2R32/25b – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Hofmann (Vorsitzender), den Richter Dr. Nowak und den Kommerzialrat Kremser in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Sacha Katzensteiner Blauensteiner Marko Rechtsanwälte GmbH in Krems an der Donau, wider die beklagte Partei B* AG , FN **, **, vertreten durch Mag. Peter Fasching, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 13.142,27 samt Nebengebühren, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom (richtig:) 24.1.2025, **-43, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.692,90 (darin enthalten EUR 282,15 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
Die Klägerin schloss mit der Beklagten am 15.11.2018 zu Polizzennummer ** einen Betriebsunterbrechungsversicherungsvertrag. Diesem lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich und selbstständig Tätige (ABUB Fassung 2007) und in teilweiser Abänderung dieser die besondere Vertragsbeilage Nr. ** für die Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich und selbstständig Tätige zu Grunde.
In der Polizze hielten die Parteien unter anderem fest: als Art des Betriebs „Physiotherapie“, als verantwortliche leitende und versicherte Person „A*“, als Versicherungsort „**“. Weiters wurde bestimmt:
„Versicherungsumfang Betriebsunterbrechung des versicherten Betriebs
1) wegen Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person (Personenschäden) durch
b) Unfallfolgen (mindestens 70% Arbeitsunfähigkeit)
Karenzfrist:
Bei Krankheit oder Unfallfolgen ohne stationären Krankenhausaufenthalt beginnt die Ersatzleistung am 4. Tag der Betriebsunterbrechung. Bei Krankheit oder Unfallfolgen mit stationärem Krankenhausaufenthalt von mindestens einer Nacht oder bei ununterbrochener völliger Arbeitsunfähigkeit von mindestens 42 Tagen erfolgt die Ersatzleistung bereits ab dem 1. Tag der Betriebsunterbrechung.
[…]
Haftungszeit: Die Haftungszeit beträgt 12 Monate. Deckungsbeitrag (Versicherungswert) auf 1. Risiko EUR 30.000,00“
Die Besondere Vertragsbeilage Nr. ** enthielt unter anderem folgende Bestimmungen:
„Ersatzleistung […]
2. […]
Bei Personenschäden mit stationärem Krankenhausaufenthalt von mindestens einer Nacht oder bei ununterbrochener völliger Arbeitsunfähigkeit von mindestens 42 Tagen beträgt die Ersatzleistung ab dem 1. Tag der Betriebsunterbrechung pro Tag 1/360 der in der Polizze dokumentierten Versicherungssumme.“
Die ABUB 2007 enthielten unter anderem folgende Bestimmungen:
„Als Personenschaden gilt (gelten) […]
b. eine Arbeitsunfähigkeit von 70 % bis 100 % der namentlich genannten, den Betrieb verantwortlich leitenden Person (versicherte Person) wegen Unfallfolgen
[…]
Artikel 6 Wie wird die Ersatzleistung ermittelt?
6. Bei einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 70 % nach einem Unfall wird bei der Ermittlung der Ersatzleistung der tatsächliche Grad der Arbeitsunfähigkeit (%-Satz) zugrunde gelegt.“
Am 22.6.2021 erlitt die Klägerin einen Unfall.
Die Beklagte bezahlte vor Klagseinbringung EUR 9.116,26 und lehnte mit Schreiben vom 27.12.2023 weitere Zahlungen ab.
Am 15.7.2024 bezahlte sie weitere EUR 7.741,47 - gesamt also EUR 16.857,73.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten restliche Zahlung: Sie sei von 22.6.2021 bis zum 30.6.2022 zu 100 Prozent arbeitsunfähig gewesen, weswegen ihr die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag die vereinbarte Höchstsumme – EUR 30.000 – schulde. Unter Abzug der vor und nach Klagseinbringung geleisteten Zahlungen verbleibe zuletzt ein Betrag von EUR 13.142,27.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, sie sei ihrer Zahlungsverpflichtung zur Gänze nachgekommen.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es traf zusätzlich zu den eingangs wiedergegebenen die auf den Seiten 2 bis 4 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird. Daraus wird hervorgehoben:
Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin stellte sich wie folgt dar:
22.06.2021 – 30.06.2021 9 Tage 100%
01.07.2021 – 18.08.2021 49 Tage 100%
19.08.2021 – 28.09.2021 41 Tage 90%
29.09.2021 – 17.10.2021 19 Tage 80%
18.10.2021 – 30.11.2021 44 Tage 70%
01.12.2021 – 20.01.2022 51 Tage 60%
21.01.2022 – 22.01.2022 2 Tage 100%
23.01.2022 – 06.02.2022 15 Tage 100%
07.02.2022 – 21.02.2022 15 Tage 80%
22.02.2022 – 29.03.2022 36 Tage 70%
Nach dem 29.3.2022 betrug die Arbeitsunfähigkeit weniger als 70%. Zusammengefasst ergeben sich 230 Tage mit mindestens 70%iger Arbeitsunfähigkeit, nämlich
75 Tage 100%
41 Tage 90%
34 Tage 80%
80 Tage 70% ( bekämpfte Feststellung )
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass sich der Ersatzanspruch der Klägerin ausgehend von der festgestellten Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung der vereinbarten Versicherungsbedingungen mit gesamt EUR 16.258,34 errechne. Da die Beklagte diesen Betrag durch ihre Zahlungen bereits abgedeckt habe, sei das Klagebegehren abzuweisen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung mit dem Abänderungsantrag auf Klagsstattgabe; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Die Berufungswerberin begehrt statt der bekämpften Feststellung folgende Ersatzfeststellung:
„Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin stellte sich wie folgt dar:
22.06.2021 – 30.06.2022 373 Tage 100%“
und führt dazu aus, der Sachverständige habe der wohl am aussagekräftigsten Urkunde, nämlich der ärztlichen Bestätigung von Dr. C* (./E), keinerlei oder wenn überhaupt nur untergeordnete Beachtung geschenkt. Dr. C* habe die Klägerin immer wieder im klagsgegenständlichen Zeitraum begutachtet und daher ihren Ist-Zustand, bezogen auf ihre Arbeitsfähigkeit, am besten einschätzen können.
1.1. Es gehört zum Wesen der freien Beweiswürdigung, dass sich das Gericht für eine von mehreren widersprechenden Darstellungen auf Grund seiner Überzeugung, dass diese mehr Glaubwürdigkeit beanspruchen kann, entscheidet (RS0043175). Das Gericht hat nach bestem Wissen und Gewissen aufgrund seiner Lebenserfahrung und Menschenkenntnis zu prüfen, ob jener Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht ist, der es rechtfertigt, die fragliche Tatsache für wahr zu halten ( Rechberger/Klickain Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 272 Rz 1).
1.2. Auch der Beweiswert eines Sachverständigengutachtens ist von den Tatsacheninstanzen nach diesen allgemeinen Grundsätzen zu würdigen (RS0043168 [T15], RS0040632, RS0043391).
1.3. Der Berufungswerberin gelingt es nicht, stichhaltige Gründe darzutun, die Zweifel an der Richtigkeit des Sachverständigengutachtens von Dr. D* und den darauf basierenden erstgerichtlichen Feststellungen erwecken.
1.3.1. Der gerichtliche Sachverständige Dr. D* untersuchte die Berufungswerberin persönlich und ließ sämtliche vorgelegten Urkunden in sein Kalkül einfließen („Vorhandene Unterlagen“, ON 30, Seite 2; zu ./H und ./I siehe ON 40.4, Seite 4). Er begründete sein Gutachten stringent und schlüssig, sodass es auch für medizinische Laien nachvollziehbar ist:
1.3.1.1. Er fasste den Behandlungsverlauf anhand der im Akt erliegenden medizinischen Unterlagen zusammen, erhob aber auch – wie es von einem medizinischen Sachverständigen zu erwarten ist – die Anamnese der Klägerin, in der sie auch ihre subjektiven Beschwerden vortragen konnte (ON 30, Seiten 10 ff). Detailliert ging er auf die Nachbehandlungen ein (ON 30, Seiten 5 ff) und beurteilte die Nativröntgenaufnahmen und die CT-Bilder (ON 30, Seiten 16 ff).
1.3.1.2. Der Sachverständige erörterte allgemein das Tätigkeitsprofil für Physiotherapeuten (ON 30, Seiten 18 f), darauf folgend das spezielle Tätigkeitsprofil der Klägerin (ON 30, Seiten 19 f).
1.3.1.3. Schließlich verfasste er das eigentliche Gutachten: Unter Bezugnahme auf die davor dargelegten Ergebnisse der Befundaufnahme begründete er im Detail, weshalb er für diesen und jenen Zeitraum von einer Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in welchem Ausmaß ausgeht.
1.4. Die „Arzt-Bestätigung“ Beil./E, die der Sachverständige sehr wohl mitbeurteilte (ON 30, Seiten 8, 9 und 24), beschränkt sich demgegenüber darauf, das Datum des Unfalls, den Beginn und das Ende der Behandlungsdauer, die Diagnose und die Einschätzung der Dauer der hundertprozentigen Berufsunfähigkeit der Klägerin anzuführen. Gründe dafür, weshalb aus dem Unfall eine hundertprozentige Berufsunfähigkeit der Klägerin von 21.6.2021 bis 30.6.2022 folge, finden sich in ./E jedoch nicht.
Damit besteht das aus dieser Urkunde folgende Beweisergebnis einzig darin, dass der Hausarzt der Klägerin die Meinung vertritt, sie sei im soeben genannten Zeitraum zu 100 Prozent berufsunfähig gewesen, ohne aber Gründe für diese Einschätzung zu nennen; sie ist damit nicht überprüfbar und entzieht sich einer argumentativen Bestätigung oder Widerlegung.
1.5. Die Berufungswerberin weist zur Untermauerung ihres Standpunktes weiters auf ihre eigenen Angaben bei ihrer Vernehmung hin, die sich mit ./E decken würden.
Dem ist zu erwidern, dass sie deponierte: „Ergänzen möchte ich nur, aus meiner Sicht gibt es nur arbeitsfähig oder nicht“ (ON 26.2, Seite 11).
Schon daraus erhellt, dass die Berufungswerberin (nur) die Rechtsmeinung vertrat, dass jegliche Arbeitsunfähigkeit eine völlige im Sinne der Versicherungsbedingungen darstelle.
2. Dass sich das Erstgericht angesichts all dieser Umstände dem nachvollziehbaren Gutachten ON 30 anschloss, ist somit nicht zu beanstanden.
3. Der Berufung war daher nicht Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Mangels Vorliegens einer wesentlichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die ordentliche Revision nicht zuzulassen. Entscheidungswesentlich war nur die Tatfrage.