen wird. Rechtlich erwog es neben anderen Umständen, dass die Klägerin den ihr auch bei Unterlassungen obliegenden Kausalitätsbeweis nicht erbracht habe. Aus näher ausgeführten Gründen seien die Ansprüche verjährt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf Klagsstattgebung, hilfsweise einem Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. In ihrer Rechtsrüge führt die Klägerin aus, von der Negativfeststellung ausgehend, der Zugang des Schreibens vom 4.12.2018 an sie könne nicht festgestellt werden, sei der vom Erstgericht angenommene mangelnde Kausalitätszusammenhang rechtlich nicht nachvollziehbar. Die Beklagte sei beweispflichtig dafür, gewesen dass die Klägerin von der Aufforderung zur Mängelbehebung mit dem Hinweis auf die Säumnisfolgen Kenntnis erlangt habe. Der Beweis sei ihr nicht gelungen. Die Negativfeststellung gehe daher zu Lasten der Beklagten.

Damit sei der Kausalzusammenhang erwiesen. Hätte die Beklagte die Obliegenheitsverletzung, die Klägerin nicht informiert zu haben, nicht zu verantworten, so wären Reisepass und Lichtbild vorgelegt worden und hätte die Klägerin einen Aufenthaltstitel ausgestellt erhalten.

2. Auch im Rahmen der Anwaltshaftung muss die Pflichtverletzung sowie der Kausalzusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und schadensbegründendem Prozessverlust [hier: Zurückweisung des Antrags auf Verlängerung des Aufenthaltstitels]vom Geschädigten dargelegt und bewiesen werden (RS0022686 [T22]). Der Kläger ist für die Behauptung beweispflichtig, dass der Schaden bei einem bestimmten und möglichen pflichtmäßigen Handeln des Rechtsanwaltes nicht eingetreten wäre (RS0022700); bei pflichtwidriger Unterlassung eines Rechtsanwalts wird dem Geschädigten der Nachweis der Kausalität des Verhaltens des Schädigers für den eingetretenen Schaden zugemutet (dort [T9]).

Eine Beweisführung bezüglich der Kausalität einer – wie hier – Unterlassung kommt in der Regel nur unter Bedachtnahme auf die Wahrscheinlichkeit des Tatsachenzusammenhangs in Betracht. Der Geschädigte ist dafür beweispflichtig, dass überwiegende Gründe dafür vorliegen, der Schaden sei durch das Verhalten des Beklagten herbeigeführt worden (RS0022900).

3. Das Erstgericht hat folgende – in der Berufung der Klägerin unbeachtet gebliebene – Negativfeststellung getroffen: „Es kann nicht festgestellt werden, dass der Klägerin im April 2019 (oder sonst einem anderen Zeitpunkt vor der tatsächlichen Aushändigung des Aufenthaltstitels am 8.11.2022) der beantragte Aufenthaltstitel ausgestellt worden wäre, wenn die Beklagte den Mängelbehebungsauftrag entweder mit dem Hinweis auf eine nicht erteilte Bevollmächtigung an die Behörde rück-, oder aber tatsächlich erfolgreich an die Klägerin weitergeleitet hätte oder gegen den Zurückweisungsbescheid eine ‚leere‘ Beschwerde eingebracht hätte.“

Diese Feststellung begründete das Erstgericht in der Beweiswürdigung mit der – mit verschiedenen Beispielen belegten – Tatsache, dass sich die Klägerin in dieser Angelegenheit immer wieder sehr passiv verhalten habe. So habe sie etwa selbst als man ihr beim BFA am 22.8.2019 die Notwendigkeit aktiven Tuns deutlich dargelegt habe und obwohl sie von einem Rechtsanwalt unterstützt worden sei, über ein Jahr keine weiteren Schritte gesetzt, um ihre „freiwillige Rückkehr“ im Jahr 2020 zu verhindern.

Der Klägerin ist es somit nicht gelungen, zu beweisen, dass ihre rechtzeitige Information über die Notwendigkeit der Vorlage ihres (verlängerten) Reisepasses und eines Lichtbilds – was auch Inhalt des Schreibens vom 4.12.2018 war - und eine „leere“ Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss der MA 35 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Verlängerung ihres Aufenthaltstitels für Österreich geführt hätte, womit ihr der Beweis der Kausalität des der Beklagten vorgeworfenen Verhaltens für ihren geltend gemachten Schaden misslungen ist.

Die Herleitung in der Berufung, wenn die Beklagte sie informiert hätte, hätte die Klägerin ihren Reisepass und ein Lichtbild vorgelegt und wäre ihr ein Aufenthaltstitel ausgestellt worden, steht im Widerspruch zur oben wiedergegebenen Negativfeststellung des Erstgerichts und geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

4. Der gerügte sekundäre Feststellungsmangel wegen Unterbleibens der Feststellung: „Der Akt der Klägerin ist bei der Beklagten in Verstoß geraten und war für die Beklagte erst nach Klagezustellung auffindbar“ liegt mangels rechtlicher Relevanz der gewünschten Feststellung nicht vor.

5. Das Erstgericht hat die Klage schon aufgrund des fehlenden Beweises der Kausalität des Verhaltens der Beklagten für den geltend gemachten Schaden der Klägerin zu Recht abgewiesen. Auf die gegen die Annahme der Verjährung allfälliger Ansprüche der Klägerin durch das Erstgericht gerichteten Berufungsausführungen ist daher nicht einzugehen.

Der unberechtigten Berufung war nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Die Berufungsentscheidung hing nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage mit über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung ab, die ordentliche Revision war daher nicht zuzulassen (§ 502 Abs 1 ZPO).