JudikaturOLG Wien

8Rs105/24f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
28. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Mag. Zacek als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Derbolav-Arztmann und Dr. Heissenberger LL.M. und die fachkundigen Laienrichter ADir Dietrich Wiedermann und Tanja Sehn Zuparic in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 27.8.2024, ** 60, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufung selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe ab dem 1.9.2022; in eventu medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation; in eventu beruflicher Maßnahmen der Rehabilitation gerichtete Klagebegehren abgewiesen.

Es legte seiner Entscheidung die auf Seiten 3 bis 6 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen zugrunde, auf die verwiesen und aus denen Folgendes hervorgehoben wird:

[…] Aufgrund der bestehenden Leiden und Erkrankungen ist die Arbeitsfähigkeit der Klägerin eingeschränkt. Die Klägerin kann nur noch leichte bis mittelschwere Arbeit ohne besondere Anforderungen an Konzentration und Aufmerksamkeit verrichten. Der Klägerin sind nur noch Tätigkeiten mit geringer psychischer Belastung und nur bis zu drittelzeitig unter besonderem Zeitdruck zumutbar. Eine wechselseitige Leidensbeeinflussung oder Leidenspotenzierung besteht nicht. Es kann nicht festgestellt werden, dass über die angeführten Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit der Klägerin hinaus weitere Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit der Klägerin bestehen. Es kann nicht festgestellt werden, dass Einschränkungen der Klägerin beim Zurücklegen der Anmarschwege bestehen. Es kann nicht festgestellt werden, dass Krankenstände wahrscheinlich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, auch nicht, dass Krankenstände im Ausmaß von sieben Wochen oder mehr jährlich zu erwarten sind oder dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin mit Auswirkung auf das Leistungskalkül in absehbarer Zeit eintreten wird oder zu erwarten ist.

[...] Der Klägerin ist die Tätigkeit als Marketing-Assistentin im Rahmen einer rein unterstützenden Back-Office-Tätigkeit bei Berücksichtigung des oben angeführten Leistungskalküls weiter zumutbar, da dieses hierbei nicht überschritten wird.

Auf dem Arbeitsmarkt können mit dem angeführten Leistungskalkül darüber hinaus noch Berufstätigkeiten in der Material- und Sachverwaltung, wertigkeitsmäßig entsprechend Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags für Lehrlinge und Angestellte in Handelsbetrieben (alt), ausgeübt werden. […]

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind Arbeitsplätze in den angeführten Berufstätigkeiten auch als Marketingassistentin, die der Klägerin mit dem angeführten Leistungskalkül möglich sind, in ausreichender Anzahl vorhanden, österreichweit im Ausmaß von zumindest 100 Arbeitsplätzen, im Großraum B* von zumindest 30 Arbeitsplätzen.

Rechtlichfolgerte das Erstgericht, die Klägerin sei zuletzt mehr als 90 Pflichtversicherungsmonate hindurch als Marketing-Assistentin im Backoffice-Bereich tätig gewesen. Mit dem vorliegenden medizinischen Leistungskalkül könnte die von der Klägerin zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit und auch Berufstätigkeiten als Angestellte in der Material- und Sachverwaltung oder als Bürohilfskraft im administrativen Verwaltungsbereich ausgeübt werden. Berufsunfähigkeit iSd § 273 ASVG liege daher nicht vor. Mangels Berufsunfähigkeit bestehe kein Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension oder Maßnahmen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Urteil abzuändern. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Zur allein erhobenen Rechtsrüge meint die Klägerin zusammengefasst, entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts sei sie am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Die eingeholten Gutachten hätten zwar ergeben, dass sie nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne besondere Anforderungen an Konzentration und Aufmerksamkeit verrichten könne. Das Beweisverfahren habe aber ergeben, dass sie mittlerweile überhaupt keine sozialen Kontakte außerhalb ihrer Wohnung mehr habe bzw ihr diese auch nicht mehr möglich seien. Selbst in der Wohnung seien diese Kontakte sehr belastend. Laut Arztbrief Dris C* sei ein anstehender Gerichtstermin von 15 Minuten Dauer und entsprechender Anreise nicht mehr möglich. All dies sei in den Gutachten nicht berücksichtigt. Das Gericht habe bei der gutachterlichen Erhebung trotz umfangreich vorgelegter Befunde unzutreffende Schlussfolgerungen gezogen. Es sei dem Gericht bekannt gewesen, dass die Klägerin ihre Wohnung nicht mehr verlassen könne. Sie leide unter einer Vielzahl von psychischen und körperlichen Erkrankungen, wobei – im Gegensatz zur Rechtsansicht des Erstgerichts – sehr wohl eine wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliege. Die vielfältigen Beeinträchtigungen würden sich wechselseitig beeinflussen. Nach dem Grundsatz „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ sei bei Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass jemand wie die Klägerin am allgemeinen Arbeitsmarkt keinesfalls mehr vermittelbar sei. Auch habe sie Medikamentenlisten vorgelegt. Die verordneten Medikamente hätten naturgemäß erhebliche Nebenwirkungen. Die Klägerin könne daher nicht mehr Auto fahren, sei auch tagsüber schläfrig und leide unter Konzentrationsschwächen. Im Gegensatz zur Rechtsansicht des Erstgerichts seien nicht einmal mehr leichte Tätigkeiten möglich. Die Klägerin habe auch ihre Mitwirkungspflicht nicht verletzt. Sie habe die Termine vom 13.1.2023 und 16.5.2023 mit Befund entschuldigt.

Zu widerlegen sei auch in ON 39 (Zusammenfassendes Gutachten), dass leidensbedingte Krankenstände nicht zu prognostizieren seien, da der Krankenstand über zwölf Monate hindurch angedauert habe.

Zusammengefasst werde die unrichtige rechtliche Beurteilung darin erblickt, dass das Erstgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass keine wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliege. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sich die massiven Leidenszustände und die Erkrankungen der Klägerin wechselseitig beeinflussen und dazu führen würden, dass die Klägerin ihre Wohnung nicht mehr verlassen könne und am allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr vermittelbar sei.

Damit entfernt sich die Berufung allerdings vom festgestellten Sachverhalt. Insbesondere steht ausdrücklich fest, dass eine wechselseitige Leidensbeeinflussung nicht besteht. Auch konnten zu erwartende Krankenstände im Ausmaß von sieben Wochen oder mehr jährlich ausdrücklich nicht festgestellt werden.

Einschränkungen in Bezug auf soziale Kontakte ergeben sich aus dem feststellten Sachverhalt nicht. Einschränkungen der Zurücklegung der Anmarschwege konnten ebenfalls ausdrücklich nicht festgestellt werden.

Nicht zu berücksichtigen ist aber, ob die Klägerin auch tatsächlich einen Dienstposten finden wird, da für den Fall der Arbeitslosigkeit die Leistungszuständigkeit der Arbeitslosenversicherung besteht. Dass ältere und in ihrer Arbeitsfähigkeit geminderte Arbeitssuchende gegenüber jüngeren und voll arbeitsfähigen Mitbewerbern auf dem Arbeitsmarkt weniger Chancen haben, schließt sie noch nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt aus (RIS-Justiz RS0084833 [T3]).

Sofern sich die Berufung gegen die getroffenen Feststellungen wenden möchte, könnte sie inhaltlich eine Beweisrüge erheben wollen. Dieser wäre aber entgegen zu halten, dass das Erstgericht die getroffenen Feststellungen zum Leistungskalkül und der Krankenstandsprognose der Klägerin nachvollziehbar auf die ihm schlüssig erschienenen eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten samt Ergänzung stützte, die auch die vorgelegten Befunde berücksichtigten. Die medizinische Zusammenfassung der Gutachten diente gerade der Beurteilung einer allfälligen – hier allerdings verneinten – Leidenspotenzierung. Mit dem Einwand der Vielzahl der Erkrankungen und der Medikamentenliste vermag die Klägerin die eingeholten medizinischen Gutachten nicht zu widerlegen.

Der Umstand, in welchem Umfang der Versicherte in der Vergangenheit in Krankenstand war, ist für die Zukunft höchstens als Beweiswürdigungsindiz von Bedeutung; wesentlich ist ausschließlich die Prognose für die Zukunft, ausgehend von den Anforderungen in den Verweisungsberufen (RS0084898 [T6]). Nur dann, wenn – aus welchen gesundheitlichen Gründen immer – mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu erwartende Krankenstände von sieben Wochen oder darüber vorlägen, wäre einem Versicherten die Fähigkeit zu einer Erwerbstätigkeit genommen (etwa 10 ObS 7/17b). Dies haben aber die eingeholten medizinischen Gutachten samt Zusammenfassung nicht ergeben.

Das Erstgericht legte in seiner Beweiswürdigung auch nachvollziehbar dar, dass sich aus diesen Gutachten klar ergebe, dass aus den Befunden keine gesundheitliche Einschränkung abgeleitet werden könne, aufgrund derer die Klägerin nicht zur Untersuchung in die Ordination kommen könnte oder die die Anmarschwege bei der Klägerin einschränken würden.

Der Berufung kommt somit keine Berechtigung zu.

Ein ausnahmsweiser Zuspruch von Kosten des Berufungsverfahrens nach Billigkeit nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG hatte nicht zu erfolgen, weil keine Billigkeitsgründe dargelegt wurden und auch aus dem Akt nicht ersichtlich sind.

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG geforderten Qualität nicht zur Beurteilung stand.