JudikaturOLG Wien

23Bs76/25g – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Staribacher und Dr. Hornich, LL.M. in der Strafsache gegen **wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm § 130 Abs 1 erster Fall) StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 11. März 2025, GZ ** 17, nichtöffentlich den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folgegegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, bei unveränderter Sachlage eine auf den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gestützte Festnahmeanordnung nach § 170 Abs 1 Z 4 StPO gegen A* gerichtlich zu bewilligen und über Antrag der Staatsanwaltschaft nach Festnahme des A* über diesen die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 173 Abs 1 und 2 Z 3 lit b StPO zu verhängen.

Text

Begründung:

Gegen den am ** geborenen Staatsangehörigen der Russischen Förderation A* wurde von der Staatsanwaltschaft St. Pölten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm § 130 Abs 1 erster Fall) StGB geführt. Am 19. März 2025 (ON 1.18) brachte die Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen den Genannten einen Strafantrag (ON 26) ein und ist nunmehr das Verfahren beim Landesgericht St. Pölten zu AZ ** anhängig.

Danach habe A* Nachgenannten gewerbsmäßig (§ 70 Abs 3 StGB) fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt „EUR 3.000, “ übersteigenden Wert teils durch Einbruch mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, und zwar

A./ zwischen 31. Oktober 2024 und 4. November 2024 in ** Gewahrsamsträgern des Unternehmens B* durch Einbruch in ein Gebäude, indem er über eine Leiter durch einen Wanddurchlass in das Lager einer Baustelle eindrang und sodann Werkzeug im Gesamtwert von EUR 12.297,97 an sich nahm;

B./ am 5. Dezember 2024 in ** Gewahrsamsträgern des „C*“, indem er Gegenstände im Wert von insgesamt EUR 295,70 an sich nahm, in seiner Jacke verbarg und anschließend das Geschäft ohne Bezahlung der Ware verließ;

C./ am 9. Dezember 2024 in ** Gewahrsamsträgern des Unternehmens D*, indem er eine Kabelzange im Wert von EUR 32,99 aus der Verpackung nahm, sie in die Jackentasche steckte und anschließend das Geschäft ohne Bezahlung der Ware verließ.

Am 25. Februar 2025 ordnete die Staatsanwaltschaft St. Pölten die Festnahme des Genannten aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr an (ON 8), welche Anordnung vom Landesgericht St. Pölten am 3. März 2025 bewilligt wurde (ON 8, 4).

A* wurde am 10. März 2025 um 10.55 Uhr festgenommen (ON 10, 2) und am selben Tag um 19.55 Uhr in die Justizanstalt ** eingeliefert (ON 10, 18). Nach Einvernahme des A* (ON 12) wurde mit dem angefochtenen Beschluss der Antrag der Staatsanwaltschaft St. Pölten auf Verhängung der Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 1 und 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO (ON 1.11) abgewiesen und A* mangels dringenden Tatverdachts hinsichtlich Faktum A./ bzw Unverhältnismäßigkeit hinsichtlich der weiteren Fakten enthaftet (ON 17).

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Enthaftungsbeschluss rechtzeitig erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft St. Pölten (ON 21), die sich gegen die Nichtannahme einer dringenden Verdachtslage zu Faktum A./ wendet, kann Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Die Untersuchungshaft darf nur verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte/Angeklagte einer bestimmten Tat dringend verdächtig ist, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Verdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als ein einfacher oder gewöhnlicher Verdacht (Kirchbacher/Rami, WKStPO § 173 Rz 3 mwN). Es ist die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung eines Vergehens oder Verbrechens geschlossen werden kann, ein Schuldbeweis ist nicht erforderlich (RISJustiz RS0107304).

Ausgehend davon, dass das Oberlandesgericht Wien seine Entscheidung reformatorisch zu treffen hat (RISJustiz RS0116421; RS0120817), besteht (im Sinne höherer Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung) der dringende Verdacht A* habe die im Strafantrag dargestellten Taten in objektiver Hinsicht begangen. Darüber hinaus ist A* in subjektiver Hinsicht qualifiziert verdächtig, dass es ihm darauf ankam, fremde bewegliche Sachen den genannten Gewahrsamsträgern wegzunehmen, er sich durch die Zueignung der fremden Sachen in einem EUR 5.000, übersteigenden Wert auch durch Einbruch in ein Gebäude unrechtmäßig bereichern wollte und die Absicht hatte, sich durch solche wiederholte qualifizierte Diebstähle ein fortlaufendes, bei jährlicher Durchschnittsbetrachtung EUR 400, pro Monat übersteigendes Einkommen zu verschaffen.

Dieser dringend im Verdacht stehende Lebenssachverhalt ist unter das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) zu subsumieren.

Der als sehr wahrscheinlich angenommene Tatverdacht gründet sich zum objektiven Tathergang hinsichtlich Faktum A./ auf die Abschlussberichte der PI E* zu AZ ** (ON 2, ON 4), den Zwischenbericht (ON 9) sowie den weiteren Abschlussbericht der PI E* vom 18. März 2025 (ON 24), insbesondere die DNA Treffermeldung bezüglich einer an der Kante des Wanddurchlasses in einer Höhe von etwa 2,30 m, durch welchen der Täter hindurch geklettert ist, genommenen biologischen Spur (ON 4.2). Wenn der zum Zeitpunkt der Tatbegehung bei der Trockenbaufirma „F*“ angestellte Angeklagte die an besagtem Durchlass gesicherte DNA Spur damit erklärt, vielleicht dort einmal durchgesehen zu haben, so ist diese Verantwortung wenig plausibel, bestand doch kein Grund für den Angeklagten durch den Wanddurchlass zwischen dem Parteienkeller und dem angrenzenden Magazin in einer Höhe von 2,30 m zu schauen. Dies kann auch nicht mit Trockenbauarbeiten erklärt werden, konnte doch selbst sein Arbeitgeber G* bei diesem Wandurchlass keine Abdeckung der Laibung mit Brandschutzmaterial erkennen (ON 24.4, 4). Im übrigen gab der Zeuge H* an, dass im Keller nur zwei kleine Verkleidungen durch „die Rigipser“ zu machen waren, die aber nicht vom Angeklagten durchgeführt wurden (ON 24.3, 4).

Seiner weiteren Verantwortung, er könne „durch dieses Loch gar nicht passen“ (ON 15.4, 4) bzw. er hätte „unmöglich durch dieses Loch durchkriechen können“ (ON 16, 4) ist die von den Sicherheitsbehörden nunmehr durchgeführte Stellprobe mit einer realen Person entgegenzuhalten (ON 24.2, 2; ON 24.5, 15ff).

Den Depositionen des Angeklagten, er habe mit dem Vorarbeiter der Installateurfirma „sehr oft vor dem Lager Kaffee getrunken“ (ON 16,4), stehen die Angaben des H*, wonach er mit diesem Mann keinen Kaffee getrunken habe, und der Umstand, dass sich dessen Kaffeemaschine nicht im Keller, sondern im Container am Baustellengelände befindet, entgegen (ON 24.3, 4). Im Übrigen war es, laut seinem Arbeitgeber G* Hauptaufgabe des Angeklagten auf dieser Baustelle in den Küchen Holzstreben („Tram“) anzubringen (ON 24.4, 4).

Angesichts dieses Beweissubstrats erweisen sich die Angaben des Angeklagten, der eine spezifisch einschlägige Vorstrafe vom Landesgericht Linz zu AZ ** (ON 7) vom 15. Oktober 2024 aufweist und eigenen Angaben zufolge seit Ende 2023 regelmäßig Amphetamine, Crystal Meth und Piko konsumiert (ON 16, 5), tatsächlich als bloße Schutzbehauptung.

Liegt sohin keine sonstige lebensnahe und nachvollziehbare Erklärung für die am Tatort in einer Höhe von 2,3 m gesicherte DNA Spur vor, ist im Zusammenhalt mit den Einkommensverhältnissen (EUR 1.000, bis EUR 1.100, Notstandshilfe), den bestehenden finanziellen Verpflichtungen (EUR 16.000, Bankkredit für ein Auto), den Sorgepflichten für drei Kinder im Verein mit seinem Konsumverhalten und der einschlägigen Vorstrafe von einer dringenden Verdachtslage auszugehen.

Die Dringlichkeit der Verdachtslage zu Faktum B./ ergibt sich aus den am Tatort angefertigten Lichtbildern (ON 5.2.8), den Angaben der Zeugin I* (ON 5.2.6), dem Abschlussbericht der PI J* zu ** (ON 5.2) und dem Umstand, dass der Angeklagte mit einem auf seinen Sohn zugelassenen PKW zum Tatort fuhr (ON 5.2.2, 3).

Schließlich gründet sich der dringende Tatverdacht zu Faktum C./ auf die Aufnahmen der Videoüberwachung (ON 6.2), wobei sich der Angeklagte zu diesem Faktum schuldig bekannte, jedoch deponierte, sich nicht daran erinnern zu können (ON 16.1, 4; ON 5.2.4, 4).

Die qualifizierte Verdachtslage zur subjektiven Tatseite lässt sich zwanglos bei einem leugnenden Täter rechtsstaatlich vertretbar und methodisch gar nicht zu ersetzen (Ratz, WKStPO § 281 Rz 452; RISJustiz RS0116882) aus dem äußeren Geschehensablauf, insbesondere dem Umstand, dass A* nunmehr mehrere im raschen Rückfall begangene Diebstahlsfakten innerhalb von zwei Monaten zur Last liegen, im Verein mit seiner selbst eingeräumten tristen Einkommens und Vermögenslage erschließen.

Ausgehend von dem als dringend einzustufenden Tatverdacht liegt eine als höchst intensiv einzuschätzende Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO vor. Die strafbare Handlung, unter die der dringend im Verdacht stehende Sachverhalt subsumierbar ist, sieht eine sechs Monate übersteigende Freiheitsstrafdrohung vor. Die dringend im Verdacht stehende Begehung von qualifizierten Diebstählen im raschen Rückfall indiziert eine extrem hohe Bereitschaft, weitere solche Diebstähle zu begehen. Deshalb ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der einkommensund vermögenslose, Schulden aufweisende und für drei Kinder sorgepflichtige A* im Zusammenhalt mit der im Suchtmittelkonsum regelmäßig gegründeten labilen Gemütsbeschaffenheit (Mayerhofer/Salzmann, StPO 6 § 173 E 135) auf freiem Fuß belassen ungeachtet des gegen ihn aktuell geführten Strafverfahrens sofort wieder Straftaten nach der Art der Anlasstaten somit gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete Prognosetaten mit (zumindest) nicht bloß leichten Folgen begehen werde.

Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO ist so gewichtig, dass eine Substituierung durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO ausscheidet, überdies keine effektiv gelinderen Mittel zur Verfügung stehen und eine Unverhältnismäßigkeit einer Haft im Hinblick auf den raschen Rückfall sowie die nunmehrige mehrmalige Tatbegehung nicht zu ersehen ist.

Es war daher der Beschwerde Folge zu geben und dem Erstgericht die Bewilligung einer Festnahmeanordnung bei Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft sowie die Verhängung der Untersuchungshaft bei unveränderter Sachlage aufzutragen.