JudikaturOLG Wien

3R32/25k – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
31. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. in Berka und den KR Langenbach, MBA, in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. **, **, vertreten durch Rechtsanwaltskanzlei Mag. Bernhard Hofer GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 56.160 s.A. und Feststellung (Streitwert EUR 10.000), über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 7.500) gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16.Jänner 2025, **-34, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.458,67 (darin enthalten EUR 243,11 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit mehreren Jahren wegen einer Reflux-Problematik in medizinischer Betreuung in der Privatordination von Dr. C*, der auch Oberarzt im Krankenhaus der Beklagten ist. Am 23. September 2020 ließ die Klägerin eine laparoskopische Operation am Magen gegen Reflux durchführen. Dabei kam es zu einer Trokar-Blutung. Die Wunde wurde mit sogenannten Durchstichnähten versorgt, wobei über die Bauchdecke genäht und über die Hautwunde von außen auf Zug geknüpft wurde („Berci Naht“). Die Operation am 23. September 2020 und die Blutstillung durch Berci Nähte erfolgte lege artis.

Am 29. September 2020 wurde eine Gastroskopie durchgeführt und am 30. September 2020 wurde die Klägerin aus dem Krankenhaus entlassen. Die postoperative Behandlung im Krankenhaus der Beklagten erfolgte lege artis. Die Klägerin hatte nach ihrer Entlassung aufgrund der durchgreifenden Durchstichnähte (Berci Nähte) Schmerzen im Bereich des Port, wenn sie hustete oder nieste. Die Klägerin hätte sich auch operieren lassen, wenn sie darüber aufgeklärt worden wäre, dass bei dieser Art der Wundversorgung in der Folge durch diese Wunde bzw den Wundverschluss Schmerzen mit einer Intensität von 5 von 10 auf der NWS-Skala verbunden sein können.

Bei einer Ultraschalluntersuchung und einer Sonographie der Bauchdecke am 13. Oktober 2020 zeigte sich im Bereich der Trokarnarbe eine 2,2 x 1,1 cm große, wolkig inhomogene, echoreiche subcutane Struktur. Am 21. Oktober 2020 wurde deswegen eine zweite laparoskopische Operation durch Dr. C* durchgeführt. Dabei wurden die Berci Nähte in der Bauchdecke, welche bei der Erstoperation zur Blutstillung angelegt worden waren, entfernt. Die Operation am 21. Oktober 2020 erfolgte lege artis und war nicht durch einen Behandlungsfehler während der Operation am 23. September 2020 veranlasst.

In der Zeit vom 23. September 2020 bis zu ihrer Entlassung am 30. September 2020 hatte die Klägerin (gerafft) zwei Tage mittelschwere und sieben Tage leichte Schmerzen. Daran anschließend bis zum 21. Oktober 2020 hatte die Klägerin weitere drei Tage mittelschwere und sechs Tage leichte Schmerzen (gerafft).

Die Klägerin begehrte Schadenersatz von EUR 56.160 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Soweit für das Berufungsverfahren noch relevant brachte sie vor, sie sei über die Risiken und möglichen Komplikationen der ersten Operation nicht rechtzeitig und nicht vollständig aufgeklärt worden. Sie hätte sich nicht operieren lassen, wenn man sie darüber aufgeklärt hätte, dass sie anhaltende Beschwerden haben werde. Sie sei zu früh aus dem Spital entlassen worden und habe vom 16. (gemeint 23.) September 2020 bis zum 21. Oktober 2020 sehr starke Schmerzen gehabt. Trotz anhaltender Beschwerden seien keine Maßnahmen gesetzt worden. Für die Zeit von der 1. OP bis zur 2. OP stehe ihr Schmerzengeld von € 6.160 zu, danach bis zur Klage weiteres Schmerzengeld von EUR 50.000.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ein Aufklärungsmangel liege nicht vor. Für Empfehlungen und Behandlungen des Dr. C* in seiner Privatordination sei die Beklagte nicht verantwortlich.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das gesamte Klagebegehren ab und verhielt die Klägerin zum Kostenersatz. Es stellte den auf den Urteilsseiten 3 bis 8 ersichtlichen Sachverhalt fest, der eingangs teilweise wiedergegeben wurde und auf den verwiesen wird.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht zusammengefasst aus, dass kein Behandlungsfehler und kein Aufklärungsfehler vorliege. Die Klägerin sei über die Möglichkeit einer Trokar-Blutung während des Eingriffs aufgeklärt worden. Dass eine solche Blutung gestillt werden müsse, liege auf der Hand. Eine Aufklärung darüber, wie diese Blutung gestillt werde (also über die Berci Naht), würde die Aufklärungspflicht des Arztes überspannen. Darüberhinaus hätte die Klägerin, wenn sie darüber aufgeklärt worden wäre, trotzdem in die Behandlung eingewilligt.

Die Berufung der Klägerin richtet sich nur gegen die Abweisung von EUR 7.500,00 s.A., aus den Gründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil abzuändern, dass dem Klagebegehren im Umfang von € 7.500,00 samt 4% Zinsen seit Klagseinbringung stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Zur Beweisrüge:

Die Berufungswerberin bekämpft folgende Feststellung des Erstgerichts:

„Sie (die Klägerin) wurde zwischen 23.09.2020 bis zur Entlassung am 30.09.2020 von Mitarbeitern der beklagten Partei 3 mal täglich um eine Einschätzung ihrer Schmerzen anhand einer Schmerzskala von (0 bis 10, numerische Beurteilungsskala, NRS) gebeten. Dabei wurden folgende Einschätzungen dokumentiert:

23.09.20 - | 4-5 | 1-2

24.09.20 4/2 | 2 | 4/2

25.09.20 1 | 1 | 2-3

26.09.20 1 | 1 | 4

27.09.20 0 | 4 | 1-2

28.09.20 1-2 | 1-2 | 1-2

29.09.20 - | 1-2 | 0

30.09.20 1 -2

Statt dessen begehrt sie die Ersatzfeststellungen:

„Die Klägerin hatte nach der ersten OP bis zur zweiten OP extrem starke Schmerzen die einen Schmerzenskalawert von 9 (von 10) erreichten. Die beklagte Partei hat nicht die notwendige Schmerztherapie angewandt. Es wäre die zweite OP bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchzuführen gewesen. In einer Gesamtbetrachtung und im Hinblick auf die Globalbemessung steht der Klägerin ein Schmerzengeld von € 7.500,00 zu.“

Begründend führt sie im Wesentlichen aus, dass nicht ersichtlich sei, wie es zu dieser Dokumentation gekommen sei. Die Klägerin könne sich nicht erinnern, dass sie dies so angegeben hätte. Die Dokumentation widerspreche massiv den Angaben der Klägerin, die starke Schmerzen, diese sogar mit 9 angegeben, gehabt habe. Sie verwies auf ihre schriftlichen Beschwerden per Mail (Beilage ./J) und darauf, dass sie ihre Schmerzzustände selbst lebensnah habe schildern können. Es gebe daher keinen Grund zu zweifeln, dass sie tatsächlich extrem große Schmerzen gehabt habe, die nicht adäquat behandelt worden seien.

Dabei übergeht die Klägerin die ausführliche Beweiswürdigung des Erstrichters zu diesem Themenkreis. Dieser setzt sich entgegen dem Vorbringen in der Berufung sehr wohl mit dem Zustandekommen der Schmerzdokumentation auseinander und übergeht auch die schriftlichen Beschwerden der Klägerin nach ihrer Entlassung nicht (Urteil Seite 11). Der Erstrichter hat auch berücksichtigt, dass das Schmerzempfinden unterschiedlich stark ausgeprägt ist und auf subjektiven Wahrnehmungen beruht, und hat sich in seiner Beweiswürdigung ausführlich mit der Aussage der Klägerin zu ihren Schmerzen auseinandergesetzt. Anders als die Berufungswerberin bezog der Erstrichter auch die Erklärungen des Sachverständigen mit ein, dass eine Person mit Schmerzen wie von der Klägerin behauptet, nämlich einer Intensität von 9 von 10 NRS, nicht in der Lage gewesen wäre, überhaupt irgendetwas zu machen, sondern ihrer Sinne beraubt wäre (Urteil Seite 10). Dies übergeht die Berufungswerberin geflissentlich.

Auch das Argument der Berufungswerberin, es sei nicht nachvollziehbar wieso bei lediglich leichten Schmerzen eine Schmerztherapie verabreicht worden sei, führt nicht zu Bedenken gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung des Erstrichters. Zum einen übergeht die Berufungswerberin dabei, dass das Erstgericht nicht nur von leichten Schmerzen ausging, sondern auch mittelstarke Schmerzen feststellte. Dass dabei eine Schmerztherapie zum Einsatz kommt, ist naheliegend. Zum anderen führt natürlich gerade der Einsatz von Schmerzmitteln dazu, dass Schmerzen leichter werden. Genau das ist Sinn und Zweck der Schmerztherapie, sodass eine verabreichte Schmerztherapie und leichte Schmerzen sich nicht widersprechen, sondern vielmehr ergänzen. Zu guter Letzt ist die Klägerin erneut auf die Ausführungen des Sachverständigen zu verweisen, wonach bei Schmerzen einer Intensität von 9 von 10 nur noch mit starken Morphinpräparaten Abhilfe geschaffen werden kann. Solche kamen nach den Feststellungen nicht zum Einsatz, was ebenfalls den Rückschluss zulässt, dass die Klägerin ihre Schmerzen überschätzt.

Für eine wirksame Beweisrüge genügt es auch nicht aufzuzeigen, dass auch andere Beweisergebnisse vorliegen, die für andere Feststellungen sprächen, sondern es müssen zumindest erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der bekämpften Feststellung bestehen. Der bloße Umstand, dass nach den Beweisergebnissen auch andere Feststellungen möglich gewesen wären oder dass einzelne Beweisergebnisse vorliegen, die für den Prozessstandpunkt der Berufungswerberin sprechen, reicht noch nicht aus, eine unrichtige oder bedenkliche Beweiswürdigung aufzuzeigen (RES0000012). Der Erstrichter hat die vorliegenden Beweisergebnisse schlüssig gewürdigt. Die Feststellungen zu den Schmerzen der Klägerin sind angesichts des vorliegenden Beweismaterials nicht nur nachvollziehbar und vertretbar, sondern naheliegend.

Für die von der Klägerin gewünschte Feststellung, sie habe - und zwar nicht nur bis zur Entlassung aus dem Spital, sondern auch danach bis zur zweiten Operation - extrem starke Schmerzen von 9 von 10 NRS gehabt, gibt es keine überzeugenden Beweisergebnisse.

Dazu hat das Erstgericht auch (unbekämpfte) Feststellungen getroffen: Zu den Schmerzen nach der Entlassung bis zur zweiten Operation hat das Erstgericht festgestellt, dass die Klägerin drei Tage mittelschwere und sechs Tage leichte Schmerzen (gerafft) hatte (Urteil Seite 8) bzw Schmerzen im Bereich des Port, wenn sie hustete oder nieste (Urteil Seite 6). Zur Frage, ob die notwendige Schmerztherapie verabreicht wurde bzw. die zweite Operation früher stattfinden hätte müssen, ist auf die Feststellungen zu verweisen, wonach der Klägerin schmerzstillende Medikamente gegeben wurden und insgesamt die postoperative Behandlung im Krankenhaus der Beklagten lege artis erfolgte (Urteil Seite 5 und 6). Angesichts der vorhandenen Feststellungen, kann auch kein sekundärer Feststellungsmangel vorliegen, auf den bei der Rechtsrüge einzugehen wäre (RS0043304).

Der letzte Satz der gewünschten Ersatzfeststellungen stellt eine nicht feststellungsfähige rechtliche Beurteilung dar.

Der Beweisrüge hat daher insgesamt keinen Erfolg. Das Berufungsgericht übernimmt die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und legt sie der rechtlichen Beurteilung zugrunde (§ 498 Abs 1 ZPO).

2. Zur Rechtsrüge:

Um die Rechtsrüge dem Gesetz entsprechend auszuführen, hat sie von den bindenden Feststellungen des Erstgerichts auszugehen (RS0043603 [T2]). Die Beklagte führt aber unter der – unrichtigen – Bezeichnung einer sekundären Mangelhaftigkeit und unter Abkehr vom festgestellten Sachverhalt erneut eine Beweisrüge aus und wendet sich nochmals dagegen, dass das Erstgericht dem Vorbringen der Klägerin zu ihren ihrer Einschätzung nach extremen Schmerzen (9 auf einer 10-teiligen Skala) nicht folgte. Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt nicht vor, dazu wird auf die Ausführungen zur Beweisrüge verwiesen.

Die weitere von der Klägerin gewünschten Feststellung, sie hätte sich nicht operieren lassen, wenn sie gewusst hätte, dass sie unter extremen Schmerzen (Schmerzwertskala 9 von 10) leiden müsse, dass aus ihrer Sicht die OP auch nicht erfolgreich gewesen sei und zudem Langzeitfolgen nach sich gezogen habe, sind rechtlich nicht relevant. Ist der Arzt seiner Aufklärungspflicht nicht genügend nachgekommen und hat sich bei dem Patienten ein Risiko verwirklicht, über das er hätte aufgeklärt werden müssen, wird der Arzt dafür haftbar, ohne dass es dazu noch des Nachweises des Vorliegens eines Behandlungsfehlers und dessen Kausalität für die beim Patienten eingetretenen Körperschäden bedürfte (RS0114848). Eine Haftung der Beklagten wegen eines Aufklärungsfehlers scheitert aber ausgehend vom festgestellten Sachverhalt schon daran, dass sich das von der Klägerin vorgebrachte Risiko (extreme Schmerzen und Langzeitfolgen), über das ihrer Ansicht aufgeklärt werden hätte müssen, nicht verwirklichte.

Der unberechtigten Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision nicht zuzulassen.