19Bs52/25y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* und eine andere Angeklagtewegen § 107 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe in Ansehung des Angeklagten A* gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 11. Juli 2024, GZ **-24.5, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Dr. Lechner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten A* durchgeführten Berufungsverhandlung am 28. April 2025
I. zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird dahin Folgegegeben, dass die dem Angeklagten gemäß § 43 Abs 1 StGB gewährte bedingte Strafnachsicht ausgeschaltet wird.
Im Übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten A* auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II. den Beschluss gefasst:
Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO wird vom Widerruf der dem Angeklagten mit Urteilen des Landesgerichts Krems an der Donau vom 30. März 2021 zu AZ ** sowie des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya vom 19. Jänner 2023 zu AZ ** gewährten bedingten Strafnachsichten abgesehen, jedoch die Probezeit hinsichtlich des Urteils des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya zu AZ ** gemäß § 494 Abs 6 StPO auf fünf Jahre verlängert.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen, auch eine – unzulässig (vgl Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO § 271 Rz 59/1) gekürzt ausgefertigte - rechtskräftige Verurteilung einer Mitangeklagten enthaltenden Urteil wurde A* des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 107 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Danach hat er
I./ am 15. März 2024 an einem nicht mehr feststellbaren Ort B* gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, indem er ihr telefonisch ankündigte, er werde sie niederhauen, wenn er sie sehe und „es reicht ma du zeigst mich an ok dann versteckt euch“, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;
II./ zwischen 2. Februar 2024 und 3. Februar 2024 in ** fremde bewegliche Sachen, nämlich Brennholz im Wert von 30 Euro, C* mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er es von dessen Holzlagerplatz mitnahm.
Bei der Strafzumessung wurden neun einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die Begehung innerhalb zwei offener Probezeiten sowie der dem Schuldspruch I./ unterstellten Tat gegen eine Angehörige erschwerend gewertet, mildernd hingegen das reumütige Geständnis und die Schadensgutmachung hinsichtlich des Faktums II./.
Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO sah die Erstrichterin vom Widerruf der dem Angeklagten mit Urteilen des Landesgerichts Krems an der Donau vom 30. März 2021 zu AZ ** sowie des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya vom 19. Jänner 2023 zu AZ ** gewährten bedingten Strafnachsichten ab, verlängerte jedoch die Probezeit zum Urteil des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya zu AZ ** gemäß § 494 Abs 6 StPO auf fünf Jahre.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 25.2) und zu ON 33 ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe, die eine Erhöhung der Sanktion unter Ausschaltung des § 43 Abs 1 StGB anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist teilweise berechtigt.
Zunächst ist festzuhalten, dass das Erstgericht bei der Sanktionsfindung ausdrücklich von einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder 720 Tagessätzen Geldstrafe ausging (US 8), dabei aber die Bestimmung des § 39 Abs 1a StGB unbeachtet ließ. Ist der Täter – wie hier der Angeklagte – schon zweimal wegen vorsätzlicher strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, erhöht sich, wenn er nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres neuerlich eine vorsätzliche strafbare Handlung gegen eines dieser Rechtsgüter begeht, das Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe oder Geldstrafe um die Hälfte, höchstens jedoch auf zwanzig Jahre (§ 39 Abs 1a StGB). Da die Strafregisterauskunft des Angeklagten mehrere Vorstrafen wegen (auch gegen das Rechtsgut der körperlichen Integrität gerichteten [vgl zB 11 Os 102/07w]) Raubes sowie wegen Körperverletzung aufweist, liegen bei diesem die Voraussetzungen des § 39 Abs 1a StGB vor. Somit ist von einem Strafrahmen von bis zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe oder 1.080 Tagessätzen Geldstrafe auszugehen, wobei dennoch sämtliche einschlägige Vorstrafen erschwerend zu berücksichtigen sind (RIS-Justiz RS0091527).
Zudem sind die vom Erstgericht aufgelisteten Strafzumessungsparameter auch insofern zu korrigieren, als die Tatbegehung innerhalb offener Probezeiten keinen eigenen Erschwerungsgrund darstellt, nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre aber den Schuldgehalt erhöht (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB; RIS-Justiz RS0090597).
Schließlich ist dem Angeklagten der Milderungsgrund der unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer im Sinne des § 34 Abs 2 StGB zuzubilligen, welcher sich - selbst wie bei hier insgesamt verhältnismäßig erscheinender Verfahrensdauer - auch aus längeren Phasen behördlicher Inaktivität ergeben kann (ua 14 Os 79/12t). Eine solche liegt hier in der Zeit zwischen mündlicher Verkündung des Urteils und dessen Ausfertigung vor. So benötigte die Ausfertigung des schriftlichen Urteils entgegen § 270 Abs 1 StPO mehr als vier Monate (vgl ON 1.27). Mit Blick auf den nur geringen Umfang sowohl des Akts (23 Ordnungsnummern bis zum Beginn der Hauptverhandlung) als auch des schriftlichen Urteils (neun Seiten) sowie die geständige Verantwortung des Angeklagten ist die Überschreitung der vierwöchigen Urteilsausfertigungsfrist in einem solchen Ausmaß nicht zu rechtfertigen. Daher ist der Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB zu bejahen und mit einer rechnerisch spezifizierten Reduktion (RIS-Justiz RS0114926 [T3]) der über den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von einem Monat vorzugehen.
Entgegen der Berufung darf die „Uneinsichtigkeit“ des Angeklagten nicht als eine für die Strafzumessung entscheidende Tatsache gewertet werden (vgl RIS-Justiz RS0090897).
Obwohl der Handlungs- und Gesinnungsunwert des strafbestimmenden § 107 Abs 1 StGB an der unteren Grenze dieser Deliktskategorie anzusiedeln ist, wäre die Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung des einschlägig massiv getrübten Vorlebens des Angeklagten an sich auf sieben Monate zu erhöhen gewesen. Aufgrund des zugebilligten Milderungsumstands der unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer, der durch eine Herabsetzung der verhängten Unrechtsfolge um einen Monat Freiheitsstrafe zu berücksichtigen ist, ergab sich aber im Ergebnis kein Korrekturbedarf im Hinblick auf die Höhe der verhängten Sanktion.
Im Recht ist die Staatsanwaltschaft jedoch insofern, als eine – auch nur teilweise - bedingte Strafnachsicht nicht mehr in Betracht kommt. Denn unter Berücksichtigung, dass weder die gewährten Rechtswohltaten bedingter Strafnachsichten und Entlassungen noch das mehrfache Verspüren des Haftübels eine verhaltenssteuernde Wirkung beim Angeklagten zu entfalten vermochten, er vielmehr neuerlich wiederholt einschlägig delinquierte, besteht kein Grund zur Annahme, dass die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen genügen werde, ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Dementsprechend war die Anwendung des § 43 Abs 1 StGB aus dem Urteil auszuschalten.
Zum Beschluss:
Bei Beschlüssen gemäß § 494a StPO handelt es sich um „bedingte“ Beschlüsse, deren rechtlicher Bestand von der Rechtskraft des Urteils abhängig ist, das den Anlass für die Beschlussfassung bildet. Jede Abänderung oder Aufhebung des Strafausspruchs der Anlassverurteilung durch das Rechtsmittelgericht macht diese Beschlüsse – unabhängig davon, ob auch sie angefochten wurden oder nicht – hinfällig und bedingt deren Aufhebung (12 Os 85/19w). Daher musste der Beschluss aufgehoben und neuerlich originär über den allfälligen Widerruf – unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots - entschieden werden.
Im vorliegenden Fall war ein Absehen vom Widerruf der bedingten Nachsichten sowie Verlängerung der Probezeit hinsichtlich des Urteils des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya zu AZ ** schon deshalb geboten, weil die Staatsanwaltschaft den gefassten Beschluss unbekämpft gelassen hat. Die gebotene Verlesung der bezughabenden Urteile wurde vom Rechtsmittelgericht nachgeholt, eine Anhörung des Angeklagten konnte § 494a Abs 3 zweiter Satz StPO unterbleiben.